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Brief (Transkript)

Anneliese H. aus Neu-Kosenow an Paula M. nach Hamburg am 11.06.1946

 

Neu-Kosenow, den 11.6.46

Mein liebes, süsses Päulelein!
Nun wollte ich gestern schon dieses Brief schreiben und Tante Emmys Geburtstagsbrief miteinlegen, damit es nur einmal Porto kostet. Aber der Tag war mal wieder zu kurz und so habe ich Tante Emmys Brief allein schicken müssen, sonst kommt er viel zu spät dort an. Also sei mir nicht böse, dass ich mit den Briefmarken so verschwenderisch umgehe. Doch wer weiss, wie lange ich wieder an diesem Brief schreibe. Tante Lene hat einen ja dauernd unter Dampf. Augenblicklich hält sie noch Mittagsruhe. Die Küche blitzt schon und Mutti wäscht noch Pellkartoffeln. Meine Musch kommt nie zum Ausruhen mittags. Sogar gestern am zweiten Feiertag musste Tante Lene unbedingt Heu wenden. Dafür regnete es am Nachmittag auch, so dass die ganze Arbeit wieder umsonst war. Leider kommen wir durch dies Wetter gar nicht aus dem Wenden heraus. Geklaut haben Lumpen auch schon wieder etliches Heu. Onkel Karl ist mit seinem Pächter jedenfalls bestens reingerutscht. Mit Weizenmehl hat er Tante Lene auch um 20 [lb] betrogen. Aber neulich beim Siedlerball hat Gottschalk aber anständige Wichse bezogen. 2 Zähne ist er dabei losgeworden. Wir haben schon so viel darüber gelacht. Nun will ich Dir aber erst einmal lieb für das Päckchen mit dem Briefpapier und für Deinen Brief danken. Wie sorgt Erika nur lieb für mich. Lasst Euch beide zum Dank einen dicken, süssen Kuss geben. In Natur wär er ja besser als auf dem Papier. Aber es geht ja nun mal nicht. Ach, das ist gar nicht schön. Mutti sehnt sich so sehr nach Dir. Diese ewigen Sabbereien von den beiden Alten kommen einem ja auch zum Halse raus. Nie macht man etwas richtig. Was haben Mutti und ich bloss gewühlt um das Haus zu Pfingsten in Ordnung zu haben. Jede Ecke haben wir beharkt. Und der Dank dafür war, dass Tante Lene sagte bei ihr wäre zu Pfingsten das Haus viel sauberer gewesen. Wir hätten ja noch nicht einmal den Küchentisch gescheuert. So, nun schluck die Pille. Mann, ich bin manchmal auf 90. Zu Pfingsten hatte Tante Lene einen Blechkuchen und eine recht mässige Torte gebacken. Es war kein Besuch über Fest. Aber von der Torte haben Mutti und ich jeder 2 Stücke und von dem Blech jeder 8 Stücke bekommen und das übrige war für uns dann nicht mehr vorhanden. Weisst Du, ich frag’ mich nur immer, ob die beiden sich nicht schämen. Aber den Begriff kennen sie scheinbar nicht. Na, Du kennst ja den Rummel hier. Aber ich muss meinem Bauch immer mal Luft machen. Heute hat sich Onkel Karl auch ein Ding geleistet. Er war gestern nach Ducherow gegangen und fuhr von da heute morgen mit der Bahn zum Arzt nach Anklam. Es geht ihm seit 3 Wochen nicht gut. Na, jedenfalls, als er nun heute Mittag zurückkam, erzählt er, dass Horst O. in Ducherow ist. Weil nun die Ducherower ja nichts zu essen haben, soll Horst hierher kommen und helfen und ich soll dann nach Behrenhoff zu Mama und Papa gehen. Tante Paula, mir blieb der Bissen im Mund stecken und die Tränen schossen mir in die Augen. Als Mama vor 4 Wochen schrieb, ob ich ihr nicht helfen kommen wollte, da setzten sie hier höhnische Mienen auf und sagten: jetzt, wo ich gesund wäre sollte ich zu ihnen kommen und arbeiten und als ich krank war und nichts tun konnte, musste mich Tante Lene durchfüttern und das wäre undankbar wenn ich Tante Lene jetzt in der arbeitsreichen Zeit sitzen lassen wollte. Ich fuhr also nicht und Mama schrieb mir sehr enttäuscht, dass sie bestimmt mit meinem Kommen gerechnet hat. Sie hat sich nun eine Frau nehmen müssen. Und jetzt, wo es Onkel Karl so in den Kram passt, soll ich bei Mama und Papa zu Kreuze kriechen und sie bitten, mich doch dort aufzunehmen. Aber mit den Flüchtlingen kann man ja alles machen. Wie ist das nur bitter ein Flüchtling zu sein. – So, inzwischen sind nun schon 2 Tage vergangen, wo ich nicht zum Schreiben gekommen bin. Gestern haben wir Heu eingefahren. Heute haben wir noch Heu gewendet, Rüben gehackt und verzogen. Und jetzt fängt es an zu regnen, so dass wir draussen nicht weiter arbeiten können. Der gute Petrus hat ein Einsehen mit mir. Er weiss, dass ich Deinen Brief so gerne fertig schreiben möchte. Gestern Abend hat Tante Lene uns wieder nette Sache an den Kopf geworfen. Es tut mir nur immer so weh, dass meine arme Musch so sehr unter diesen Sabbereien leidet. Ich selbst bin schon so weit abgestumpft, dass ich sie ruhig tottern lasse und denke, wenn ein Mensch das Bedürfnis hat zu schimpfen, soll er es tun. Ich tue meine Arbeit und alles andere ist mir wurscht. Gestern hat Frau H. Mutti die Karten gelegt. Wenn das alles wahr wird, ist für uns das grösste Leid bereits vorbei, Sie sagte, mein Hähnchen kommt am 7.Juli und Vati am 5.August. Am 14.August wird meine Hochzeit. Mutti und Vati werden noch in diesem Jahr nach Labes zurückkommen. Ich werde erst mit nach Behrenhoff gehen. Später wird Kurt in der Stadt eine Stellung bekommen. Vati hat das schlimmste überstanden und er ist gesund. Ich werde aber wegen meiner Hochzeit noch einige Widerwärtigkeiten haben. Na, das ist ja klar. Aber sonst liegen Muttis Karten einfach blendend. Nun wollen wir mal abwarten. Hermann G. meint ja auch, dass sich in politischer Hinsicht etwas entspinnt. Und das recht bald. Es kann ja auch nicht ewig so bleiben wie es jetzt ist. Christel Qu.s Geburtstagsbrief kam heute schon hier an. Ja, ich möchte auch nur wissen, was das gute Kind mit einem Fleischer will. Der sind scheinbar auch sämtliche Ideale ins Essen umgeschlagen. Na, sie schwärmt jedenfalls in jedem Brief von ihrem Heinz. Und das ist ja die Hauptsache. An Erika W.s Geburtstag habe ich auch nicht gedacht. Bei mir ertrinken jetzt alle Gedanken in der Arbeit. Aber meine Karten haben ja gesagt, dass ich in meiner Ehe mal nicht viel zu arbeiten brauche. Hoffen wir das beste. Päulilein, Du hast ja keinen Begriff was ich an meinen Klamotten herumstopfen muss. An meinem Nachthemd stopfe ich jeden Tag eine Stunde. Jede Nacht reisse ich einen neuen Riss hinein. Du müsstest bloss mal die Landkarte in dem Hemd sehen. Graue Haare kann man kriegen. Meinem Finger geht es gut. Er hat jetzt einen feinen neuen Nagel. Klavierspielen kann er auch prächtig. Bloss Zeit und Gelegenheit fehlen. Walter S. hat mir neulich ein süsses hellgraues Kaninchen geschenkt. Schon zum Geburtstag. Tante Lene war ja ziemlich eingeschnappt, dass Walter ihr das Tier nicht geschenkt hat. Bobby hat heute einen jungen Hasen im Garten gefangen, den gibt es nun als Sonntagsbraten. Den Bobby hatten die G.s Jungens neulich so geschlagen, dass er zwei Tage am ganzen Leib zitterte. Richtig krank war er. Das ist alles rohes Volk. Unser Miesekater hatte neulich zu viele Mäuschen gefuttert, da hat sie sich genau unter Muttis Bett gekotzt. Dann hat sie schnell warme Milch bekommen und eine Nacht runtergeschlafen, da war sie wieder gesund. Frau K. ist augenblicklich dabei mir ein Kleid und Mutti einen Rock und 3 Blusen zu nähen. Die Blusen tragen wir ja doch gemeinsam. Bloss Nähgarn will sie immer haben und Tante Lene rückt so schlecht raus. Mutti lässt übrigens fragen, ob ihr da vielleicht ein wenig dünne schwarze Wolle zum Stopfen für Muttis Strümpfe und etwas weissen Twist übrig habt. Und ich möchte mal wegen langen schwarzen Schnürsenkeln für die hohen Schuhe anfragen. Onkel Karl hat mir für meine anderen Schuhe auch wieder Sohlen spendiert. Das kann er ja auch denn schliesslich muss ich immer lossausen, wenn etwas zu besorgen ist. Ob es nun in Kagendorf oder Ducherow ist. Das Brot auf unsere beiden Marken hole ich jetzt immer von Ducherow, weil das Brot dort feiner ist. Mit Lucie komme ich sehr selten zusammen. Ich habe einen Heuschnupfen. Mutti sagt allerdings ich hätte mich erkältet. Ich gehe ja principiell bei jedem Wetter ohne Strümpfe. Sonst muss ich nachher im Winter frieren. Neulich habe ich nur ein Kleid angehabt, weil ich Hemd und Höschen zu Pfingsten gewaschen habe. Und damit bin ich bei Wilhelm Z. zur Hochzeit gratulieren gegangen. Mutti sagt, wenn ich Hochzeit mache, kann ich mir wenigstens von der jungen Frau den Staat borgen. Fragt sich nur, ob sie es tut. Na, das sind alles greuliche Sorgen in dieser Zeit. Dass Lydias Mann sich gemeldet hat ist aber fein. Nun wird er sicher auch bald kommen. Sie muss bloss immer ganz brav und artig sein. Der Regen macht es heute so dunkel im Zimmer und kalt ist es auch. Ich ginge am liebsten ins Bett. Heute Mittag war ich so müde, dass ich mich ein wenig hinlegen musste. Das macht wohl das Wetter. Mama und Papa haben auch lange nichts von sich hören lassen. Ach, Päule, wenn nur das Geld seine Gültigkeit behalten möchte. Sonst ist es doch ganz aus. So hart kann doch das Schicksal nicht sein und uns alles nehmen. Für die Briefmarken hab lieben Dank. Ach, Päule, bitte nur den lieben Gott, dass er Mutti und mir bald wieder die Selbständigkeit wieder gibt. Mutti geht mir sonst seelisch ganz kaputt. Es ist bald nicht mehr zu ertragen. Wenn nicht augenblicklich wieder solche Krise wäre, dass sich alles zum Guten wenden könnte in dieser Zone, würde ich noch heute mit Mutti über die Grenze gehen. Aber man hofft ja immer es wird auch so besser. Gott gebe, dass wir nicht wieder mit dieser Hoffnung betrogen werden. Und nun will ich für heute aufhören. Lass es Dir gut gehen und sei lieb gegrüsst und viele süsse Küsschen
von Deiner Anneli und Mutti.
An die drei E’s auch tausend herzliche Grüsse. Ebenso auch an Deine Schwester und Lydia unbekannterweise.

Was machen Deine Hände und Füsse
Habe ich Dir schon geschrieben dass Kie mit Siegfried bei Paul in Mildstedt über Husum ist?

 

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