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Brief (Transkript)

Ute B. aus Ulm an Annegret S. nach Ost-Berlin am 10.12.1961

 

2. Advent 1961

Meine liebe Anne!

Obwohl ich vor Deinem letzten Brief auch lange nichts von Dir gehört hatte, drückt mich mein schlechtes Gewissen, Dir einen Schriebs zu fabrizieren, schon wochenlang. Ich habe immer eine Menge Post in der Mittagspause erledigt, aber das geht halt nur für kürzere Sachen. Hab also für Deinen Brief vom 17.IX (!) recht vielen Dank. Aber glaubst du, mir kommt es wirklich noch gar nicht so lange vor, daß wir nicht mehr miteinander arbeiten, und dabei sind wir fast schon 1 Jahr nicht mehr zusammen. Weißt Du, ich schreibe 2 mal pro Woche an meine Eltern und 1 mal an meine Schwiegereltern. Aber das ist ja das Einzige, was meinen Eltern daheim Freude macht, und es ist alles so traurig in diesem Jahr gegangen, daß man oft nicht weiß, wie sich das mal alles lösen soll. Vielleicht ist auch die ganze Bedrängnis Schuld daran, daß einem noch gar nicht so recht weihnachtlich zu Mute ist.
Meine Mutti versucht ja, für mich ganz kurz zwischen Weihnachten und Neujahr eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, und ich würde mich auf ein Wiedersehen mit Euch allen riesig freuen, obwohl ich absolut kein Heimweh habe.
Weißt Du noch wie sonst jedes Jahr um diese Zeit an den Neujahrsgratulationen gekaut wurde? Und wie Du voriges Jahr von Deiner „Weltreise“ zurückkamst? In der Zwischenzeit habe ich auch meine erste Auslandsreise unternommen, es war unsere verschobene Hochzeitsreise. Und stell Dir vor, wir konnten sie sogar mit unserem eigenen Auto (einem einfachen grauen Volkswagen) durchführen. Wir fuhren am Bodensee vorbei über den Arlbergpaß nach Innsbruck, von dort über den Brenner nach Oberitalien in die Dolomiten. Dort sind wir 8 Tage Mitte Oktober bei herrlichem Wetter tüchtig gewandert und bissel berggestiegen. Zurück gings dann noch durchs Berchtesgadener Land und über Salzburg nach München.
Ja, stell Dir vor, Dorle ist auch seit einigen Monaten in München, und wir haben Glück, daß die Entfernung zwischen Ulm u. München (130 km) für hiesige Verhältnisse ein Katzensprung ist. Allerdings Geld kostet’s auch `ne ganze Menge, aber danach fragt man ja heute weniger. Gerade bei uns – wo man gewöhnt ist, jahrelang auf ein Wiedersehen zu verzichten – nutzt man natürlich jede Gelegenheit, um sich zu sehen, wenns halbwegs geht. Sie hat auch gleich angefangen, in einem Verlag zu arbeiten, denn sie hat es auch auf eine ganz seltsame Weise hierher verschlagen. Erich hat übrigens inzwischen geheiratet.
Von den Institutsleutchen hört man so gut wir gar nichts. Nur Frau B. unterrichtet mich regelmäßig über alles Neue, aber man wird aus ihrem Schriftdeutsch kaum schlau manchmal. Wenn ich richtig verstanden habe, ist „meiner“ gestorben und auch ihre alte Schneiderin, so daß sie sich recht verlassen vorkommt. Anita war ja vorübergehend in der Tierklinik in dem Institut, in dem auch meine Freundin Rosemarie arbeitet! Jetzt will sie wohl wieder zurück in die Fichtestr., in die Zoologie als Präparatorin. Neulich schrieb auch mal Frau B. Von Christine S. (ich weiß gar nicht, wie sie jetzt heißt) und von Frl. W. hört man allgemein nichts. Ursel wäre sooo verschwiegen! Ach Du, vielleicht können wir uns mal treffen? Bist Du zu Weihnachten zu Hause? Ich möchte auch gern mal wissen, wie es Eurer Bärbel geht und wie sich Karle in sein Schicksal gefunden hat. Das hat mich wirklich sehr erschüttert, aber ich weiß ja noch …
Weißt Du, jetzt muß ich Dir mal etwas zu einem Weihnachtspaket erklären, was bei Euch daheim auftauchen wird: Ich habe hier eine sehr nette Kollegin (Elisabeth G., Ulm/Do. [Straße]), die meinen Sorgen recht viel Verständnis entgegengebracht hat. Sie hat aber keine Bekannten bei uns zu Hause und hat aber gesagt, daß sie auch jemandem eine kleine Freude machen möchte. Und so ist’s zu Eurem Paket gekommen, was unter meinem Absender an Eure Mutti abging. Wenn Ihr also ein Dankkärtchen schreibt, dann bitte nicht an mich, ich habe Deiner Mutti auch eine Karte geschrieben und den Absender nur deshalb so gewählt, daß sie ungefähr weiß, und es nicht etwa zurückschickt. Weißt Du, Anne, ganz offen gesagt, hätte ich Dir zu Weihnachten nämlich nichts geschickt denn so haben wir es doch früher auch gehalten, aber Deinen Geburtstag vergesse ich nicht. Hast Du dafür einen Wunsch?
In unserem Amt geht es nun schon ½ Jahr ohne Chef, und das ist eigentlich recht ideal. Es herrscht überhaupt die gleiche Atmosphäre untereinander wie früher bei uns. Inzwischen habe ich auch einige Leute kennengelernt, mit denen man zusammenarbeitet, die Chemikalien- und Glasgerätebestellung ist gleich bummelig wie bei G. und allgemein sind es doch hüben und drüben überall die gleichen Menschentypen, die man so antrifft. Nur entstehen die Sorgen hier oft aus viel kleineren Anlässen, aber für die Menschen selbst sind sie genau so groß wie die Sorgen auf der anderen Seite. Übrigens war ich von Pimpis Entschluß auch maßlos überrascht. Weißt Du – wie das so manchmal bei einem ist – überkam es mich auch mal, nach Weimar zu schreiben. Es muß doch auch im Sommer gewesen sein, kurz auf die gemeinsame Karte von Euch aus Taucha. Und diese Karte kam auch an mich zurück. Wo sind sie denn jetzt? Hörst Du von ihnen? Und was macht Christine? Und warum ist Sigrid allein weggegangen? Schön, daß Du meine Mutti neulich mal angerufen hast, so weiß ich auch gleich Deine neue Adresse und wünsche Dir noch alles Gute zum Einzug.
Schön, daß es in Krummhennersdorf für Euch nette Tage gegeben hat. Und, daß Du Dir immer mal bei den Dewitzern Trost suchst, glaube ich gern.
In der Beziehung haben wir hier auch noch nichts gefunden. Der Gottesdienst als solcher ist auch so ganz anders und fremd, kurz und bündig, ohne Liturgie, aber dafür 2 mal am Sonntag 8.00 u. 9.30
So, nun muß ich auch nochmal an meine anderen Briefschulden denken. Halte mir mal tüchtig den Daumen, daß wir uns nach Weihnachten mal sehen und sprechen können! Wenn Du jemanden triffst, dann richte nur von mir Grüße aus. Für Dich und Deine Mutti samt Deinen Geschwistern wünschen wir noch eine schöne Adventszeit und ein recht gesegnetes Weihnachtsfest.
Deine Ute und Jork.

 

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