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Brief (Transkript)

Charlotte M. aus Göttingen an Friedel H. nach Gotha am 14.01.1990

 

Göttingen, 14.1.1990

Leibe Friedel!
Hab’ schönen Dank Für Deinen Brief vom 30.12.89/1.1.1990, Deine guten Wünsche zu den Festtagen, Dein Päckchen mit zu vielen schönen Dingen, sowie für die äußerst interessante Schrift über die Denkmale des Kreises Gotha! Letzteres, so hoffe ich, werde ich für die Universitätsbibliothek Göttingen über die zuständige Referentin bei uns, sicher erbitten bei der zuständigen Stelle in Gotha. Es gibt schon interessante Bausubstanz, die erhalten werden sollte, also die Stadterneuerer hätten genug zu tun – Die Bundesbürger überzeugen sich nun in hohem Maße, wie es „dort“ aussieht und sind einfach bestürzt, wie verkommen doch soviel ist. Es gibt also viel zu tun – packen wir es an!!! – Deine hübschen Handarbeiten, die Du so mühevoll gearbeitet hast – herzlichen Dank dafür. Ich habe ja nur eine Mini-Wohnung…..
Mich wundert, daß meine Päckchen an Dich immer durch den Zoll gehen. Ich schicke nichts Unerlaubtes, daß die das noch nicht gemerkt haben…..
Es ist übrigens wieder ein kleines Päckchen unterwegs an Dich. Ansonsten klingt Dein Brief etwas munterer als bisher. Ist es die Wende?
Nur: Deine Depressionen – das muß wohl nicht sein. Versuche aus eigener Kraft positiv zu denken, Du machst Dich ja selbst krank. Man kann schon mal nachdenken über das Leben – sein eigenes als solches – aber das soll einen doch nicht umwerfen! Jeder hat so sein Schicksal und er muß eben die innere Kraft aufbringen, damit fertigzuwerden. Von außen kann man keine Hilfe erwarten, da muß man selbst durch. Und Du hast ja wohl nicht nur Schweres erlebt – es gab doch auch bestimmt schöne Stunden?
Die Veränderungen in der Welt und im Besonderen in der DDR sind bedeutsam, doch um die Wende herbeizuführen und den Menschen dort wirkliche Lebensqualität zu geben, muß ja wohl noch einiges geschehen. Vor allen Dingen müssen sich die Parteien profilieren, markante Redner müssen sich qualifizieren und klare Vorstellungen den Menschen präsentieren. Die jungen Menschen, die zuhauf nach wie vor in den Westen strömen, denen sollten mehr lohnende Lebensziele gegeben werden. Der Sozialismus – war er wirklich – hat sich nicht bewährt. Und der Weg ist weit, von einem maroden Sozialismus zur Marktwirtschaft……Nur – ich kann gut verstehen, wenn sich unsere Politiker nur zögerlich geben, wenn es um Geld geht. Es wird mit Sicherheit nicht einem kommunistischen System geholfen. Warten wir also den 6.5.90 ab, wie sich die Menschen dort entscheiden. Es heißt hier: mit Behutsamkeit voran…..
Nun könnte man noch über die weiteren Themen zu diesen Dingen diskutieren, aber mir fehlt es einfach an Zeit. Zudem gehe ich aus verständlichen Gründen nicht mit allem konform. Daß sich der „braune Kaffeesatz“ meldet, nun, daß ich weltweit, eine Demokratie muß damit fertigwerden. Mit der Öffnung kommen eben nicht nur die guten Sachen, sondern auch die negativen, die kriminellen u.a. Die Freiheit kostet schon ihren Preis!
Ich fände es garnicht schlecht, wenn Du aus Deinen Erfahrungen heraus, Deine Meinung sagen würdest, was z.B. die Wohnungsbauten betrifft. Warum eigentlich nicht mit Deinem Namen? Es stimmt nicht, daß Du kein Westgeld hast. Ihr könnt doch umtauschen, so wie Deine Bekannten. Also gleiche Chancen. Frau S. hat sich doch viel um Dich bekümmert, warum hast Du sie nicht besucht in ihrer Krankheitszeit?
Betr.: „ungesagtes“ – Du hast mich doch selbst in Deinem Brief darauf hingewiesen und ich habe Dir geantwortet. Wahrscheinlich galt das nur zwischen Dieter und Dir? Ich könnte mir vorstellen, daß Dieter sehr gerne mehr wüßte über seinen Vater. Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben lang danach jagen, mehr von Vater oder Mutter zu wissen, die sie nicht in der Kinheit erlebt haben. Es ist wohl das Qualvollste für einen Menschen. Auch wenn im Rückblick keine gute Meinung hat von den Eltern – auch das ist relativ – irgendwann, sollte man auch mal was Gutes entdecken, die Zeitumstände berücksichtigen, es sind alles Menschen. Es bekommt niemand etwas von uns, wenn er die DDR hier „schlechtmacht“ – wir wissen das alles viel besser und haben nun ja auch Augen zu sehen, was dort los ist. Uns geht es eigentlich mehr um das Wohl des Einzelnen der uns bekannt ist, hier helfen wir, soweit es in unserer Macht und Möglichkeit ist. Umgekehrt ist es ja wohl heute so, daß die Bundesdeutschen „beneidet“ werden von den DDR-Bürgern, wenn sie mehr Lebensqualität sich erarbeitet haben. Also fifty fifty…...
Genug für heute, mit herzlichen Grüßen aus Göttingen, wo z.Zt. doch tatsächlich mal die Sonne scheint….

 

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