12.1.79

Liebe Anne!

Die Post, die wir aus der DDR erhalten ist durchweg von schlimmen Nachrichten durchsetzt, ob es Stromabschaltungen, Versorgungsschwierigkeiten, Ehe + Scheidungsprobleme, Krankheiten etc. sind – man kann ja selbst beim Lesen schon verzweifeln, weil man ja selbst die Dinge noch zu gut kennt – hier klingt es für die Einheimischen oft wie Schauermärchen aus einer anderen Welt und man selbst gilt fast als unglaubwürdig, wenn man von den realen Dingen Eurer Wirklichkeit berichtet – . Doch nichtsdestotrotz hoffe ich sehr, daß Du auch im nun kommenden neuen Lebensjahr weiter die Ohren steif hältst und für alle weiter eine Oase der Ruhe und des Friedens bist – denn wenn ich so von Ferne sehe, bist Du doch in Berlin für die Familie so etwas wie ein Ruhepunkt – es kostet sicher viel Kraft und Nerven, immer wieder neue unangenehme Dinge zu verkraften, aber so ganz bleiben doch kleine und große Freuden nicht aus. Es wird höchste Zeit, daß wir mal wieder nach Berlin kommen, es gibt ja soviel zu erzählen nach so langer Zeit des Nichtsehens. Letzten Sonntag lernten wir Dietlind M.-S. vom Berliner Ensemble kennen, Schwester von Armin M.-S., den wir inzwischen auch persönlich kennengelernt haben. Sie, Dietlind war zur Beerdigung ihrer Mutter hier in Bad Pyrmont und hatte echtes Grausen, wieder zurück zufahren, was wir gut verstehen konnten. Die nächste Reise ist erst wieder als Rentner möglich! Man fragt sich gequält, was noch so an Dingen zu erwarten ist – wir leiden da wirklich mit und sind froh und dankbar, wenn es uns hier so gut geht und wir gesund bleiben.
16.1.79 – nun lag der Brief doch noch einige Tage, heute gedenke ich Dir doch besonders – hoffentlich bist Du gesund und trotzt den Unbilden des Winters – hast es warm und gemütlich in der Wohnung! Nun schnell zur Post und abgeschickt – wieder mit Verspätung! Ich hoffe auf ein gesundes Wiedersehen in diesem Jahr, viele liebe Grüße Dir und Horst! Erika + Uli