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Brief (Transkript)

Annegret S. aus Ost-Berlin an Ute B. nach Ulm am 22.02.1971

 

Berlin, den 22. Februar 1971

Meine liebe Ute!

Bis eben habe ich mein Maschinchen dienstlich strapaziert, nun hoffe ich, daß Du es mir nicht krumm nimmst, wenn ich Dir gleich auch auf diese Art schreibe. Es geht doch ein bißchen schneller und außerdem brauchst Du nicht an meiner Klaue zu rätseln und Dich nur über die zu erwartenden Tippfehler wundern, die ich mir wahrscheinlich auch in den nächsten 15 Jahren nicht abgewöhnen kann.
Nun aber zuerst zu Deinem Geburtstag: Laß Dir lieb gratulieren und Dire für das nächste und neue Lebensjahr viel Freude, Gesundheit und nun, da Du wieder ins Berufsleben einsteigen willst, besonders auch da viel Erfolg und Befriedigung wünschen.

Ich habe mich natürlich sehr über Deinen langen Brief gefreut und danke Dir dafür ebenso, wie für Dein liebes, vor kurzem erst eingetrudeltes Päckchen. Die Strumpfhosen sind sehr hübsch und passen gut. Sehr habe ich mich auch über die entzückenden Servietten gefreut (die blauen passen besonders gut zu meinem Geschirr) und über die duftende Seife natürlich auch.
Und nun erst einmal zu Deinem Brief. Weißt Du, manchmal kann ich es gar nicht glauben, daß wir nun schon zehn Jahre lang nicht mehr gemeinsam arbeiten. Die Zeit damals war doch so einprägsam durch unsere fröhliche Gesellschaft und es ist großartig, daß wenigstens ein Teil von uns noch so guten Kontakt hat, trotz des seltenen Zusammenseinkönnens. Mir kommt es nie so vor, als hätte so lange nichts von Dir gehört – oder von den anderen. Gleich ist die Verbindung wieder gut. Natürlich sind wir auch entsprechend älter geworden – übrigens dies Foto von Pimpinella war nicht sehr aussagekräftig, sie ist in natura längst nicht so fraulich und würdig, wie da, sondern frisch und munter, wie eh und je. Zwar sind 34 Jahre so für sich betrachtet ganz schön viel, aber ich finde es überhaupt nicht schlimm und möchte eigentlich keins der erlebten Jahre hergeben, höchstens welche zwischen 15 und 18, da habe ich micht schrecklich doof in Erinnerung. – Pimpinella und Uli waren im November wiederum hier und bald wird es schon zur Gewohnheit. Allerdings waren sie nach den letzten Tagen dann sehr abgekämpft. Das Hin und Her ist schon anstrengend und die Zeit reicht nie ganz aus. Es kostet schon einige Nerven, und nicht nur die. Um so mehr freue ich mich, daß sie im letzten Brief von einem erneuten Kommen sprachen, wenn auch bisher ohne Termin. Natürlich wäre es großartig, könntest Du mal mit dabei sein. Aber natürlich wird das etwas schwierig zu machen sein für Euch. Auf jeden Fall hoffe ich sehr, daß Du Dich endlich mal wieder hier sehen läßt. Daß Deine Eltern Deine Stunden in L. möglichst für sich haben möchten, verstehe ich natürlich vollkommen, ich weiß ja, wie schwer ich schon von zu Hause wegkomme, wenn ich mal übers Wochenende da bin. –
Von Tine habe ich auch mal wieder einen mündlichen Gruß erhalten. Mutti hatte sich in Hannover mit ihr verabredet, weil sie dort umsteigen mußte. Tine erschien mit Mann und Söhnchen auf dem Bahnhof und Mutti war sehr froh über die sehr herzliche und nette Begrüßung. Tine arbeitet nur noch zeitweilig, ihr Mann hat wohl eine Assistentenstelle an der TH dort und Sohnemann ist trotz seiner (oder wegen) psychologisch studierten Mutter etwas verzogen. Leider war die Zeit zu kurz, um ausführlich über alles zu berichten. Auf jeden Fall sind sie jetzt auch über den Berg und es geht ihnen recht gut. –

Vorigen Sonnabend war Familie S. mal wieder vollzählig hier, um den schon zu den Weihnachtsfeiertagen geplanten Besuch nachzuholen. So ist das immer mit unseren Zusammenkünften. Durch Kinder und deren Krankheiten, Sigrids Studium und sonstige Dinge liegen immerviele Wochen dazwischen, bis wir uns wieder einmal sehen. Sigrid hat nun über die Hälfte ihrer Studienzeit herum, ist darüber natürlich sehr froh, denn einfach ist es nicht, daß neben der Familie durchzuhalten. Sie macht es sich auch nicht leicht und versucht, die Kinder nicht allzu sehr unter ihren Arbeiten leiden zu lassen. Vor allem in den Schulferien macht sie sich fertig, um Gudrun diese Zeit ein bißchen schön zu machen. Roland wird nun auch schon wieder vier Jahre und wächst so ein bißchen ins Rüpelalter hinein. Gudrun beginnt nun schon langsam, eine kleine Dame zu werden. Sie bastelt und malt sehr nett und hat immer etwas vor.
Na, wenn nicht früher, dann aber bestimmt in 26 Jahren müssen wir uns mal alle an einem Tisch finden (Onkel M. holen wir uns dann im Rollstuhl dazu). Einzeln werden wir uns ja zwischenrein schon mal wieder treffen.
Wann wirst Du denn mit Deiner Arbeit beginnen? Sicher wird das recht interessant und Angst mußt Du wohl nicht davör haben. Auf jeden Fall wünsche ich Dir alles Gute für den Beginn dort.
Nun fragst Du, was ich treibe. Eigentlich habe ich immer mehr zu tun, als ich schaffen kann. Als neuestes habe ich mir eine elektrische Nähmaschine zugelegt und bin dabei, die Familie zu benähen, zwischen durch denke ich natürlich auch man an mich. Mutti war bis Ende Januar hier. Mit einigen Sachen für sie habe ich angefangen. Dann bekamen die S.-Kinder Schlafanzüge (die aber noch nicht fertig sind!) und jetzt war Bärbel dran, die gestern Geburtstag hatte. Sie erwartet wieder ein Baby und hat nicht Zeit und auch keinen Elan, sich selbst was zu nähen. So bekam einen Weste-Hosen-Anzug, einen Kleiderrock und ein Nachthemd. Das macht mir viel mehr Spaß, als mich mit der Wirtschaft herumzuschlagen. Allerdings schaffe ich es kaum, wochentags große Dinge zu unternehmen. Das meiste konzentriert sich aufdie Wochenenden und die sind immer zu kurz. Kürzlich hatte ich noch Vorjahresurlaub und war ein paar Tage in Dresden. Das war sehr schön zur Abwechslung und ich habe dort von jedem etwas gehabt, Ausflug, Stadtbummel, Museum, Konzert, Babysitten, Familienpläusche. Ab und an fällt dann auch mal wieder ein Wochende wegen Kopfschmerzen „aus“. Aber das vergesse ich ziemlich schnell wieder und zwischendurch geht’s mir ganz gut.
Hannelotts Mann hat nun Anfang des Jahres in Eschborn/Taunus eine Augenpraxis eröffnet und alles ging über die Maßen gut. Schon so gut, daß er manchmal abends nicht vor 21 Uhr nach Hause kommt. Sie wohnen jetzt in Schöneberg in einem Hochhaus mit einem Ausblick auf den Taunus, von dem Mutti sehr schwärmt. Der große kam im Herbst zur Schule und der kleine Bruder ist ein ziemlicher Wildfang. Leider haben wirdie Beiden im vorigen Jahr nicht zu sehen gekriegt. Hoffentlicht wird Ostern aus dem geplanten Besuch endlich etwas. Dann werde ich auch mal wieder meine fast eingerostete Kamera herausholen, denn eigentlich macht es mir nur noch Spaß, die Kinder zu fotografieren. Dann werde ich mal wieder ein langes Dunkelkammerwochenende einschieben und die Fotos von Weihnachten 1969, Ostern 70 usw. Vergrößern. Bei einem Film lohnt sich der ganze Aufwand nicht. Jedenfalls verteile ich dann wieder Fotos in Massen. Sonst gibt es in der Sippe keine besonderen Neuigkeiten.
Ich sitze übrigens mit meiner Brille von vor 11 Jahren auf der Nase hier – hab sie gerade hervor geholt, weil mir die Augen tränten.
Kann man mit unserem jugendlichen Alter schon eine Brille haben müssen? Sag mal, was hast Du jetzt für eine Haartracht? Wir alle können uns nicht vorstellen, wie Du anders aussehen kannst.

So, habe ich jetzt genug erzählt? Ich habe kalte Füße und muß mir jetzt eine Tasse Kaffee machen. Dann setze ich mich mit dem „Strickstrumpf“ vor die Röhre! (ist das auch eine Alterserscheinung?)

Hab nochmals herzlichen Dank, grüß Deinen Jork und laß Dich mit vielen guten Wünschen her zlichst und lieb grüßen von Deiner

Anne

Ich hoffe, daß Du an dem roten Dingsda ein bisschen Freude hast + Du noch ein paar Papierchen drin unterbringen kannst.

 

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