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Brief (Transkript)

Familie P. aus der DDR an Familie B. nach Stuttgart am 24.01.1988

 

24.1.88

Meine liebe Ingrid, lieber Jörg u. lb. Kinder!

Seit Jahresbeginn sind schon viele Sonntage vergangen, an denen ich mir vorgenommen habe, zu schreiben. Nicht etwa, daß ich keine Lust hatte, um mit Euch zu plaudern, nein – immer war etwas anderes dazwischen gekommen. Anstandsbesuche, um zum neuen Jahr zu gratulieren, Geburtstagsbesuche, Krankenbesuche u. natürlich blieb auch Frau Pfarrer nicht aus. Am kommenden Sonntag ist ein Seniorengottesdienst mit anschließendem Kaffeetrinken geplant, sicher muß ich mich dann auch wieder aktiv zeigen. Auch beginnt am nächsten Wochenende die Karnevalssaison. Bernd u. Ivonne sind fleißig. Sie haben alle Hände voll zu tun. In einer Garde, wo sie mitwirkt, werden schwarze Unterhemden mit Leuchtfarbe bemalt. Dazu trägt man einen weißen Tüllrock. Wochenlang proben sie ihren Auftritt, na mal sehen, ob ihre Nummer ankommt. Im nächsten Brief schreibe ich noch mal davon. Und der Bernd hat nur mit der Beleuchtung zu tun. Das kleine Zimmer, in dem Ihr geschlafen habt, ist ein einziges Rumpelzimmer. Mir geht es schon manchmal auf den Geist. Aber die Devise durchhalten wird groß geschrieben. Und der Tino ist traurig, weil die großen Schneeflocken von heute Vormittag in Regen übergegangen sind. Nun konnte er seine schöne Skihose von Euch noch nicht anziehen. Dafür aber den praktischen Anorak u. die Mütze. Beides wurde schon mehrmals gewaschen u. daran könnt Ihr sehen, wie oft die Sachen schon getragen wurden. Ivonne trägt ihren Schal oft, dazu haben wir noch ein paar blaue Handschuhe gekauft. Mützen werden ja nicht getragen, weil Ivonne nicht an den Kopf friert, dies meint sie jedenfalls. Und mit den schwarzgetupften Strumpfhosen hast Du mir eine besondere Freude gemacht. Sie sind auch bei uns sehr modisch u. begehrt. Nur haben sie einen stattlichen Preis von 29.- Mark. Deshalb habe ich mir noch keine gekauft. Ich werde sie hüten, wie meinen Augapfel. Die vielen Süßigkeiten, die Backzutaten, die Trinkröhrchen, welche ich nicht wegwerfen darf (von Tino aus) u. natürlich auch die Tulpenzwiebeln. In der schönen Plasteschüssel habe ich Weihnachten meine Plätzchen aufbewahrt. Inzwischen auch schon Kuchenteig eingerührt. Und demnächst wird es wieder Spätzle geben. Also wurde das Geschenk von Euch gut durchdacht. Wir sind auch für alles wieder sehr dankbar u. wieder mal habt Ihr uns damit eine große Freude gemacht. Die Bananen wurden von den Kindern sofort verzehrt u. auch der Vati bekam etwas davon ab. Ach, Ingrid, beinahe hätte ich es vergessen, das Backpapier war sehr schön, wie in der Reklame (ohne Einfetten, kein Anbacken mehr), es war eine feine Sache. Ich möchte all die schönen Geschenke erwähnen u. keines vergessen. Ihr sollt nämlich wissen, daß wir uns über alles sehr gefreut haben.
Nächste Woche hat Ivonne schon ihre 1. Prüfung u. danach gibt es für sie + Tino 3 Wochen Winterferien, sicherlich dieses Jahr ohne Schnee. Ich möchte mit den Kindern für 3 Tage nach Berlin zu meiner Cousine fahren, aber ganz fest steht es noch nicht. In diesem Jahr fahren wir nicht in den Winterurlaub, weil ich Euch gern mal besuchen möchte u. 14 Tage werden für den Sommerurlaub gebraucht. Und insgesamt bekommen wir nur 18 Tage Urlaub, dies ist ja nicht viel. Habt Ihr schon im Fernsehen gehört, daß wir nur noch für 12 Tage Geld getauscht bekommen für Ungarn? Sind wir nicht be… dran? Wo für uns sowieso dort alles teuer ist u. dann werden uns die Forint immer mehr zugeteilt.
Liebe B.s, würde es Euch passen, wenn ich im April ein paar Tage zu Euch komme? Mein Vati hat in Speyer eine Cousine, sie wird 70 Jahre alt u. vielleicht schickt sie mir eine Einladung, aber dies ist noch nicht ganz sicher. Ich muß dort erst mal anfragen. Aber nur wenn es Euch recht ist. Vielleicht habt Ihr gerade dann eine Reise geplant u. so sollt Ihr durch mich keine Umstände haben. Schreibt mal, wie Ihr darüber denkt! Irgendwann wird es schon mal klappen. Und wenn nicht, dann kommt Ihr eben (natürlich ohne d) Ihr dürft ja immer kommen. Wir erinnern uns so gern daran zurück u. sprechen auch oft davon. Wolltest Du nicht mal zur Messe kommen, lb. Jörg?
Inzwischen ist schon Dienstag, aber heute beende ich den begonnenen Brief. Bernd + Ivonne rüsten sich zur Faschingsgeneralprobe. Heute kam ich erst spät von der Arbeit. Wir hatten den Revisor- u. ein bisschen unkorret geht es halt doch zu. Aber es ging noch ganz gut ab. Beim Bernd auf Arbeit haben sie einen Stahlschrank mit 7.000,- Mark geknackt u. die Täter wurden noch nicht ermittelt. Es war ja auch kein fetter Happen, aber sparen muß man schon für solch ein Sümmchen.
Der Bernd versucht soeben mein geschriebenes zu entziffern – unmöglich – meint er. Hoffentlich habt Ihr damit nicht auch solche Schwierigkeiten!
Den Eltern geht es soweit noch gut. Morgen hat Vati Geburtstag, da gehen wir zum Feiern rüber.
Ach, dies muß ich Euch unbedingt noch schreiben. Unseren Weihnachtsbraten hat die Katze am 1. Weihnachtsfeiertag gefressen. Die Pfanne mit Deckel stand auf der Kellertreppe. Den Deckel hat sie heruntergehakelt u. dann hat sie sich daran gemacht. Heute lachen wir darüber, aber damals habe ich geweint. Und so haben wir dann noch Kaninchen gegessen, welchen ich noch eingefrostet im Gefrierschrank hatte.
Der Pepi darf auch immer mal rein. Höchstens es ist ganz viel Schmutz draußen, aber er freut sich immer sehr u. die Schokolade schmeckt ihm noch immer.
S.’s haben seit Weihnachten noch nicht wieder geschrieben. Sicherlich hat sich die Helga auch inzwischen zum Schreiben aufgerafft. Sie deutete im letzten Brief eine eventuelle Heirat einer der Töchter an. Mal sehen, ob sie demnächst mehr darüber schreibt.
So meine lieben B.s, nun wißt Ihr wieder etwas mehr von uns. Unbedingt muß ich meinem ehemaligen Pfarrer in Göttingen auch noch schreiben. Ich habe es ihm versprochen u. irgendwie hängt er immer noch an seinem [...]. Und unsere Frau Pfarrer hat es nicht so gern, wenn er so oft kommt. Dies macht mich manchmal ganz traurig, denn wenigstens bei „Kirchens“ müßte mehr Frieden sein, denn jeden Sonntag spricht es der Pfarrer von der Kanzel. Ich hoffe doch, daß Euch unsere Zeilen bei bester Gesundheit erreichen,

grüße u. umarme Euch alle
ganz lieb
Euer
Bernd, Margit u. Kinder

 

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