Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Frau W. aus Ost-Berlin an Christine M. nach Elmshorn am 30.12.1989

 

Berlin, den 30.12.89

Liebes Frl. M.!

Am vorletzten Tag dieses ereignisreichen Jahres möchten wir uns herzlich für den lieben Brief und ganz besonders für Ihren Gutschein bedanken. Wir haben uns riesig gefreut und waren trotzdem sprachlos. Nach all den vielen Jahren die Sie für uns gesorgt haben, in denen Sie so unendlich viel Gutes für uns getan haben, dann noch diese Überraschung. Es war schon überwältigend, viel sehr viel haben wir erlebt seit Okt/89 die Mauer hat Löcher bekommen, Koruptionen sind aufgedeckt worden, die starren Machthaber sind abgelöst und vorallem die Bespitzelungen und Machenschafften des MFS die das gesamte Volk unterdrückt, verfolgt und gequält haben gibt es nicht mehr, das ist zwar gut aber wo sind sie alle geblieben? Was tun sie jetzt? Sie können sich doch nicht über Nacht zur Demokratie wandeln. Das und vieles mehr beschäftigt uns sehr. Wie wird alles weitergehen, noch ist nichts konkretes in Sicht. Wenn wir morgen wählen müßten wäre uns noch nicht klar, wem wir unsere Stimme geben könnten auf keinen Fall einer Partei die etwas mit der SED auch wenn sie anders heißt etwas zu tun hat. Nun wir müssen weiterhin geduldig sein und warten was das Schicksal weiter für uns bereit hält. Wir sind schon froh, daß wir ab 1990 die Möglichkeit haben 200 Mark einzutauschen dies stärkt unser Selbstbewusstsein und läßt uns nicht mehr ganz so arm erscheinen. Wir waren vor Weihnachten 2x in West-Berlin. Einmal hat mein Mann seinen Bruder besucht, das andere Mal sind wir nach 1 Stunde stehen durch das Brandenburger Tor zur Siegessäule durch den Tiergarten bis zum Ku-Damm gebummelt. Es war ein herrlicher Tag. Der Besuch bei seinem Bruder war sehr anstrengend es machte sich deutlich die doch 30 jährige Trennung und das doch sehr unterschiedliche Leben in den 2 verschiedenen Gesellschaften bemerkbar. Es gibt Spannungen. Meine Verwandtschaft habe ich nie kennen gelernt. Meine Schwester habe ich als 20 jährige zum letzten Mal gesehen als sie gegen West ging. Als sie 1958 in Düsseldorf heiratete war meine Mutter dort. Als meine Mutter 1959 starb durfte sie schon nicht mehr einreisen. 1961 kam dann die Mauer. Die Bespitzelungen und Verbote begannen, Briefe wurden abgefangen usw. Als meine Schwester 1986 starb wurde uns verwehrt zur Beerdigung zu fahren. Selbst ein paar Blumen durften wir nicht schicken mit der Begründung es wären keine Devisen vorhanden und selber haben sie Millionen für sich verbraucht. All das viele Leid was uns angetan wurde kann man nicht vergessen. Um so mehr haben wir uns gefreut, daß wir sie einmal besuchen dürfen und Ihnen persönlich für alles Dank sagen können. Wir wünschen uns für alle Menschen der Erde ein friedvolles Jahr 1990

Herzliche Grüße
Fam. W.

 

top