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Brief (Transkript)

Volkmar S. aus Eisenach an Klaus nach Gauting am 25.02.1990

 

Eisenach, 25. Febr. 90


Lieber Klaus, liebe Sabine, liebe Ulricke und liebe Katrin!

Für den Brief vom 23. Januar danke ich hiermit. Wir hoffen, daß Katis Grippe inzwischen restlos auskuriert worden ist und daß auch der Vater alle Zahnbeschwerden längst vergessen hat!

Womöglich seid Ihr seit gestern ins Wallis gefahren, um vielleicht dort noch etwas Winter zu erleben. Es ist ja ein merkwürdiges und unnatürliches Klima überall in Europa. Auch wir haben in diesem Winter die Skier ganz umsonst vom Boden geholt, der Winter ist bei uns total ausgefallen und jetzt wird wohl auch weder Schnee noch Kälte kommen. Wir müssen uns damit abfinden.

Natürlich bewegt uns Tag für Tag das politische Geschehen um uns herum. In den Zeitungen haben wir eine Meinungsvielfalt, wie sie uns bisher völlig unbekannt war. Die Hessen sind sehr aktiv, wir werden von ihnen mit Anzeigen und verschiedensten Angeboten überschüttet. Teilweise werden schon Waren aus der BRD durch Kommissionshändler zum Kurs 1 : 3 verkauft. An manchen Gaststätten prangen die nagelneuen Reklameschilder zum Beispiel für „Eschweger Klosterbräu“. Man kann solches Büchsenbier für 2,30 M auch beim Bäcker kaufen.
Es ist schon interessant.
Wie nicht anders zu erwarten, kaufen nun einige der BRD-Besucher bei uns en gros Back- und Fleischwaren sowie Konserven ein und im Zusammenhang mit Angstkäufen der eigenen Bevölkerung wegen des angekündigten Wegfalls der Subventionen sind einige Regale in den Kaufhallen ziemlich leer. Aber wir leiden noch keinen Mangel!
Mit dem Aufkauf durch die BRD-Besucher gleicht sich nun das aus, was unsere Landsleute mit dem zwei- und dreifachen Besuchergeldempfang angestellt haben.
Allein aus dieser Situation heraus muß also schnellstens die DM her, auch wenn uns das wiederum Opfer abverlangt. Doch nur dann kann den gegenwärtigen Praktiken begegnet werden, können blühende Schwarzgeschäfte mit Gebrauchtwagen und verschiedensten Dienstleistungen unterbunden werden. Vielleicht spüren wir das hier in Grenznähe besonders, weiter im Lande ist es wahrscheinlich anders. Ein Besucher aus Leipzig äußerte sich verwundert darüber wie weit hier die Annährung an die BRD schon gediehen sei. (An der Bausituation und an den Straßen merkt man das allerdings noch nicht!)
Das Problem der Währungseinheit ist tägliches Gesprächsthema, weil ja jeder um seine Spargroschen fürchtet (und wir damit um unseren Trabant – Nachfolger). Ihr werdet ja aus der Presse entnommen haben, daß ich mich nun zweckmäßigerweise auf eine Opel –Type orientieren sollte, sofern mein zu erwartendes Vorruhestandssalär das dann noch zuläßt! Ja, so haben sich die Zeiten geändert. Vor Jahren haben wir darüber diskutiert, daß doch das Rentenalter auf 60 Jahre herabgesetzt werden möge und jetzt rückt das in greifbare Nähe! Im Moment ist es noch nicht soweit, doch wenn tatsächlich eine Opel-Montage bei uns eingerichtet wird, geht es ohne kräftigen Arbeitskräfteabbau nicht ab. Und dann betrifft das nicht nur unseren Betrieb, sondern auch viele andere, zum Beispiel auch Waltrauds.
Die Zukunft unseres Betriebes wird von verschiedenen Faktoren bestimmt und das macht die Sache so kompliziert. VW möchte ja gern hier weiter einsteigen, aber sie haben sich vorrangig für den Trabant-Nachfolger in Zwickau entschieden und deshalb können sie nicht gleichzeitig in Eisenach ein Nachfolgemodell zum Anlauf bringen. Opel möchte gern den Fuß in die Tür bekommen und macht verlockende Angebote. Doch die Zeit drängt, der Wartburg ist binnen kurzem nicht mehr absatzfähig, nicht einmal hier bei uns unter den neuen Aussichten.
Dann reden noch die Umweltschutzgruppen mit, die keinerlei Erweiterung des Werkes im Westen der Stadt (an sich schon seit Jahren geplant) zulassen wollen und die jetzt keinerlei staatliche und kaum eine territoriale Autorität vor sich haben.
Dabei läuft jetzt unsere Produktion wie noch nie. Die Zulieferteile kommen, daß unsere verantwortlichen Leute nur so staunen. Ein Zeichen daß es geht und Hoffnung gebend für die Zukunft!

Das war also ein kurzer Bericht zur Situation.
Wir sind wohlauf, abgesehen von einer erkälteten Frau und Mutter. Doch sie geht dagegen an mit Saunabesuch, Salbeitee, Aufstieg auf den Hörselberg (um mal aus dem Smog herauszukommen). Es hat sich auch schon gebessert.
Töchterchen hat am 15. Februar ihr 200. Kind zur Welt gebracht. Im Besitz des Führerscheins, darf sie jetzt (nachmittags) ihre zweite Alleinfahrt mit Freundin zur Hohen Sonne machen (gegen Mutters Willen, ich Armer sitze nun hier zitternd an der Schreibmaschine!)
Bolko ist heute früh mit Antje nach London gestartet. Die Bus-Kurzreisen sind hier der große Renner. Hessische Reisebüros machen sicher mit uns reisehungrigen DDR-Bürgern das Geschäft ihres Lebens! Ab März wird natürlich alles teurer, doch die Saure-Gurken-Zeit haben unsere Reisenden für die Unternehmer gut überbrückt. Paris ist am meisten gewünscht, doch auch Wien und Dänemark. Wir müssen uns natürlich wundern, zu welch niedrigen Preisen die Reisen möglich sind. Heute früh standen mit Bolko und Antje etwa 200 Menschen auf dem Parkplatz an der Bahnhofstraße und warteten auf die Reisebusse der Firma Jungblut aus Schlitz (bei Bad Hersfeld). Das geht nun schon wochenlang so.

Am vorigen Sonnabend waren wir erstmalig in Eschwege und auf dem Hohen Meißner, wo wir endlich einmal winterliche Landschaft erlebten. Die Einheimischen bevölkerten den Berg mit Schlitten und Skiern. Das Werratal ist landschaftlich sehr reizvoll und wir haben dort noch vieles zu erkunden.


Soviel für heute. Einen Durchschlag des Briefes bekommt Ulli.
Über einen Besuch im Frühjahr würden wir uns natürlich sehr freuen! Wir teilen uns den Urlaub in diesem Jahr etwas ein, wobei (siehe oben) manches im Ungewissen liegt.
Soeben ist Anke wieder eingetroffen! In der Autoschlange vom Mariental bis hierher brauchte sie 45 Minuten. Auf dem Parkplatz an der Hohen Sonne war ein Bundesbürger mit Mercedes froh, ihre Trabant-Parklücke zu bekommen.

 

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