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Brief (Transkript)

Anneliese H. aus Neu-Kosenow an Paula M. nach Hamburg am 07.04.1947

 

Neu-Kosenow, d. 7.IV.47.

Meine liebe, süsse Tante Paula!
„Endlich wird die Wurst erkenntlich!“ Wirst Du sicher ausrufen, wenn dieser Brief in Deinen Händen ist. Es wird ja auch wirklich so langsam Zeit dass ich mal wieder ein Lebenszeichen von mir gebe. Zu Ostern sollte dieser Brief schon steigen. Aber, Du weisst ja, immer die alte Leier mit dem Zeitmangel. Zu allererst will ich Dir nun aber das Wichtigste und Neueste vom Tage mitteilen. Seit dem 25.3. befinde ich mich bei Frau Hildegard W. als Hausgehilfin. Die Sache kam so. Mit Schwiegermutter stand ich doch von vornherein auf nicht gerade sehr freundschaftlichem Fusse. Die Gründe unseres disharmonischen Zusammenlebens sind so vielseitig, dass ich sie Dir leider brieflich unmöglich aufführen kann. Ich war durch ihre ewigen Sticheleien jedenfalls schon so nervös, dass ich bei kleinster Gelegenheit in Tränen ausbrach. Das war natürlich ein unhaltbarer Zustand. Und eines guten Tages habe ich dann meinen Kurt herangekriegt und ihm das ganze Theater, das ich andauernd mit seinen Eltern habe, geschildert. Dabei kam dann heraus, dass Kurtl das ganze schon seit einiger Zeit selbst gemerkt und mit wachsendem Ärger beobachtet hatte. Er sagte, er habe gehofft, ich würde in Behrenhoff eine neue Heimat finden und war nun über das Benehmen seiner Eltern mir gegenüber restlos erschüttert. Vor allen Dingen konnte er nicht verstehen, wie seine Eltern es fertigbringen konnten, zu ihm einige recht abfällige Bemerkungen über mich zu machen. Er wollte darauf hin mit seiner Mutter ernstlich reden. Was sie sich eigentlich dabei denken. Sie scheinen noch nicht zu wissen, dass wir zusammen gehören und sie wenigstens ihrem Sohn zu Liebe zu seiner Braut nett sein könnten. Ich sagte darauf, dass er auf meinen Wunsch hin keine Scene mit seiner Muter machen sollte, sondern dass ich eben aus Behrenhoff verschwinde. Ich möchte nicht, dass es meinetwegen vielleicht zu ernstlichem Bruch zwischen ihm und seinen Eltern käme. Kurt war erst nicht damit einverstanden, sondern meinte, einmal müsste die Angelegenheit doch klargestellt werden. Aber dann beruhigte er sich doch. Sieh mal, Kurt braucht seine Eltern noch dringend und kann sich einen Krach mit ihnen nicht leisten. Mir genügt es aber voll und ganz, wenn ich weiss dass Kurtl zu mir hält und mich lieb hat. Dann ist alles andere nicht so schwer. Dann machen auch ein paar Jahre Wartezeit bis zur Hochzeit nichts mehr aus. Wo nun alles Trennende zwischen Kurt und mir mit dieser Aussprache beseitigt ist und ich weiss, dass Kurt auf meiner Seite steht, ist alles wieder gut. Kurtl sagte, ich müsste von Behrenhoff fort und wenn ich zunächst wieder nach Kosenow ginge. Ich könnte in Behrenhoff von morgens bis abends rennen und immer wäre es nicht genug und Dank würde ich erst recht nicht dafür ernten. Das hatte Kurtl also auch bereits gemerkt. Der langen Rede kurzer Sinn war jedenfalls das Ergebnis, dass ich so schnell wie möglich von B. fort musste. Da kam im März die Aufnahmeprüfung für den Lehrerausbildungskursus in Stralsund. Leider bestand ich nur mit Gruppe II. Die Mathematik hat mir wieder mal das Genick gebrochen. Nun war der Haken, das nur für die mit Gruppe I bestandenen Prüflinge der Kursus in Stralsund läuft, während Gruppe II in Schwerin den Kursus machen muss. Das passte mir gar nicht. Nach Schwerin wollte ich nicht. Da haben wir es dann so gedeichselt, dass ich erst einmal zu Hildegard als Hausgehilfin gehe. Gleichzeitig habe ich mich auf dem Postamt in Stralsund für eine Wiedereinstellung vormerken lassen und der Herr auf dem Arbeitsamt, ein Bekannter von Hildegard, versprach mir seine Hilfe. Durch ihn habe ich auch nur die Zuzugsgenehmigung für Stralsund erhalten. Es hat jedenfalls alles bestens geklappt und ich bin nun in Stralsund. Arbeit habe ich mehr als genug. Hildegard ist Neulehrerin und den ganzen Tag in der Schule. Dieter ist ja vormittags auch fort und Heidi ist den ganzen Tag im Kindergarten. So habe ich wenigstens Ruhe. Eine Cousine von Hilde aus Lessenthin ist auch noch da. Sie will auch Neulehrerin werden. Es ist ein liebes Mädel und ich freue mich, dass sie da ist. Tante Lisbeth wäscht jede Woche bei uns. Onkel Bernhard und Tante Lisbeth sind reizend zu mir und ich glaube, dass ich mich doch trotz aller Arbeit und schlechter Ernährung bedeutend wohler fühlen werde als in Behrenhoff. Meine arme gequälte Seele kann nun doch wieder aufatmen. Charlotte N. fiel mir um den Hals als ich zu ihr kam und wir sind beide glücklich uns wiederzuhaben. Hilde gibt mir monatlich 50 RM. Ich bin sehr glücklich darüber. Es wird schon alles wieder besser werden. Kurtl bleibt über Sommer nun noch in Greifswald. Er will noch fleissig Orgel üben, um zum Herbst in Berlin sich gleich in Orgel weiterausbilden zu lassen. Er ist so eifrig. Mutti gefällt es immer noch nicht, dass sich Kurtl so ganz der „brotlosen“ Kunst ergeben hat. Ich weiss gar nicht mehr, wie ich ihn verteidigen soll. Die Musik bedeutet ihm doch nun einmal alles. Und er wird schon etwas darin leisten. Da habe ich gar keine bange. Gott gebe, dass unsere kleine Mutti sich später davon überzeugen kann, dass Musik nicht „brotlose“ Kunst zu sein braucht. Übrigens ist ein nochmaliger Brief an Bubi B. erneut zurückgekommen. Da stimmt doch etwas nicht. Möchte nur den Grund wissen. Hans-Hugo ist auch seit 9 Monaten zu Hause. Er arbeitet wieder als Frisör. Er will aber möglichst wieder nach Argentinien zurück. Im Augenblick geht es allerdings noch nicht. Tante Lisbeth geht es gar nicht gut. Sie hat in ihrem Leben auch zuviel Kummer gehabt und die Gören haben ihr jetzt den Rest gegeben. Onkel Bernhard sieht noch am wohlsten aus. Am Palmsonntag waren wir zu Waltrauds Einsegnung nach Klein-Damitz. Es war herrlich. Ich habe sehr bedauert, dass Mutti nicht doch noch gekommen war, wie sie wollte. Hilde hatte Waltraud eins von ihren weissen Kleidern zurechtgeschneidert zur Einsegnung. Sie hat sich sehr viel Mühe gegeben und es sah nett aus. Zu Mittag gab es Hahnenbraten mit Rotkohl eine Kaffee- und eine Quargspeise mit Schlagsahne. Ich habe mit rundherum ganz kullrig gegessen. Zum Kaffee gab es 4 Torten und zwei Sorten Blechkuchen und abends Kartoffelsalat und Brötchen und Weissbrot mit Butter. Päule, essen konnte man das nicht mehr nennen, was ich geleistet habe. Zum Kaffee 6 Stücke Torte und 4 Stücke Kuchen und zum Abendbrot 2 Portionen Kartoffelsalat, 3 Weissbrotschnitten und 4 Butterbrötchen wurden ohne grosse Anstrengung eingepackt. Auf dem Nachhauseweg war mir ja etwas voll in der Magengegend, aber vertragen habe ich es blendend. Mir geht es jetzt so wie Mutti früher, dass ich bei einer gutschmeckenden Sache einfach nicht bremsen kann. Kurtl hat schon in Behrenhoff immer darüber gelacht. Aber das ist halt Vererbung. Was ich früher als Kind zu wenig gegessen habe, esse ich den heutigen Verhältnissen entsprechend zuviel. Aber das ist ja immer so verkehrt. Trotz meines guten Appetits habe ich in den letzten 4 Monaten in Behrenhoff abgenommen. Was musste ich aber ach zurechtrennen. Ich habe zuletzt schon alles gemacht, gemolken, Pferde, Kühe, Schweine, Hühner Gänse, Schaf gefüttert und am Tag 5 Trachten Wasser aus dem Dorf geholt, weil die Leitung eingefroren war. Das war alles ganz selbstverständlich. Na, ich ziehe meine Lehre fürs Leben aus meinem Aufenthalt in Behrenhoff. Zum Schaden ist so etwas ja nie. Ich freue mich auch, dass ich bei Hildegard auch in der Hauswirtschaft arbeiten kann. Da kann ich doch noch etwas dazulernen. Dann stehe ich später wenigstens nicht so dämlich da. Ich empfinde es in Stralsund so herrlich, dass ich mich jeden Morgen wieder ganz kalt abreiben kann. Alle 14 Tage wird gebadet. Ich finde das unwahrscheinlich schön. So langsam wird man wieder etwas kultivierter. Auch Klavier habe ich schon wieder gespielt und gesungen. Kurtl will mich nach Ostern in Stralsund besuchen. Hans-Hugos Geburtstag am 30.IV. wollen wir lustig bei Hildegard begehen. Ich habe Dir wohl noch gar nicht geschrieben, dass Onkel Bernhard, Tante Lisbeth und Hans wieder in der Frankenstr. wohnen. Vorige Woche war ich zur Dauerwelle. Jetzt sehe ich wieder „bon“ aus. Über Fest bin ich nun hier zu meinem Mütterlein gefahren. Ich hatte auch schon solche Sehnsucht. Muttilein fühlt sich gar nicht wohl, obwohl sie eine frische Farbe bekommen hat. Ach, möchte der liebe Gott doch auch für meine kleine Mutti wieder die Sonne scheinen lassen. Es ist doch zu viel Arbeit und seelisches Leid hier für sie. Wir haben heute morgen noch so sehnsüchtig an Dich gedacht und Mutti wünscht sehnlichst, dass wir doch wieder alle drei zusammensein können. Ach, das ist auch gar nicht schön, dass wir so getrennt sein müssen. Doch sind wir ja so froh, dass Du wenigstens bei lieben Menschen bist und es gut hast. Das ist eine wohltuende Beruhigung für uns beide. Päulelein, mein liebes, gutes Päulelein, ob wir wohl noch einmal wieder nach Hause kommen? Ich hoffe es ja so sehr. Drücke nur beide Daumen. Ich möchte Euch ja in den Sommerferien gerne besuchen. An der Grenze bei Lübeck wohnt eine Freundin von Hildegard. Dort könnte ich gut übernachten. Na, wer weiss was bis dahin schon los ist. Hier ist grässliches Osterwetter. Die Kälte will in diesem Jahr auch gar nicht weichen. Es ist scheusslicher Wind. Hoffentlich habe ich zu meiner Rückreise besseres Wetter. Die Zugverbindungen sind mal wieder himmlisch. Aber ich bin doch mal wieder bei meiner Mutsch gewesen. Kurtl war ja etwas enttäuscht, dass ich zu Ostern nicht zu ihm kam, aber erstens ging Mutti diesmal vor und zweitens fahre ich ohne besondere Einladung seiner Eltern nicht mehr nach B. Ich bin kuriert. Neulich habe ich mir doch bei einem Sturz durch die Glätte beide Brillengläser in der Tasche zerschlagen. Zum Glück habe ich in Greifswald beim Optiker neue Gläser bekommen. Und billig 6 RM habe ich für beide bezahlt. Ich war ganz überrascht. Sonst muss man doch für alles ein Sündengeld bezahlen. Meinen Pullover habe ich noch nicht ganz fertig. Am 2. Ärmel ungefähr noch 10 cm, dann habe ich es geschafft. Er gefällt mir gut und Mutti ist auch recht zufrieden. Die graue Hose gibt einen feinen Rock. Ich will ihn aber als Trägerrock machen lassen. Wenn ich ja Zeit hätte, würde ich mir in Stralsund den Rock selbst nähen. Frau K.s Näherei gefällt mir nicht mehr und dann spare ich das Geld. Na, mal sehen. Ja, Süsse, nun muss ich wohl so langsam aufhören. Onkel Karl lacht schon, dass ich so viel schreibe. Aber ich wüsste ja noch viel mehr. Wenn wir uns doch mal mündlich über alles unterhalten könnten. Hoffen wir das beste. Und nun für heute genug.
„Leb wohl“ unser liebes Päulekind.
Tausend innige Grüsse
und viele süsse Küsschen
senden Dir Deine Anneli
und Mutti.
Den drei E’s Deiner Schwester und Lydia ebenfalls liebe herzliche Ostergrüsse.

Hast Du mal an Briefpapier gedacht?

 

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