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Brief (Transkript)

Karin K. aus Ludwigsfelde an Ingrid K. nach West-Berlin am 05.05.1974

 

5.5.74

Liebe Ingrid!

Gestern kam Dein sehnsüchtig erwartetes Päckchen an. Gott sei Dank! Es ist gut, daß Du es per Einschreiben geschickt hast, ich hätte sonst hinterher noch tausend Ängste ausgestanden. Liebe Ingrid, es paßt alles wie maßgeschneidert u. vom Gefallen brauche ich erst gar nicht zu sprechen. Das schwarz steht mir gut, es macht doch sehr schlank u. das kann ich gebrauchen. Ich muß Dir ehrlich sagen, als ich es auspackte bekam ich einen ganz schönen Schreck. Ich sah die Schnüre am Oberteil und dachte das kannst Du ja gar nicht anziehen. Dann habe ich es anprobiert und meine Befürchtungen erwiesen sich als überflüssig. Ich kann es auch ohne BH tragen. Ich muß allerdings großen Mut aufbringen, aber ich werde mich durchringen. Bei uns ist das nämlich nicht so selbverständlich wie bei Euch, es kommt doch noch zu oft die kleinbürgerliche Anschauung zum Vorschein „Nur nicht auffallen“! Zwar ist es nicht mehr so schlimm wie früher, aber ganz abgelegt haben die Leute diese Anschauung hier immer noch nicht. In den Modeheften bei uns hat man diese Art Kleider zwar schon, aber wieviel können sich das schon leisten. Unter dem Arm mußte ich etwas abnähen, da es dort sehr weit war und kürzen muß ich es auch aber über der Hüfte sitzt es wie angegossen, nicht zu eng und nicht zu weit. Als ich es Ekki gezeigt habe meinte er, Du siehst ja ganz anders aus. Ob es nun positiv o. negativ gemeint war, konnte ich nicht heraushören. Jedenfalls meinte er ich könne so etwas tragen. Der BH paßt auch genau. Du hast meine Größe ja gut geschätzt. Der hat ihm sofort gefallen, aber für das was unter dem Kleid ist, ist er sowieso mehr zu haben. Du schriebst, Ihr wäret in 15 Läden gewesen. Liebe Ingrid, das habe ich bestimmt nicht gewollt, daß Du Dein bisschen freie Zeit damit verbringst. Und dann das viele Geld. Es war bestimmt sehr teuer. Mutti sagte, daß eine einfache Bluse schon 20-30,- M kostet, was dann erst das Kleid! Und der BH, ich bin ja bald nicht mehr geworden. Daß es bei Euch so teuer ist hätte ich nicht gedacht.
Liebe Ingrid ich habe trotz aller Freude ein sehr schlechtes Gewissen. Es ist nicht nur so dahin gesagt. Ich habe es mir mal so überrechnet. Als ich letztens in Berlin war habe ich mir mal die Abendkleider angesehen. Eins hatte ungefähr den Schnitt wie das Schwarze. Es kostete 530,- M und die anderen gingen bis 700,- M. Es ist Wahnsinn. Ich könnte mir so was nie leisten. Ich wußte nun nicht, ob das Kleid noch zurecht kommt, da wollte ich mir einen langen Rock nähen zu einer bunten Bluse. Du glaubst nicht in wie vielen Geschäften ich war. Ein vernünftiger Stoff war nicht zu finden. Auch Dein Mantel hat ja einen großen Wert für mich. Meine Kolleginnen haben ihn schon bewundert und bei dem Wetter kommt er mir so gelegen. Einen Wintermantel kann man jetzt nicht mehr anziehen u. im Sommermantel erfriert man fast. So was kostet bei uns im Exquisitgeschäft an die 800,- M. Ein einfacher dünner Jerseymantel kostest 480,- M und ein Jersey-Hosenanzug 550,-M. Denke nicht, daß ich nur alles in Geld umgerechnet denke, aber wenn man wie ich immer nur sparen mußte, lernt man mit jedem Pfennig zu rechnen. Ich hoffe, Du kannst verstehen, weshalb ich ein schlechtes Gewissen habe. Was Du mir bisher geschickt hast, hat einen sehr hohen Wert für mich, ideel wie materiell. Dazu kommt noch, daß ich mal etwas habe, was andere nicht tragen. Ich hatte Dir ja schon geschrieben wie es hier ist. Ich weiß nicht, ob ich es Dir schon erzählte. Mein Bruder (Stiefbruder von Vatis Seite) kam 1956 aus Polen, daß heißt mein Vati ist Monate von Amt zu Amt gelaufen um die Ausreisegenehmigung zu erhalten. Dann kam er mit Frau u. 2 Kindern zu uns und lebte 2 Jahre bei uns. Es war eine große Belastg. für meine Elter eine 4köpfige Fam. mit zu ernähren, denn sie mußten sich hier ja eine neue Existenz aufbauen. Als sie hier Wohnung u. fast fertige Einrichtg. hatten, gingen sie nach Westdeutschland zu der Mutter von meiner Schwägerin. Sie versprachen uns, als mein Vati 64 starb, nach Kräften zu unterstützen. Es kamen 2 Päckchen u. jedes Jahr zu Weihnachten u. zu Ostern eine Karte. Aus diesem Grund weiß ich besonders zu schätzen, was Du für mich tust. Er ist immerhin mein Bruder.
Am Dienstag ist meine letzte Prüfung. Ich habe schon mächtig Angst davor. Aber ich werde sie hoffentlich gut überstehen.
Liebe Ingrid, ich habe mal eine Frage: Kann bei Euch auf den Banken immer noch Ostgeld gegen Westgeld getauscht werden? (inoffiziell natürlich) Ich habe, als hier die Erhöhung des Umtausches von 10,- M auf 20,- M pro Mann festgelegt wurde im Fernsehen-West eine Reportage gesehen, daß auf den Banken Ostgeld gegen Westgeld und umgekehrt getauscht werden kann. Kannst Du Dich mal erkundigen, ob das jetzt auch noch so ist und es mir schreiben. Dann könnte ich Dir mal ab u. zu kleinere Beträge schicken u. wenn Du zur Bank mal mußt kannst Du sie eintauschen. So kann ich mit ruhigem Gewissen mal einen Wunsch äußern. Fasse das bitte nicht falsch auf, aber Du hast schon soviel Geld für mich ausgegeben. Ich würde immer mal 5,- oder 10,- M mit reinlegen. Jetzt ist die Kontrolle nicht mehr so stark. Es kommen kaum noch geöffnete Briefe o. Päckchen zurück. Was sagst Du dazu? Nun möchte ich schließen. Jana war schon sehr fleißig. Sie hat abgewaschen und wartet jetzt darauf, daß ich mit ihr „Mensch ärgere Dich nicht“ spiele. Da ich es ihr versprochen habe, muß ich es ja auch halten. Ich habe übrigens zu Weihnachten für Boris ein ganz niedliches Buch bestellt, ja Du hast richtig gehört, bestellt. Bei uns muß man sogar Kinderbücher bestellen. Es ist so niedlich, daß es immer sofort vergriffen ist. Es heißt „Der neue Struwelpeter“. Kennst Boris das schon? Einen Kallender besorge ich auch wieder für Dich, wenn es Dir recht ist.
Also, liebe Ingrid, noch einmal vielen, vielen Dank für die schönen Sachen.

Viele liebe Grüße auch an
Deine Fam.
Karin

PS. Deine Schwiegermutti hat Dir vielleicht erzählt, daß ich die Haare blond habe. Der gelbe Ton gefiel mir nicht so sehr und als ich zum Nachfärben war, hat mir die Friseuse einen silbernen Schimmer eingefärbt. Dazu paßt das schwarz ausgezeichnet.

 

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