[...], d. 26.Okt.88

Meine liebe Ingrid, lb. Jörg u. lb. Kinder!

Der Bernd u. der Tino sind heute Abend im Leipziger Stadion zum Fußball. Ivonne muß nicht mehr aufgefordert werden, zeitig ins Bett zu gehen, nein, von ganz allein geht sie beizeiten ab. Ich sitze nun allein da u. möchte nun endlich heute meine Briefschulden erledigen. Euch habe ich bedrängt, warum Ihr so lange nicht’s von Euch habt hören lassen u. nun wartet Ihr sicherlich auf unsere Antwort.
Zuerst möchten wir uns ganz herzlich für Euren lieben und ausführlichen Brief bedanken u. die schönen Bilder. Meiner Erinnerungen gingen sofort wieder zu Euch. Es ist auch jetzt noch ein schönes Gefühl, daß ich bei Euch sein durfte u. wie viel Sehenswertes Ihr mir gezeigt habt. Dies hat wahrscheinlich in meinem Bekanntenkreis nicht jeder erlebt u. dafür bin ich Euch natürlich immer noch dankbar – wahrscheinlich mein ganzes Leben, denn hättet Ihr mich nicht eingeladen, hätte ich den „Westen“ wahrscheinlich erst als Rentner kennengelernt. Seit dem ich nun in Speyer bei den Verwandten war, hat der Onkel schon 2x geschrieben u. er hat sich auch so gefreut, schrieb er, daß meine Freundin (das bist Du Ingrid) ihm Bilder geschickt hast, er befindet sich z.Zt. in Kur bei Stuttgart, aber die Groß-Cousine (seine Tochter) hat seit meinem Besuch noch nichts von sich hören lassen, sie meint, hättest du Telefon, würde ich öfters mal anrufen. Und nun muß ich wieder feststellen, welch ein Opfer bringt Ihr uns dagegen. Er ist schön zu wissen, daß wir solch nette Bekannten gefunden haben. Und deshalb haben wir uns ein bisl gesorgt um Euch. Plötzlich kam uns der Gedanke – sie werden doch nicht in Ramstein zu dieser Flugübung gewesen sein. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als dann an einem Freitag der große Brief da lag, als ich vom Geschäft kam. Und noch mit Eilpost u. soviel Porto dafür, dies dürft Ihr aber nicht wieder machen. Sonst denken wir wirklich, Ihr habt nur Wirtschaft mit uns.
Nun schreibe ich noch mal ein bischen ausführlicher über unseren Urlaub. Ja, Ihr habt schon richtig bemerkt, daß es uns nicht so arg gefallen hat. Der Strand u. das Meer waren schön sauber, aber alles andere. Ein ganz bescheidenes Zimmer mit 3 Betten, 1 Waschbecken u. 1 Schrank. Aus der Leitung kam nur Salzwasser, also zum Trinken nicht geeignet. 1 Toilette für ca. 50 Personen u. nicht sehr sauber. Und das Essen war mehr als bescheiden. Mir tat dies ja gut u. ich hatte gleich etwas abgenommen, aber der Bernd hat nur gescholten und dies kostete mehr als 1.000 Mark für 3 Personen. Wir hoffen nur, daß es bei uns nicht auch so wird. In den Metzgerläden hingen nur wenige Würste (Grützwurst – aus Buchweizengrütze) u. 1 Speckseite. ½ Pfd. Kaffee kostet 54 Mark (natürlich nach unserer Mark) Nun habe ich West + Ost in einem Jahr kennengelernt, dies ist wie Tag u. Nacht, oder wie schwarz + weiß. Diese armen Menschen sind wirklich zu bedauern. Wir hatten uns etwas von zu Hause zu unserer eigenen Versorgung mitgenommen u. so konnten wir einer Frau mit 5 Kindern etwas abgeben. Ob sie heute noch manchmal an uns denkt. Ich glaube so schnell machen wir dort keinen Urlaub mehr. Deshalb möchten wir immer wieder gern nach Ungarn, weil dies für uns Ost-Deutschen, der Westen des Ostens ist. In diesem Jahr konnten wir nicht 1 Weintraube essen, dafür haben wir aber viel Äpfel u. Birnen geerntet. Wir Erwachsenen bringen dafür noch eher Verständnis auf, als die Kinder. Es gab wohl mal welche, aber bevor ich in der langen Schlange dran war, waren sie all. Aber ohne Weintrauben kann man leben. Wir sind auch nicht immer unzufrieden, lb. Ingrid, nur wie oft müssen wir fahren, bis wir etwas bekommen. Wir haben jetzt Ivonne + Tino einen Annorak gekauft. Sie haben zusammen nur 680 Mark gekostet. Und da muß ich mich wieder mal fragen, wie machen es die Menschen bei uns, die kein zusätzliches Einkommen haben. Wir sind aber trotzdem froh, daß wir welche bekommen haben, denn es dauert nicht mehr lange, da werden sie gebraucht. Solch eine Jacke, Ingrid, die wir für Ivonne in Tübingen gekauft haben, kostete bei uns 500 Mark u. Ihr werdet es nicht glauben, sie werden auch gekauft. Ist doch Wahnsinn, oder?
Immer wenn ich im Fernsehen von Stuttgart etwas höre, bin ich ganz hellhörig. Ich bin meiner Familie etwas voraus u. z.Zt. sieht es mit dem Reisen zu Euch garnicht so gut aus, viele werden abgelehnt von den Antragstellern. Nun freuen wir uns schon wieder auf das kommende Jahr, wenn Ihr uns besuchen kommt. Martina gratulieren wir natürlich herzlich zum neuen Wägele u. wenn Simone so weit ist, wird sie sich sicherlich auch eins zulegen. Dann müßt Ihr vielleicht die Straße verlängern. Hat sich inzwischen schon etwas vom Beruf ergeben? Und was macht Euer Herr Pfarrer? Die unsrige Pastorin hat seit kurzem einen Trabant von unserer Partnergemeinde bekommen. Ist das nicht edel? Seht Ihr Montags die Serie „Oh Gott, Herr Pfarrer“? Ganz schön locker u. sie gefällt uns recht gut.
Seid Ihr schon mit der Gemeinde verreist? Wir denken so oft an Euch. Eigentlich müßtet Ihr immer mal den Gluckser haben!!!
Am Freitag habe ich Klassentreffen. Nach 20 Jahren sehe ich verschiedene Klassenkameraden zum ersten Mal wieder. Ich freue mich sehr darauf.
Der Tino hatte mal wieder etwas gebrochen u. zwar an der rechten Hand den Ringfinger. 3 Wochen Gips waren das Resultat Aber inzwischen ist alles wieder in Ordnung.
Ich glaube Ivonne gefällt es in der Lehre jetzt etwas besser. Nur die Schule mit den Fächern sozialistisches Recht, Staatsbürgerkunde, Politökonomie liegen ihr nicht so sehr, ist ja auch kein Wunder.
Der Bernd hat inzwischen die schöne Klinke an der Gartentür angebracht. Alle wollen wissen, wo es diese zu kaufen gibt, man sieht eben, daß sie nicht von uns ist.
Ansonsten geht es uns allen gesundheitlich noch ganz gut, was wir natürlich auch von Euch hoffen. Was macht denn der Tanz-Club? Seid Ihr immer noch eifrig beim Tanzen? Bei uns geht am 11.11. wieder die Karnevalssaison los. Dann sind Bernd + Ivonne wieder 4 mal weg. Ich gehe nur 1x mit
Inzwischen ist es gleich 10.00 h u. meine Leute werden bald von Leipzig kommen. Sicherlich ausgefroren, denn es ist schon ziemlich kalt.
Soeben läuft im Fernsehen ein nicht sehr schöner Film über ein krankes Mädchen, ich muß immer mal hinsehen. Aber ich will unbedingt den Brief zu Ende bringen, damit ich ihn morgen in den Kasten werfen kann.
Natürlich, hat sich Muttis Bruder nicht gemeldet. Ich habe mich schon geärgert, daß ich überhaupt etwas unternommen habe. Ich glaube nicht mehr daran, daß er etwas von sich hören läßt. Dies war natürlich eine Möglichkeit, was werdet Ihr nun von uns denken? Aber für seine Verwandtschaft kann man ja nicht’s.
Und was machen die Omis? Ich wollte immer mal an sie schreiben. Nun wird es ruhiger, ich glaube es wird noch werden.
So meine lieben B.’s, laßt es Euch gut gehen, bis zum nächsten Brief grüßen Euch alle ganz lieb

Eure P.s