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Brief (Transkript)

Friedel H. aus Gotha an Charlotte M. nach Göttingen am 24.01.1988

 

5800 Gotha, am 24.01.1988

Liebe Charlotte!

Herzlichen Dank für Deine Briefe vom 10.01. und 17.01.1988 einschl. der richtigen Bilder von Gotha. Inzwischen hat der Abriß begonnen, wie ich aus der Zeitung entnommen habe. Gesehen habe ich es noch nicht, obwohl mich normalerweise mein Weg des öfteren dort hinauf zu meinen Bekannten in der Schlichtenstraße führt. Zur Zeit ist es mehr umgekehrt. Aber mein Gesundheitszustand ist wieder in Ordnung. Man muß eben manchmal an die Vergänglichkeit des Lebens erinnert werden, sonst wird man zu üppig und übernimmt sich.

Kurz vor Weihnachten habe ich mit der „Schriftstellerei“ begonnen. Als ich es noch einmal durchlas, habe ich es natürlich für unmöglich gehalten. Deshalb habe ich mir das Buch „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ von Simone de Beauvoir herausgeholt, wobei es mir natürlich nur um die A R T des Schreibens ging. Hinzu kam zum gleichen Zeitpunkt ein kleiner Kommentar in einer unserer Illustrierten über diese interessante Frau, den ich Dir mal mitschicke.
Augenblicklich lese ich von Lew Tolstoi „Auferstehung“. Leider habe ich keinen Gesprächspartner, mit dem ich mich über ein solches Buch unterhalten kann und es ist auch für unsere Generation sehr schwer, sich erst einmal in dieses Milieu hineinzuversetzen. Ich bin auf das Ende gespannt und gebe mir trotzdem Mühe, diesem nicht „vorzugreifen“.
Wenn ich manchmal so dasitze und beschäftige mich mit irgendwelchen mehr oder weniger geistlosen Dingen, wo die Gedanken abschweifen können, fallen mir so kleine Episoden aus meiner Kindheit in der Sophienstraße ein. Neulich war das der Brand der Ölmühle am Mühlgraben. Das muß noch im Krieg gewesen sein. Ich weiß aber die näheren Zusammenhänge nicht mehr. Auf alle Fälle war es sehr interessant und auch mit dem Gefühl der Angst verbunden. Vor meinem geistigen Auge werden immer die hohen Pappeln stehen, die die Abgrenzung zwischen Grüner Gasse (vor dem Schrebergarten von unserer Großmutter) und Goethestraße, bildeten. Man müßte in solchen Augenblicken ständig einen Zettel neben sich liegen haben, um in Stichworten solche Momente des Lebens aufzuschreiben. Schriftstellern ist eben gar nicht so einfach. Mir fällt es auch schwer, meine Phantasie oder anders ausgedrückt die Methode des Erzählens anzuwenden und auszuschmücken. Ich glaube, das ist auch der Grund, weshalb ich einmal gesagt habe, daß ich einen Gesprächspartner o.ä. haben muß.
Aber nun genug davon. Ich werde mir weiterhin Mühe geben, mein Leben aufzuschreiben. Vielleicht doch in einer imaginären Zwiesprache?

Seit zwei Tagen gibt es nun auch bei uns Schnee, wenn er auch wieder zu Matsch geworden ist. Ich kann Dich durchaus verstehen, wenn Du bei solchem Wetter nicht mit dem Auto fahren willst, wenn ich es auch bedauere. Seit Wochen überlege ich mir immer wieder, ob ich den Willy und die Ilse zum Mittagessen einlade und habe auch deswegen an Dieter geschrieben, der mir aber noch nicht geantwortet hat. Ich kann eben auch so einiges nicht vergessen. I C H bin ja n i e zu einer Familienveranstaltung eingeladen worden. Unabhängig, ob Du kommen kannst oder nicht, werde ich die beiden einladen. Es wäre natürlich schön, wenn auch Du dabei sein könntest.

In bezug auf den Termin – 03.03. bis 10.03.1988 – kann ich sagen, daß es bei mir nichts gibt, was dazwischen kommen könnte usw. daß dieser Termin schon ausgebucht wäre. Ich bin ja auch unabhängig und könnte, wenn es nicht so wäre, auch etwas rückgängig machen. Ich habe ja genug meine persönlichen Dinge zugunsten der dienstlichen zurückgestellt. Nun bin ich Rentner – und das schon 15 Jahre – da wäre es schlimm, wenn ich mich nicht einrichten könnte. Auch Tabu’s gibt es nicht mehr. Was ich allerdings schnellstens wissen müßte, das ist der Tag der Anreise in Göttingen, damit ich mir eine Platzkarte bestellen kann.

Brauchen tu ich nichts für meinen Geburtstag. Wenn Du allerdings selbst kommen kannst, aber n u r dann, dann wären Gewürzgurken angebracht. Zur Zeit ist davon hier nichts zu haben. Vielleicht so kurz vorher. Aber ich kann ja nicht jeden Tag in die Stadt laufen und in der Nachbarschaft möchte ich auch nicht herumfragen.

Meine Ärztin werde ich im Laufe der nächsten Woche fragen wegen der „Höhe“. Aber ich glaube nicht, daß sie wegen meiner chron. Bronchitis große Einschränkungen macht. Sie wird sicher wegen dem Luftwechsel positiv reagieren.

Ansonsten geht es mir gut. Man muß sich eben auf das Alter einstellen. Dazu gibt es ja in unseren Breiten sehr viel in der Presse zu lesen. Im konkreten Fall ist es allerdings sehr schwer, die guten Vorsätze hinsichtlich der Hilfe andern Menschen gegenüber zu verwirklichen.

Ich hoffe, daß es auch Dir gut geht. So viel ich mitbekommen habe, ist Hanna auch wieder so einigermaßen in Ordnung. Sie arbeitet jetzt nur viereinhalb Stunden. Ich freue mich, wenn die Warnemünder mal wieder hier sein werden. Auch Bärbel wird kommen. Auch sie fährt mit der Bahn, da ja der PKW auch nicht mehr der neueste ist und für lange Fahrten sich nicht mehr eignet.

Übrigens, die Bilder sind schon verteilt und werden in allen Fällen Bestandteil von privaten Chroniken der Stadt Gotha.


Hab zunächst recht herzlichen Dank für alles.

Es grüßt aus Gotha
Friedel

 

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