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Brief (Transkript)

Frau W. aus Ost-Berlin an Christine M. nach Elmshorn am 30.01.1990

 

Berlin, den 30.1.90

Liebes Frl. M.!

Danke für Ihren lieben Brief über den wir uns wie immer sehr gefreut haben. Sie haben viel erlebt und gesehen in den letzten Wochen z.B. die Grenze von der anderen Seite. Auch wir waren sehr deprimiert als wir zum 1.Mal näher an dieses Monstrum heran konnten und zu sehen bekamen hinter welchen doppelt und dreifach angelegten Sperrzäunen und Barrikaden wir eingesperrt waren und das nach allen Richtungen. Wir begriffen wie sehr wir entmündigt, rechtlos und unterdrückt waren wie Tiere im Käfig für die man zur Besichtigung Eintritt zahlen mußte. All die Schandtaten, Vergehen gegen die Menschen in der DDR die flächendeckende Bespitzelung und vieles mehr was jetzt alles zu tage tritt, ist schockierend macht traurig und hilflos zugleich. Vieles haben wir gewußt, vieles geahnt aber die Wirklichkeit ist abscheulich. Trotz all den außerordentlich schlechten gesamt Zustand dieser DDR hoffen wir daß nach der ersten hoffentlich freien Wahl im Mai ein für uns sich langsam bessender Lebensstandard ergibt in Ruhe und Frieden. Noch können wir so recht nicht daran glauben. Denn unsere Wirtschaft liegt verrottet am Boden es fehlt an Maschinen, Material an allem. Wie soll das gehen? Auch wenn die Menschen hart arbeiten wollen aber ohne etwas ist das kaum möglich. Vierzig Jahre Mißwirtschaft und die Zerstörung der Umwelt und die Abschaffung aller privaten Initiativen die absolute Zerstörung der Infrastruktur, falsche Planung und Leitung haben uns an den Rand des Ruins geführt. Es wird eine riesige Anstrengung sein, dieses Land aus dem Dreck zu ziehen und ohne Hilfe des Westens wird es nicht möglich sein. Der gesamte Osten ist kaputt und jedes Land dieser Region braucht dringend Hilfe aber wo soll all das viele Geld welches benötigt wird her kommen. Viele Schwierigkeiten liegen auf unserem Weg. Da ist ja auch noch unsere Besatzungsmacht die uns noch eng umschlungen hält, die ja nicht so begeistert ist von dem Geschehen bei uns. Sie wird mit Sicherheit uns auf dem Wege zur Freiheit noch einige Knüppel zwischen die Beine werfen. Ihre Fangarme werden uns noch lange Zeit umklammert halten dessen sind wir uns sicher. In dieser Beziehung auf dem Wege der Freiheit haben es die Ungarn und Tschechen leichter aber wir die Deutschen im Osten werden wohl noch lange leiden müssen um die Last des 2. Weltkrieges abzutragen. Zwischen Hoffnung und Skepsis verläuft unser Leben wir aber müssen das Beste daraus machen. Wir sind froh daß es uns einigermaßen geht und hoffen sehr daß es unserem Enkel einmal besser gehen wird. Mein Besuch bei Ihnen hängt von Ihnen ab ich kann doch nicht so einfach anreisen und sagen hier bin ich. Wenn ja, wäre mir eine wärmere Jahreszeit lieber. Nun das wars für heute

Herzlichst
Fam. W.

 

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