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Brief (Transkript)

Volkmar S. aus Eisenach an Klaus nach Gauting am 21.11.1989

 

Eisenach, 21.11. 89

Ihr Lieben !

Meine Frage im letzten Brief unter dem Datum vom 19. Oktober war hellseherisch: Was werden uns die nächsten Wochen und Monate an neuem bringen?
Wer hätte das gedacht!

Die Öffnung der Grenze in der Nacht vom 9. zum 10. November war wie ein Schlag. Als ich die Nachricht am 10. früh aus de-m Radio vernahm, liefen mir nur so die Tränen.
Andere sind sofort mit ihren Autos vor Arbeitsbeginn nach Herleshausen gestartet, haben dort eine Runde gedreht und sind dann an die Arbeit gekommen. Sie wollten nur prüfen, ob das wahr ist, was wir bisher nicht für möglich gehalten haben.

Als wir am 11. 11. früh halb drei auf den Bahnsteig kamen, war dieser schwarz von Menschen. Es wurde durchgesagt, daß unser D – Zug wegen Überbesetzung in Eisenach durchfahren müßte und daß drei Stunden später ein Entlastungszug in Erfurt eingesetzt würde. Daraufhin strömten viele auf den Bahnsteig Richtung Erfurt und wir entschlossen uns nach kurzer Beratung zur Fahrt mit dem Trabant unter Mitnahme von Anke. Anke bekam noch auf dem Bahnhof unbürokratisch ihren Visumstempel.
Wir fuhren vorsichtshalber in Eisenach – Ost auf die Autobahn und kamen dann doch trotz der frühen Stunde in Höhe des Wartenbergs schon zum Stehen. In Stop and Go ging es dann langsam zur Grenze. Wir wurden nur kurz gefragt, wie lange wir bleiben wollten, weiter nichts ! Der BGS war absolut überfordert, er hielt mit zwei Beamten die Autoschlange nur des-halb auf, weil jeder Autobesatzung gesagt wurde, man könnte in Herleshausen das Begrüßungsgeld bekommen. In langer Schlange fuhren wir dann langsam durch die Ortschaften bis zur Autobahnauffahrt nach Frankfurt. Dort löste sich dann der Verkehrsstrom recht schnell auf.
In Gießen begrüßten wir Lotte B. (Pfarrerwitwe 76, Cousine meiner Mutter), die uns gerade kurz zuvor wiederholt zu einem Besuch eingeladen hatte. Das war natürlich eine Überraschung. Wir bekamen eine schöne Mittagssuppe und ich hoffte, dann Klaus und Sabine schon in Wiesbaden telefonisch erreichen zu können. Das klappte aber nicht.

In Karlsruhe staunten sie nicht schlecht, als wir zu dritt vor der Tür standen. Der Trabant nahm sich neben dem BMW 525 L (Jahreswagen) ganz gut aus. Wir hatten drei schöne Tage mit einer Ausfahrt nach Rastatt (Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte im Schloß) und nach Baden-Baden. Ein Tag war für Durlach verplant, wo wir bei Waltrauds anderen Cousine (alleinstehend) eingeladen waren. Ein Bummel durch die Geburtsstadt meines Schwiegervaters und ein Aufstieg auf den Turmberg beendeten den Besuch dort.
Mittwochs sind wir vormittags in Karlsruhe aufgebrochen und im starken Verkehr auf der Autobahn nach Nordosten gerollt. Wie schon auf der Hinfahrt grüßten uns viele mit der Lichthupe, mit Hupzeichen und Winken.
In Bebra haben wir das Gefährt mit Genehmigung auf einem Privatparkplatz abgestellt und sind in einen Interregio nach Hannover gestiegn-n. Hellmuth und Erika L. / Rinteln holten uns mit ihrem Opel Ascona in Bückeburg ab. Hellmuth (85) ist leider mit starken Gehbeschwerden behaftet, Erika (62) hat ihre Hüftoperation gut verwunden und keine Probleme. Sie nahm uns am nächsten Tag früh um sieben mit zum Rentnerschwimmen. Dann zeigte sie uns das schöne Hameln. Von da an durfte ich zu meiner Freude den Opel fahren, auch nachmittags nach Lemgo und am nächsten Tag nach Bückeburg, wo wir uns im Schloß des Fürsten zu Schaumburg-Lippe umsahen.

Freitags trafen wir kurz vor halb drei in Hamburg ein, wo uns Bodo S. auf dem Bahnsteig erwartete. Am Sonnabend boten uns Bodo und Margot eine ausgedehnte Stadtrundfahrt. Die Innenstadt und auch St. Pauli Landungsbrücken wimmelten nur so von DDR – Besuchern aus unseren Nordbezirken. Es gab Sonderveranstaltungen, kostenloses Essen, Preisnachlässe, Annahme von DDR – Geld für bestimmte Sachen usw. Überall parkten Trabants und Wartburgs.
Mit einem IC sind wir am Sonntag halbzwei in Hamburg weggefahren und halb fünf in Bebra angekommen. Der Trabant sprang trotz der kalten Tage sofort an und brachte uns in kurzer Zeit an den neu eröffneten Grenzübergang Obersuhl/Untersuhl (am Ende der Autobahn). So waren wir ganz schnell erstmal im Kreis Eisenach und in langer Kolonne fuhren wir dann durch Gerstungen nach Eisenach, wo uns Anke kurz vor halb sieben freudig begrüßte. (Sie war eine Woche zuvor mit der Bahn von Karlsruhe zurückgefahren, um montags früh ihren Dienst pünktlich anzutreten.)

Es war eine erlebnisreiche, schöne Urlaubswoche für Waltraud und mich.


Nun sind wir in Gedanken auch immer bei Euch und teilen Euere Sorgen um Tante Dorette. Mit Hille haben wir gestern telefoniert. Sie hatte eine gute Rückfahrt, andere mußten von München bis Dresden stehen.
Hier wissen wir noch nicht, wohin die Entwicklung geht. Als größte Schwierigkeit steht wohl das Devisenproblem im Raum und wir wünschen natürlich sehnlichst, daß beide Seiten entsprechenden Konsens finden.

Wir grüßen beide Familien ganz herzlich!

 

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