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Brief (Transkript)

Klaus S. aus Köln an Jürgen L. nach Ostberlin 1989/90

 

[1989/1990]

Hallo Ihr Zwei,

ich glaube es wird Zeit, Euch mal wieder ein paar Zeilen zu schreiben. Politisch ist bei Euch ja `ne Menge los. Meine Anfangsfreude über die geöffneten Grenzen ist schon fast wieder verflogen, wenn ich sehe, was hier im Westen daraus gemacht wird. Jeder spricht von Hilfe in jedweder Form ohne Forderungen, andere wollen erst Wahlen haben, aber keiner fragt, was eigentlich die Bürger der DDR wollen. Hier wird soviel über den Köpfen anderer Menschen hinweg entschieden, daß es schon unverschämt ist. Ich meine, daß Hilfe selbstverständlich sein sollte, ohne wenn und aber. Die Geschehnisse überschlagen sich ja im Moment. Man hört aus der DDR immer Neues, was vor Monaten nicht möglich gewesen wäre. Aber auch bei uns geht’s ab. Ihr habt wahrscheinlich gehört, daß die RAF den Deutsche Bank Chef Herrhausen in die Luft gesprengt hat. Er war eigentlich der Mann, der in der BRD die wirtschaftlichen Fäden gezogen hat und eigentlich wichtiger war als unser „Birnen“-Kohl. Ich glaube, daß es gerade in dieser Zeit falsch ist, über Leichen zu gehen, aber andererseits ist bei uns so viel im Argen, daß es zu denken geben sollte. Es wird wohl immer das gleiche Thema sein: die Suche nach einer angemessenen und für jeden Menschen gleiche Lebensform. Ich glaube jedoch, daß der Mensch noch nicht reif für so eine Form des Lebens ist, weil er einfach zu egoistisch und machtorientiert ist.
Aber nun genug Politik. Mir geht es zur Zeit recht gut. Das Studium ist im Moment nicht so stressig und macht auch richtig Spaß. Ich bereite mich gerade auf eine Politik-Klausur vor, die ich am 5. Februar schreiben werde. Somit kann ich mich in aller Ruhe vorbereiten, da ja noch Zeit ist bis dahin. Diese Klausur ist so das Schwerste, was einem während des Studiums aufgebürdet wird und ich hoffe, es klappt beim ersten Versuch.
Am Freitag werde ich in einem Nachbarort von Olfen ein Musikkonzert besuchen, und zwar spielt mein Bruder Thomas dort in einer Band. Ich bin so gespannt, was für Musik sie machen und ob’s ein Erfolg wird. Er spielt nun seit ca. 2 Jahren in dieser Gruppe und es ist sein erster Auftritt. Leider hab’ ich ihn vorher mit dieser Band noch nie spielen gehört. Sogar meine Mutter will sich das Konzert anhören. Stellt Euch vor, eine fast 70jährige Frau „hüpft“ zwischen Teens und Twens `rum. Ich find’s gut.
Schwesterchen Nanne und ihr Mann haben sich entschlossen ein kleines Häuschen in Olfen zu bauen. Sie haben recht lange überlegt, da man ja nun nicht einfach so drauf losbauen kann, und weil sie gerade erst eine Wohnung gekauft haben. Aber die wird nun wieder verkauft und die finanzielle Belastung wird wohl nicht mehr so hoch sein. Das sind für mich Kategorien, an die ich überhaupt nicht denke. Ich wüßte auch nicht, ob ich selbst bauen würde, wenn ich’s Geld hätte, da ich jetzt hingehen kann wo ich will und ich auch noch nicht weiß, wohin es mich mal verschlägt.
So, Ihr Zei, ich hoffe, bald von Euch zu hören. Bis dahin wünsche ich Euch alles Liebe.

Tschöö
Klaus

PS: Das Angebot mit Köln bzw. Olfen bleibt bestehen!!!
Vielen Dank auch für die „intime Begegnungskarte“ aus Schwerin.

 

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