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Brief (Transkript)

Bodo S. aus Hamburg an Volkmar S. nach Pirna am 02.11.1951

 

Hamburg, den 2.II.1951


Lieber Volkmar!

In dem dunkelbraunen Gefühl, daß es mal wieder an der Zeit ist, etwas von mir hören zu lassen bringe, ich meine uneigennützigen Vorsatz, Dir zu schreiben, mit Hilfe dieser ausgezeichneten Schreibmaschine endlich zur Ausführung.
An neuem hat sich nichts wesentliches ereignet,- man fährt fort, sich zu bilden, und in dem Maße, wie die Bildung zunimmt, erkennt man, wie viel man noch nicht weiß und wahrscheinlich nie lernen wird. Da ist zum Beispiel die tägliche Portion Politik, die man in gestalt von Zeitungsartikeln der Tagespresse, seltener aus guten Zeitschriften zu sich nimmt. Ich jedenfalls weiß grundsätzlich nicht, was inder Wirtschaftspolitik eigentlich gespielt wird, will sagen, was sich hinter den Erscheinungsformen als Kantsches „Ding an sich“ genau verbirgt. G e n a u weiß es freilich kaum einer von uns sogenannten Laien, aber freilich liegt es ja in meiner Berufsrichtung, gerade diese Seite, die wichtigste, des öffentliches Lebens von Grund auf kennenzulernen. Das beste Mittel, sich solche Kenntnisse anzueignen, ist zweifellos, man wird Bank-Clerk einer der hiesigen großen Banken; diese Brüder haben ihre Nase überall drin und wissen in der Kapitallage aller namhaften deutschen Firmen genauestens Bescheid. Die geschichtlichen Studien vermitteln einem zwar ein Fundament, aber mit der Legung des Grundsteins ist das Haus noch lange nicht vollendet. Demgegenüber stellt das Rechtsleben ja nur eine äußere Form des öffentlichen Lebens dar, deren Kenntnis ebenso wenig Einblick in das „Dind an sich“ schafft wie die Kenntnis von Buchhaltungskehre Ahnung von der Führung eines kaufmännischen Betriebes.

Als Freund Europas muß ich mit Bedauern feststellen, daß die internationale Politik nichts tut, der Verwirklichung dieses so einzig naturgemäßen Gedankens näher zu kommen. Es wird wohl so werden, daß erst eine militärische Aggression oder aber eine wirtschaftliche Unterdrückung seitens eines der beiden großen Kraftfelder imstande sein wird, die nachlässigen Europäer zur Einheit zu bekehren. Damit wäre gleich eine neue Gefahr der gestalt gegeben, daß sofort nach Aufhören des äußeren Drucks die einzelnen Staaten sich wieder voneinander absonderten. Nun, wir werden ja sehen!

Zur Zeit bin ich erheblichmit Wohnungssuche für Mutter und mich beschäftigt, doch will man alle Scherereien ja gern mitmachen, wenn es nur Zweck hat. Immerhin sind begründete Aussichten auf das Gegenteil der Fall. Leider ist Wohnraum nicht nur überknapp, sondern auch wahnsinnig teuer. Na, es gibt ja bald nichts mehr, was nicht teuer zu nennen wäre. Ich sehe dabei immer noch zu, daß ich mir von meinem Lebensgeld etwas für Bücher erübrige; denn zum richtigen Arbeiten brauche ich nun mal e i g e n e Bücher, wenn es auch nur ein paar bescheidene Grundrisse sind. Größere Sachen kann man sich natürlich nicht leisten. Für die Semesterferien, die am 1. März beginnen, hoffe ich noch eine geldbringende Arbeit zu finden, aber auch das hält schwer. Die Hauptsache, man läßt den Kopf nicht Hängen!
Hier setzt jetzt mit Macht der allgemeine Karnavals- und Kostümfestrummel ein. Die Eintrittspreise liegen von 10 Mark an aufwärts. Ich kann nicht behaupten, daß ich große Lust habe, da mitzumachen, auch wenn ich’ s könnte! Du bist gewiß auch der Ansicht, daß ein kleines Fest mit Freunden und Mädchen, die einem sympathisch sind, dem bekannten Massen-Vergnügungsrummel vorzuziehen ist. Wenn man allerdings einen „in der Krone“ hat, schaut die ganze Sache wahrscheinlich bedeutend angenehmer und verlockender aus. Man sagt, daß bei solcher Gelegenheit das sog. „Glück“ ziemlich willfährig sei,- das ist aber bekanntlich eine sehr spezielle Auffassung des Begriffes „Glück“.
Mit den besten Grüßen an Deine Eltern, Großeltern und Hille verbleibe ich in alter Freundschaft bis zum nächsten Lebenszeichen

Herzlichst
Dein Bodo.

 

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