Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Alfred S. aus Pirna an Rudolf S. nach Mühlheim/Ruhr am 30.11.1949

 

(10a) P i r n a , den 30. Nov.1949,
[Straße und Hausnummer]

Lieber R u d o l f und Familie!

Es scheint alles in Ordnung. Heute ist Mittwoch. Am Montag erhielten wir Deinen Brief vom 23.d.M. und gestern kam das Päckchen mit der Marg.und der Trockenhefe unversehrt und bei bester Beschaffenheit hier an. Seid nur vielmals bedankt, es sind uns damit erfreuliche Hilfen gegeben, die wir nur noch nicht recht erwidern können. Andererseits freuen wir uns über die Nachricht, daß auch unsere letzten Sendungen gut in Eure Hände gekommen sind. Wollen wir hoffen, daß die Verbindung so anhält.
Volkmar bestellt soeben auch von Oma S. den besten Dank für den erhaltenen Anteil von 1/5, es wird auch ihr gut tun. Die seinerzeitige Geburtstagssendung ist leider bei ihr nicht angekommen. Dafür haben sich aber frühere Flüchtlingsuntermieter, die inzwischen bei Kiel untergekommen sind einige Male angenehm bemerkbar gemacht. Oma mag sein wie sie will, mit ihren Untermietern ist sie bis jetzt teu teu teu ganz gut gefahren. Und darüber freuen auch wir uns, denn wir müssen ja alles mit ausbaden, was ihr nicht genehm ist.
Am Sonntag besuchte uns Tante Ida S. (Emils hinterlassene Frau) und Oma S. kam auch dazu. Da gab es einen ganzen Abend zu erzählen.
Es wird Euch interessieren. Der vorgestrige Brief war wohl einer der ersten, der von der britischen Zensur geöffnet und wieder geschlossen war. Der Umschlag war an der Seite aufgeschnitten, mit einem braunen Klebestreifen geschlossen, mit einer Nummer und der britischen Krone gestempelt. Ich glaube, es ist erstmalig gewesen. H i l l e ist seit 14 Tagen bei Löbau von der Inneren Mission zur Erholung. Sie steckt auf dem Dorfe in einem Kinderheim und schreibt, daß es ihr gut geht und auch gut gefällt. Es sind wohl dreißig Kinder für 5 Wochen dort untergebracht. Wir hatten Hille schon längst einmal dafür angemeldet, nun ist sie mit dran gekommen. Der Aufenthalt kostet uns 60,- DM. Am 20.12.49 sollen die Kinder wieder kommen, dann sind inzwischen die Weihnachtsferien, sodaß es ihr schon eine Erholung sein wird. Ich hatte Sorge, daß sie in der Schule viel verpaßt. Vor allen ging es mir um den Sprachunterricht. Ihre Klasse hat die Woche 5 Stunden Russisch, ich fürchtete dann Lücken, die ihr zu schaffen machen und eine andauernde Unzufriedenheit aufkommen lassen. Die Lehrerin hat aber gemeint, daß es sehr langsam vorgehe und Hille in 2 – 3 Stunden nachsein werde. Hille hat den Unterricht gern.
Im sonsten geht alles seinen Weg. Ich habe Arbeit aber immer nur wenig Geld. Die größeren Posten stehen zu lange offen. Von der Sozialversicherung hat sich auf meine lange Eingabe noch nichts gerührt. Ich warte immer noch ab. – Lotte steckt nach wie vor im regen Tagesbetrieb. Heute wollteesie etwas für Weihnachten backen. Es ist mir seit Wochen Rapsöl versprochen. Ich bekam es auch heute nicht. Nun fällt zunächst alles flach. Vielleicht wird noch etwas, wir werden das Fest aber trotzdem bestehen. Wenn wir weiterhin so gesund bleiben, dann mag es sein. – Omas Zustand ist unverändert. Sie liegt geduldig im Bett. Volkmar hat Zuhause auch immer seine Beschäftigung. Unsere Weihnachtskrippe ist in diesem Jahr zum 20. Male aufgestellt.
Nochmals auf Deine letzten Briefe einzugehen komme ich auf die kleine Torpedo zurück. Mir war daran gelegen, zu wissen, ob es möglich war, sie nach dort zu bringen. Das hat ja nun geklappt und das freut mich. In den Jahren 1945 46 war es hier sehr bänglich um solche Sachen, weil die Nachfrage zu groß war und das persönlich Recht oft gebogen wurde, wie es gebraucht wurde. Inzwischen ist aber vieles ruhiger geworden. Die Menschen haben wieder mehr Fassung, es wird nur in der Presse tüchtig geputscht. Dort will keine Ruhe werden. Bei uns werden ja in Massen Polizeitruppen aufgestellt, von Euch schreibt man, daß dort Söldnertruppen aufgestellt werden. Und dies in einem Volke, dessen Einheit immer wieder und mit gutem Recht betont wird. Ich glaube, daß im Volke als solchem die Einheit besteht, es brauchen da keine Worte verloren werden. Wir leben in einer Zeit der umgekehrten Werte. Früher hat einmal ein großer Mann gesagt, mehr sein als Scheinen, ich ergänze, mehr wissen als man weiß. Gestern unterhielten sich in der Bahn zwei höhere Schüler über ein gehabtes Aufsatzthema. Es mochte etwas zeitgemäßes gewesen sein. Der eine sagte dabei, ich habe geschrieben, was ich denke aber nicht alles was ich denke. Dies paßte so ganz in meine vorstehende Philosophie. Wir leben noch immer im Schatten eines großen Geschehens, es ist noch ein Gähren und Brodeln. Mir scheint, daß durch die Bildung einer deutschen Regierung in unserer Zone eine gewisse Beruhigung eingetreten ist. Dazu kommt eine Aufbesserung der Lebensmittelzuteilung, Maßnahmen, das Volk zu gewinnen.
Doch, das ist Politik und ganz unmaßgebliche persönliche Meinung. – Mit vielem Interesse vernahm ich von Euerm interzonalen Besuch Lorentz. Was ist denn aus dem ganzen Unternehmen geworden? Was weißt Du von Deinen ehemaligen Mitarbeitern? Frau S. sprach mich vor kurzem recht sorgenvoll wieder einmal an und meinte, daß sie von ihrer Schwiegertochter aus Berlin einen rechten Brandbrief bekommen habe, was solle sie aber auch tun? Hugo sehe ich manchmal, er jagt immer durchs Gelände, wie sein seliger Vater. Am Äußeren tut er nicht mehr so gepflegt, wie man es von ihm gewohnt war. Welchem Beruf er nachgeht, weiß ich nicht. Er gab Gesangsunterricht und sonntags macht er wohl in der Graupaer Kirche Musik. Sein Sohn Peter soll zuweilen als Violinespieler mit auftreten. Durch die allgemeine Anerkennung aller auch ehemals parteimäßig gebundenen hoffte so mancher, wieder in eine seiner alten Beschäftigung gemäße Stellung zu kommen. Die Aussichten scheinen aber sehr vereinzelt. Das Kapitel Fragebogen soll sehr groß geschrieben sein. Ich weiß es nur von einem am Bau arbeitenden Lehrer, der Hoffnungen hatte, die ihm nun aber begraben scheinen.
Für heute will ich es genug sein lassen. Seid immer wieder bedankt und gewiß, daß wir sehr oft an Euch denken. Hoffentlich wird es uns im kommenden Jahre einmal möglich, daß wir uns irgendwie oder wo sprechen. Herzl.Gruß von uns allen an Euch alle!
Alfred

 

top