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Brief (Transkript)

Erika D. aus Schieder an Annegret S. nach Ost-Berlin am 21.01.1970

 

ERIKA D. SCHIEDER, DEN 21.1.1970

Meine liebe Anne!

Erst einmal noch ganz liebe und herzliche Wünsche für’s neue Lebensjahr! Mein Päckchen wird Dich hoffentlich pünktlich erreicht haben, zum Brief reichte die Zeit nicht mehr aus. Letzte Woche war der Maler in zwei Zimmern, es erstrahlt zwar alles in neuem Glanz, aber die Arbeit war mir fast zu viel, das Durcheinander in der Wohnung und die lebhaften Kinder dazwischen, ich war abends immer reichlich k.o. Endlich sind auch die Gardinen genäht und so nach und nach kommt wieder Ordnung in die Wirtschaft. – Das Weihnachtsfest verlebten wir mit viel Faulenzen und Spazierengehen, sowie gutem Essen, und diesmal ohne den vielen Familienbesuch. Zu Sylvester gingen wir hier in ein Lokal im Ort und schwangen das Tanzbein, es war recht nett, wir waren sonst immer zu Hause, entweder wegen Kinderkriegen oder wegen Geldmangel – diesmal gings uns da besser!! –
Es ist nun schon wieder der 30.1. an dem ich weiter schreibe und von Dir kam auch schon die Bestätigung des Päckchens. Ich habe für den Führerschein die Fahrstunden wieder aufgenommen und bin 3 Vormittage nicht zu Hause, da muß eben manches liegenbleiben. Bis jetzt bin ich 7x gefahren und es macht noch Spaß, für die Kinder habe ich eine ehemalige Nachbarin, eine ältere Frau, die viel Spaß am Betreuen der Kinder findet, die auch morgens abwäscht, mit den Kindern an die Luft geht und [?] noch das Essen aufsetzt. Zum Fahrenlernen muß ich immer erst 24 km nach Detmold kutschieren, dort 45 min im dicken Verkehr kurbeln und gegen 11.00 dann mit dem Bus wieder zurück, es ist anstrengend und bei der Kälte kein Vergnügen, aber ich will sehen, daß ich bald die Fahrprüfung machen kann und Dir dann meine Fahrkünste vorführe, falls Uli mich läßt. Ulrich ist heute in Bochum, um seine Mutter für 14 Tage hierher zu holen. Sie muß unsere Gören am nächsten Wochenende hüten, wir sind zu einer großen Faschingsfete in Hildesheim eingeladen, da freuen wir uns schon sehr drauf und ich habe immer noch kein Kostüm außer ein paar lila Chrysanthemen aus Papier, lila Handschuhe – der Rest fällt mir noch ein bis zum 7./8.2. – (alter Hosenanzug vom Sommer)
Anne, Du schreibst schon wieder von Kopfschmerzen – es tut mir leid, daß sich das alte Übel noch nicht gebessert hat. Wir sind ja bis jetzt bestens über den Winter gekommen, die Kinder sind alle recht munter und nur an der frischen Luft.
Heute ist nun schon Aschermittwoch und der Brief weder fertig noch fortgeschickt. Inzwischen waren wir 2x beim Fasching und haben uns genügend ausgetobt – nun müssen wir den Schlaf nachholen. Ulrichs Mutter ist noch da, da sind mir die Kinder etwas vom Halse und es ist Ruhe zum Schreiben. Unser nächster Besuch bei Dir rückt doch so langsam näher, geplant für 15./16.3. also vor Ostern, wenn das Wetter gut ist wegen der Autofahrerei. Meine Eltern gehen am 2.4. zur Kur, falls wir dann im März nicht kommen, wird es erst Mai. Dann können wir ja wieder ausreichend erzählen – vor allem alls das, was wir das letzte Mal vergessen haben! Inzwischen hoffe ich, daß aus Apolda wieder ein Gruß eingetroffen ist, vielleicht schreibst Du dann kurz ein Kärtchen. Wir wollten hier an einem Donnerstag fahren, Freitag/Samstag, Sonntag in O Berlin, Montag wieder zurück – welchen Tag willst Du am liebsten haben – auch Oper oder Theater wollten wir wieder genießen – Brecht Ensemble wäre auch gut – das kannst Du ja am besten erfahren, was an den Tagen los ist, evtu. auch bei Rita anfragen, ob sie wieder mitgehen. – Ob wir diesmal einen Platz zum Essen finden? Rechtzeitige Vorbestellung erwünscht oder wir braten uns was Feines bei Dir – auf das gute Letscho habe ich Appetit!
Deine Weihnachtsgeschenke sind hier voll im Einsatz und wir haben uns sehr gefreut. Die Modehefte sind auch gut, wirklich schöne Modelle dabei und mit unserem guten Stoff auch zu verwerten. Nur mit der Zeit für’s nahen haperts, erst muß ich mal die Fahrschule fertig haben, dann gehts wieder los, Stöffchen liegen schon da, teilweise schon zugeschnitten. Übrigens der Schlafanzug – es war nur ein Probezuschnitt für einen Sommeranzug, die Hose sitzt prima mit etwas festerem Stoff (Dekoleinen – Sommeranzug) mache Dir doch gleich einen Papierschnitt davon, falls noch nicht genäht und nähe Dir für den Sommer Hose und ¾ langen Kasak ohne Ärmel – möglichst groß geblümt, für den Urlaub ideal!
Uli hat mir einen schönen Hosenanzug gekauft, dunkelblauer Mantel, 2 reihung mit Silberknöpfen und passender Hose, ich habe mich sehr gefreut und finde mich todschick darin – zwar klein und fett, aber die Sache steht mir gut. Sicher ziehe ich ihn in Berlin an zum Vorführen. Wie weit ist Dein Anzug aus lila Cord? Wenn der Frühling plötzlich kommen sollte, ist er nicht fertig!! Mache den Mantel so lang, daß Du ihn auch als Minimantel tragen kannst, kurz ist hier immer noch aktuell und ich muß immer noch die Säume ändern oder ganz lange Kutschermantel schleppen. Daß Dir der graue Mantel gefällt, ist prima, ich wollte ihn noch färben lassen und weiter schleppen, aber da der Hosenanzug in Sicht war, trennte ich mich doch davon. Rita schrieb nach einem Muster für ein Spitzenkleid – sie hat wohl nicht die rechte Fantasie, hier gibts derartige Modelle er für alte Damen, ob Du nicht mal mit ihr redest und Vorschläge machen kannst? Ich bin immer für Hemdblusenform mit breiten Manschetten oder für Prinzessform, großer Ausschnitt, glatter Ärmel oder einfach Kinderkleidform. Sie schrieb nach Weihnachten, daß sie 14 Tage vor dem Fest eine Fehlgeburt gehabt hätte – ob aus ihrem damaligen Zustand der Pessimismus herrührte? –
Nun will ich enden, und vor allem den Brief endlich abschicken, Du weißt nun erst einmal, daß wir bald kommen und noch gesund + munter sind. Ich grüße Dich ganz lieb und auch Frau Mama mit all meinen Mannern
Deine Pimpi

 

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