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Brief (Transkript)

Alfred S. aus Pirna an Rudolf S. nach Mühlheim/Ruhr am 01.10.1949

 

(10a) P i r n a , den 1.Oktober 1949,
[Straße und Hausnummer]

Lieber R u d o l f und Familie! Ein bedeutender Mann in der Zeit Goethes hat seine umfangreiche Briefpost nur dadurch bewältigt, daß er keinen Brief öffnete, bevor er Briefpapier und Umschlag für die Beantwortung vor sich liegen hatte.
Wir haben heute Euren Brief vom 25.9.49 erhalten und freuen uns, daß die Verbindung nun wieder so anläuft. Es ist auch garnicht so viel zu berichten, nur zum Zeichen des Daseins. Vor allem war uns wichtig und ist es immer wieder, daß wir erfahren, ob unsere Post angekommen ist. Dies zu wissen ist uns doch bedeutungsvoll.
Nun zu Deiner Anfrage. Es wird am Sonntag gewesen sein, daß ich mit Oma S. einmal die Bekleidungsfrage streifte. Wir haben Vaters Schrank noch fast unberührt gelassen immer in der stillen Hoffnung, daß Du oder Dorette doch einmal nach Pirna kommen könnt. Dein dunkler Anzug ist noch da, ich habe dies erst am Sonntag festgestellt. Es ist auch ein Smoking da, der von Dir sein wird. Dann sind aber nur Sachen vom Vater da. Dabei ist es nicht so viel wie man annehmen könnte. An guten Sachen ist ein dunkelblauer und ein einfarbig hellgrauer da. Dazu etwas schwarze Sachen. Die übrigen Stücke sind im Zustand und Farbe alle so, daß wir uns wahrscheinlich nicht zu viel aufstecken. Dennoch kann für die Kinder mal etwas werden. Wir haben voriges Jahr für Volkmar einen grö-beren dunkelblauen Anzug vom Vater umarbeiten lassen, weil er auch etwas brauchte. Dabei soll Dir und den Deinen nichts verloren gehen. Ich würde mir gern den grauen umarbeiten lassen und rechne, daß wir Dir den dunkelblauen Anzug vermitteln. Es sind das solche Punkte über die ich nicht gern schreibe, es wäre schon gut, wenn Du oder Dorette vielleicht auch mit etwas Hilfe von mir einmal kommen könntet. Ist es einmal so weit, daß Lottkin einmal abkommen könnte, vorausgesetzt, daß ich es wirtschaftlich durchsetzen kann, dann würde ich ihr gern einmal eine Westreise gönnen, sie ist es hier oft so müde. Dann würde Ihr einmal ein anderes Leben eröffnet, es geht jetzt natürlich aus den bewußten wirtschaftlichen Verhältnissen und dann auch wegen der Oma K. natürlich nicht.
Also ich habe gerade am vorigen Sonntag entdeckt, daß von Dir ein dunkler Anzug (in sich leicht gestreift) und ein Smoking da ist. Ich nehme es wenigstens so an, denn vom Vater können die Sachen nicht sein. Es ist auch noch etwas Stoff da, den mir Oma S. erst dieser Tage gezeigt hat.
In Deinem Brief vom 8.9.49 hast Du uns ja nun auch einmal eine Familienchronik gesandt. Wir haben von allem gern Kenntnis genommen vor allem, daß es mit dem Unfall von Klaus noch einmal so abgegangen ist. Ihr müßt ja viel ausgestanden haben. Mit der Wohnung habt Ihr doch auch Glück gehabt. Hier würde es sicher nicht so schnell gehen. Zuzugsgenehmigung und Wohnungsfragen sind für die Betroffenen große Unannehmlichkeiten, es geht einfach nicht. Durch die vielen Umsiedler und Flüchtlinge ist viel Bedrängnis entstanden. Oma S. hat jetzt auch wieder ein junges Ehepaar in ihrem linken großen Zimmer. Sie hat sich selbst im Wohnzimmer häuslich eingerichtet und fühlt sich eigentlich ganz wohl. Wir haben nun durch Dich von Dorette, Klaus und Ulrich und auch Ingrid vernommen und freuen uns, immer noch mutvoll und befriedigend zu hören. Bei uns hat sich kaum etwas geändert, es ist noch so wie ich Euch in meinem letzten langen Brief geschrieben habe.
Schreibt nur auch Eure Bedürfnisse, vielleicht ist auch aus Beständen für den Haushalt etwas zu tun, soweit vorhanden. Wenn wir kaufen müssten, dann wäre allerdings zu fragen, wo es richtiger ist. Es wird manches geben, was Ihr bei uns günstig bekommt, anderes werdet Ihr dort günstiger kaufen. Bei uns hat sich in dieser Hinsicht vieles gebessert. Wir bekommen jetzt z.B. Rasierklingen überall für 10, 15 und mehr Pfennige. Die HO-Läden (HO heißt Handelsorganisation GmbH) verkaufen alles was man sich wünscht aber zu Preisen, die wir nicht zahlen können. Dort werden auch die Waren verkauft, die wir nicht zu kaufen bekommen z.B. Butter (1 Stück 17,50 DM), Käse, Wurst (100 Gr. 4,50 DM) eine markenfreie Weizensemmel trocken kostet 0,50 DM, die sonst wohl mit 3 oder 4 Pfg. verkauft wird. Es ist unter der Bevölkerung, die es sich nicht leisten kann, viel Verärgerung. Dennoch können wir nichts ändern. Ein Fahrrad kostet wohl 800 DM. Lotte kaufte dort einmal Erbsen, weil wir nichts anderes hatten. Das Pfund kam 4,- DM und sie wurden nicht weich. Vorige Woche sollen viele Leute wegen Kaffee in Viererreihe angestanden haben. Da kam ein Achtel 5,- DM. Man wundert sich, wie es die Leute immer noch können, wir jedenfalls nicht. Dann gibt es alle Arten von Nascherei.

Ich habe erfreulicherweise immer wieder Arbeit, toi, toi, toi aber immer kein Geld es kommt so schwer herein. Meine Tätigkeit in Maxen und Falkenhain muß mich immer wieder herausreißen, von dort kommt es pünktlich langt aber nicht. Jetzt hat man mich auch zur Sozialversicherungskasse gegriffen. Ich war bisher nur freiwillig in der Krankenkasse. Jettt soll ich rd. 1000,- DM nachzahlen hab sie aber noch nicht. Zunächst läuft ein Gesuch wegen Stundung und Ermäßigung des Aufwertungsbetrages usw. Beruhigend ist für mich, daß ich Außenstände habe, die mir bei Eingang den Betrag decken könnten. Ich schlafe deshalb auch ruhig. Dennoch, ich denke viel an Dich und Dein berufliches Fortkommen. Wir müssen aber darüber einmal zu sprechen kommen. Ich glaube es ist leichter von dort nach hier zu kommen als umgedreht. Ich müßte Dir dann an der Übergangsstelle das Fahrgeld irgendwie deponieren, um Dir den Herweg erleichtern zu helfen. Man müßte da eine zuverlässige Anschrift ausfindig machen, der man das Fahrgeld bis hierher anvertrauen könnte, oder, ich muß mich einmal erkundigen, ob es schon wieder telegraphische Überweisungen gibt? Für die Rückreise bis zum Übergang würde ich dann auch wieder Wege finden müssen, daß Dir das möglich ist.

Jetzt werden wir aber erst einmal Deinen Anzug in zwei Paketen schicken. – Es ist Sonnabend Abend. Lottkin wird morgen den Brief etwas fortsetzen, sie hat ja auch immer ihre Gedanken und Sorgen. Wir hatten diese Woche abends keinen Strom, d.h. von etwa 1900 bis 21,00 sitzen wir im dunkeln. Nun hoffen wir, daß es nächste Woche wieder hell ist. Es wechselt gewöhnlich Elbe rechts und Elbe links. Volkmar ist heute Abend im Kino. Er macht in seinen Privatstunden immernoch Latein bei Dr.U. und Mathematik bei Studienrat T. Er nimmt in jedem Fach wöchentlich eine Stunde und ist auch bei der Sache. Englisch, was ihm auch liegt, hater seit Ostern eingestellt, es wurde ihm zeitmäßig zu viel. Sein Faltboot nimmt ihm auch Zeit. Er macht sich aber gut. Und Hille ist auch auf dem Posten. In der Schule singt sie jetzt mit. Und was es alles gibt, man könnte Briefe über Briefe schreiben. Geschickterweise ist man aber ruhig. Für heute genug, wir wollen doch den Glauben nähren, daß wir uns bald einmal wiedersehen.
Herzliche Grüße an Dorette, Klaus, Ulrich, Ingrid und Dich
Euer Alfred

 

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