Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Friedel H. aus Gotha an Charlotte M. nach Göttingen am 03.10.1990

 

Gotha, am 03. Oktober 1990

Liebe C h a r l o t t e !

Es ist ein geschichtsträchtiger Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe. Zunächst möchte ich mich für die in den vergangenen Jahren gewährte Gastfreundschaft noch einmal recht herzlich bedanken. Wenn ich nicht früher geschrieben habe, so lag das daran,daß ich ja mehrfachen Besuch hatte und mir ja nicht mehr alles so schnell von der Hand geht, wie in früherer Zeit. Außerdem ist meine Waschmaschine kaputt gegangen, so daß ich mir eine neue kaufen mußte, was auch nicht gleich so geklappt hat, wie ich es mir vorgestellt habe.

Nun sind die letzten Tage der DDR an mir vorübergerauscht. Ich weiß nicht, was ich in zwei Wochen, zwei Monaten oder vielleicht, wenn ich noch lebe, in zwei Jahren über diese Zeit denke. Euphorie hat sich jedenfa-lls bei mir nicht breitgemacht. Die sogen. Versprechungen eines Herrn Kohl haben sich jedenfalls bei mir und vielen anderen nicht bewahrheitet. Außerdem höre ich immer noch in meinen Ohren das Wort Pöbel, als was er uns bezeichnet hat. Es wäre noch mehr zu sagen, aber ich will es dabei belassen. I c h bekomme jedenfalls weniger Rente, obwohl ich nie zu den sogen. Privilegierten gehört habe. Es sind ja auch nur 66,- DM weniger. Was kommt 1991 auf uns zu? Wir haben keine Wunder erwartet. Aber gearbeitet haben wir schließlich auch und unter welchen Bedingungen, da würde heute keine Putzfrau mehr einen Scheuerlappen anfassen, geschweige damit etwas arbeiten. Auch haben w i r die Reparationen bezahlt als Ergebnis des verlorenen Krieges. Und nun bezahlen wir wieder!
Es war jedenfalls für mich eine kleine Freude, als ich eine Zeitungsnotiz in der HNA – Zeitung für Thüringen – von Herrn R o h w e d d e r gelesen habe, mit folgendem Wortlaut: „Bei der Übernahme ostdeutscher Betriebe führen sich viele westdeutsche Unternehmer nach Ansicht von Detlev Rohwedder wie „Kolonialoffiziere“ auf . . . . er sagte vor der Industrie- und Handelskammer Frankfurt/M., beim Überschreiten der ehemaligen Zonengrenze werde offenbar einiges abgelegt an Anstand, was man sich hierzulande eigentlich nicht erlauben würde. Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3.Oktober sei die Trennung der Menschen voneinander noch nicht überwunden . . . vor etwas 300 Geschäftsleuten. Die Menschen in den fünf neuen Ländern seien keine Fellachen, sondern Landsleute, die nach dem Kriege das kürzere Ende gezogen hätten. Er forderte die westdeutschen Manager auf, in der DDR „dieses Element der Anständigkeit zu bewahren, das die soziale Marktwirtschaft auszeichnen sollte.“

Es war Musik für mich, zumal ich einiges weiß über das Auftreten dieser Leute aus unmittelbarer Nähe.

Ich muß mich auch bei Dir entschuldigen, ich habe nämlich vergessen, Dir die restlichen Buskarten zurückzugeben. Sie liegen diesem Brief bei.
Sobald ich meine innere Ruhe wiedergefunden habe, werde ich auch versuchen, an meinen Memoiren weiter zu schreiben. Ich glaube, daß die letzten 14 Monate die schwersten meines Lebens gewesen sind. Oder ist alles noch zu neu? Ich weiß es nicht. Mein Leben war noch n i e leicht.

Mein heutiges Schreiben soll auch mit einem ganz herzlichen Dankeschön für die ärztliche Betreuung verbunden sein. Ich habe bis jetzt noch keinerlei Beschwerden wieder gehabt. Die Tatsache, daß meine Nase sehr oft „läuft“, betrachte ich, wie ich Dir bereits gesagt habe, als ein positives Moment. Was meinst Du, sollte ich der Ärztin noch persönlich schreiben? Man weiß ja nicht, wie es aufgefaßt wird.

Ich hoffe Dich gesund und verbleibe mit herzlichen Grüßen

Friedel

 

top