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Brief (Transkript)

Familie P. aus der DDR an Familie B. nach Stuttgart am 06.05.1990

 

[...], d. 6. Mai 90

Meine liebe Ingrid, lb. Jörg u. lb. Kinder!

Heute haben wir wieder Wahltag und der Bernd kandidiert als parteiloser Bürger für unsere Gemeinde [...]. Soeben ist er zum 2.mal ins Wahllokal gegangen, um an der Stimmenauszählung teilzunehmen. Aufregend für uns – aber am 18. März war es aufregender, weil wir uns endgültig vom alten Regime trennen wollten. Tino + Ivonne sind auch auf Achse u. so will ich meine freie Sonntagszeit endlich dazu nutzen, um Euch Lieben endlich wieder einmal zu antworten, auf Euren lieben langen Brief die schöne Karte vom Gardasee u. Jörgs Dankeskarte. Genau in 4 Wochen, so Gott will, werdet Ihr Lieben bei uns sein – u. wir wollen Euch nochmals wissen lassen, daß wir uns ganz arg auf Euer Kommen freuen. Kommen die Kinder mit – sie können sehr gern u. könnten auch bei den Eltern schlafen. Wegen des Platzes braucht Ihr Euch also keine Gedanken machen. Hauptsache Ihr kommt, wir sehen uns, können miteinander schwätzen, unternehmen etwas gemeinsam u. ist das Wetter schön, gehen wir auch baden. Gestern hat der Bernd den Pool mit Folie auslegen lassen. Bevor die Währungsunion kommt, dann wissen wir ja auch nicht, wie teuer es werden wird. Übrigens wißt Ihr schon, daß wir unser Auto verkauft haben? Eine Firma wollte es haben, weil sie es als Lieferauto nutzen wollen. Und so haben wir es noch für 13.000 M verkaufen können. Es ist schon beschwerlich so ohne Auto, wir haben zwar den kleinen Stinker (Trabi) vom Vati, aber diesen nutzt nun vorwiegend unsere Ivonne. Und irgend etwas gibt es immer zu besorgen. Naja was soll’s, zu Anfang waren wir ganz traurig, irgendwie gewöhnt man sich an alles u. das Auto gehört halt mit dazu. Und nun möchte der Bernd natürlich auch ein westliches Auto, ich habe zwar geschimpft u. war der Meinung, wir konnten noch 10 Jahre damit fahren (sicherlich wäre es dann auseinander gefallen).
Es hat sich so viel in den letzten Wochen ereignet u. ich weiß garnicht, womit ich zuerst beginnen soll. Unsere ersten Gemüsesorten haben wir gut verkauft. Bei diesen sommerlichen Temperaturen wachsen auch die Tomaten. Es gibt in den Geschäften auch rote Tomaten zu kaufen (aber das Kilo für 18 Mark) da warten wir lieber noch ein paar Wochen. Bananen, Apfelsinen, Kiwi u. Joghurt haben wir uns schon für DM geleistet. Die Märkte sind voll mit Händlern aus der BRD, es gibt fast alles zu kaufen für DM + Ost-Mark (3:1). Für uns ein eigenartiges Gefühl, weil wir dies so garnicht gewöhnt sind. Aber die guten Sachen gewöhnt man sich schneller an, als umgedreht. Und ab Juli sind wir dann auch stolze Besitzer der DM – aber eigentlich berührt uns dies nicht so sehr, ich glaube wir werden unser Leben nicht sehr umstellen, nur etwas mehr reisen, dies möchten wir schon.
12. Mai – eine Woche ist fast schon wieder vorüber, aber heute lege ich den Brief nicht eher aus der Hand, bevor er beendet ist. Ich sitze in der Küche und backe Kuchen bzw. d. Herd. Wir haben nämlich heute u. morgen ein kleines Festle (Hochelse) in [...] – Scharnhorstfest u. morgen verkaufen die Frauen aus [...] für die angereisten Gäste Kuchen. Sogar aus Frankreich + Belgien kommen in diesem Jahr Interessengruppen – wir finden es toll, wie sich so alles gelockert hat. Morgen soll sogar das Fernsehen kommen. Heute Vormittag habe ich Bockwurst verkauft u. morgen ist ja Muttertag u. da seid Ihr sicherlich auch wieder in Aktion.
Wahrscheinlich fahre ich nächste Woche Sonnabend + Sonntag von unserer Kirchengemeinde nach Kassel. Ich werde mich dann mal melden. Wir denken so oft an Euch u. freuen uns immer wieder darüber, daß wir Euch damals kennenlernten in Ungarn. Nun freuen wir uns aber erst mal auf Euer Kommen. Helga hat dieser Tage geschrieben, sie möchten auch noch ein paar Zeilen von uns haben. Sicherlich habt Ihr schon alles abgesprochen. Wir wünschen Euch eine gute Fahrt, bleibt gesund – bis zum Wiedersehen grüßen u. umarmen wir Euch in herzlicher Verbundenheit

Eure
P.s

Lb. Grüße auch an die Omis!

 

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