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Brief (Transkript)

Friedel H. aus Gotha an Charlotte M. nach Göttingen am 21.07.1990

 

Gotha, am 21.07.1990

Liebe Charlotte!

Deinen Brief vom 14.07.1990 habe ich erhalten und bedanke mich dafür. Am 07.07.90 habe ich abends oft an Dich gedacht. Die Nachrichten haben sehr oft von vielen Stau’s auf allen Straßen gesprochen.
Herzlichen Dank auch für den Transport des Briefes an Peter. Antwort habe ich noch nicht bekommen.
In bezug auf den kleinen Heizofen kann ich Dir mitteilen, daß er bereits einige Stunden – insgesamt an mehreren Tagen – in Betrieb war. Zur Zeit kostet der E-Strom nur 8 Pfennig pro kWh. Die Preiserhöhung auf das drei- bis vierfache kommt ab 1991. Auch hinsichtlich der Mieten haben wir mit Erhöhungen zu rechnen. Es sollen so mindestens für die sogen. Kaltmiete Erhöhungen bis zu 150 % werden. Von den anderen, teilweise unberechenbaren Rechenkünsten für Waren des täglichen Bedarfs möchte ich nichts sagen. Da schaut noch keiner durch. Beruhigend ist es aber, daß die Gaststätten eingesehen haben, daß es besser ist, reell zu kalkulieren und besetzte Tische zu haben, als umgekehrt – leere Gaststätten wegen zu hoher Preise. Es gab, ich habe es zwar nicht selbst erlebt, Erhöhungen bis zu 300 und mehr Prozent. Da geht man eben nicht wieder hin.

Zur Zeit bzw. noch immer werden wir überschwemmt mit Waren aus der BRD, wie z.B. Joghurtprodukte. Aber gibt es inzwischen auch andere Produkte, die wir selbst, vielleicht aber nicht in bunter Aufmachung selber haben. Nun hat sich die Regierung eingeschaltet, um den Handel auf Vordermann zu bringen. Es muß jedenfalls noch viel gelernt werden.

Was die andern Dinge, wie die Wahlen, die neuen Gesetze bis zur Einheit Deutschlands betrifft, möchte ich weiter nichts sagen. Ich hatte und habe mir vorgenommen, im Rahmen meiner Familie nicht über Politik zu diskutieren. I c h habe noch nie Privilegien gehabt. Mein Einkommen im Staatsapparat war äußerst niedrig, was sich letztlich auch auf meine Rente ausgewirkt hat. Ein kleiner Ausgleich war neben der SV – Rente eine staatliche Ehrenrente seit 1981. Nun bekomme ich diese ja auch nicht mehr. Und meine neu berechnete SV-Rente bei 40 Arbeitsjahren und vier Kindern beträgt 738,- DM.

Erschreckend ist jedoch die Arbeitslosigkeit, auch bei uns im Kreis Gotha. Was ich nie für möglich gehalten hätte, ist die Tatsache, daß es besonders die landwirtschaftlichen Betriebe betrifft. Die Ställe sind voll, die Milch wird weggeschüttet – und der Beschäftigungsgrad bei den Bauern, besonders bei den Frauen, wird immer niedriger.

In bezug auf meine Rente muß ich noch hinzufügen, daß die genannte SV-Rente etwas höher ist als die ursprünglich berechnete Rente. Wie das zustande gekommen ist, weiß ich bis jetzt noch immer nicht. Andererseits bekommen Bürger bei uns weniger als die Mindestrente, die mit 495,- DM angesetzt ist. Angeblich soll die FZR bereits mit enthalten sein. Da werde einer schlau draus! Und ich bin doch wirklich kein unerfahrener Mensch auf diesem Gebiet. Aber ich habe mir vorgenommen, mich weder zu beschweren noch überhaupt etwas zu unternehmen. Die Menschen in der SV und der ehem. Staatlichen Versicherung geben zur Zeit dermaßen unqualifizierte Antworten, daß man nur sagen kann, wo soll das hinführen. Sie schieben alles auf Berlin.
Aber was soll es. Durch die Umtauschaktion sind mir zwar wieder einmal einige Gelder verlorengegangen. Aber ich komme schon mit meinem Geld aus. Vielleicht muß ich eines Tages von der Substanz leben. Ich habe ja auch keine große Lebenserwartung mehr.

Ursprünglich wollte ich mir ja einige Bücher – Beispiele hatte ich genannt – mit der neuen Währung kaufen. Im Augenblick muß ich mir das jedoch verkneifen. Ich war leichtsinnig und nehme jetzt an einer „Sauerstoff-Mehrschritt-Kur“ nach dem Forschungsinstitut „Manfred von Ardenne“ im Lazarett teil. Das ist aber eine private Angelegenheit. Ich muß es also bezahlen – und es ist nicht billig. Für die Kur muß ich insgesamt 682,50 DM bezahlen. Da es mit der Busverbindung nach dem Lazarett – Linie C – sehr schlecht ist, fahre ich vormittags mit einem Taxi. Auch diese Kosten sind ja auf fast das dreifache angestiegen. Alles in allem werden es so ca. 900,- DM sein, die ich hinblättern muß. Ich denke aber, daß es für meine Gesundheit richtig ist. Die Kur dauert 3 Wochen, also 18 Tage mit jeweils 2 Stunden.
Ich habe also noch 2 Wochen zu absolvieren. Die Bücher kaufe ich mir aber trotzdem. Wenn diese bei Euch billiger sind, werde ich sie bei meinem Besuch beschaffen.

Auch bei uns gibt es jetzt eine Frauenarbeitsgruppe. Sie nennt sich „Büro für Frauenfragen“ beim Landratsamt Gotha. Sie haben sich folgende Aufgaben gestellt:
- Schaffung eines Frauenhauses
- Aufbau einer Telefonfürsorge
- Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit
- Probleme der Arbeitslosigkeit
- Versorgungsprobleme (Preise, Angebote)
usw.
Das Material über die „Grünen Damen“ schicke ich Dir wieder zurück. Ich werde es aber bei passender Gelegenheit in der Volkssolidarität mal zur Sprache bringen. Wenn ich es richtig verstanden habe, dann braucht man als erste Voraussetzung überhaupt einen Telefonanschluß Oder wie ist das ?
Übrigens sind auch die Telefongebühren höher geworden: Grundgebühr von 9,- auf 27,- DM und jedes Gespräch von 0,15 auf 0,23 DM. Ich kämpfe mit mir, ob ich mir nicht doch noch einen Anschluß machen lasse, wenn es bei uns auch noch lange nicht so weit ist, daß man das von einem Tag auf den andern erledigt bekommt.

Gesundheitlich geht es mir so einigermaßen. Die heftigen Anfälle nachts haben nachgelassen. Ob es bereits die Auswirkungen der Sauerstoff-Kur sind? Eine Garantie der Gesundung gibt es natürlich nicht. Aber es gibt zur Vorbereitung der Kur einen Video-Film mit Prof. von Ardenne, Theo Adam und anderen Teilnehmern dieser Kuren. Genau wie bei der Akupunktur steht man hier ärztlicherseits teilweise skeptisch gegenüber. Aber ein natürliches Mittel kann doch nicht schaden.

Für heute soll es genügen. Sobald ich Nachricht vom Peter habe, gebe ich Dir Nachricht, so daß wir einen Termin ausmachen können für einen Kurzbesuch von mir in Göttingen.

Es grüßt Dich herzlich
Friedel


 

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