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Brief (Transkript)

Bruno W. aus Bochum an Gerhard D. nach Brandenburg/Havel am 25.02.1990

 

Bochum 25/2. 90

Hallo Freunde!

Vor einer Woche, das entnehme ich dem Datum Deines Briefes, hast Du lieber Gerhard über dem Schreibblock gesessen und einen sehr langen Brief verfasst, den ich gerade mit Muße sehr aufmerksam gelesen habe. Es ist sehr viel dazu zu sagen, womit ich nicht versuchen will, Deinen am 18.2. aufgestellten bisherigen „Seitenrekord“, zu übertreffen. Tatsächlich könnte man allein über Teilaspekte sehr viel sagen, aber das würde ein Buch, und das schreibe ich dann vielleicht mal nach meiner Pensionierung in 13 Monaten.
Zunächst aber noch ein paar andere Dinge, vor allem Herzlichen Dank für die kleine Kostbarkeit über die Philatelie, ich habe mich in der Tat sehr gefreut. Was Eure Jungs anbelangt, so habe ich zweimal mit Henry telefoniert, er konnte leider aus bahntechnischen Gründen nicht über Bochum nach Hause zurückfahren. Wir haben aber verabredet, daß er uns im Laufe des Jahres besuchen will – das gleiche sollte auch Carsten tun – wichtig ist nur, daß wir dieses gemeinsam sorgfältig planen, damit man die Tage des Hierseins auch mit unseren Kindern optimal gestalten kann. Die beiden Stefans haben ständig Kontakt, mal Brief, mal Telefon und Thorsten müssen wir mal überlegen, was wir da machen, mir fällt spontan nichts ein aber da ist ohnehin Rosemie die Person mit der größeren Phantasie. Übrigens Telefon: ich habe oft immer wieder versucht Euch anzurufen, immer ohne Erfolg. Nun habe ich per Zufall festgestellt, daß die Vorwahl für Brandenburg sich geändert hat und zwar ist das jetzt, oder vielleicht auch schon länger, die 38; vielleicht habe ich Euch schon an der Strippe, eher dieser Brief dort ist.
Ich hoffe, Du bist damit einverstanden, wenn ich Deinen Brief nicht Punkt für Punkt beantworte, jedenfalls nicht alle in diesem Brief. Dein Gegensatz CDU-SPD, den Du herausarbeitest, ist interessant und aus Deiner Sicht auch sicher richtig, dennoch kann ich nicht mit allem übereinstimmen. Aber vorweg: Die Liberalen kommen in Deinem Denkschema überhaupt nicht vor, und dabei ist doch ohne Zweifel Genscher der Mann, der immer wieder mit praktikablen Vorschlägen die Dinge in Fluß gehalten hat. Für mich ist es eine persönlich ganz klare Sache: Wenn ich die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands will, und ich will es, dann muß ich liberal wählen. 1. als Anerkennung für das, was Genscher getan hat und um ihm 2. durch die Wahl eine so starke Position zu geben, daß er auch weiterhin in seinem Sinne wirken kann.
Zum Gegensatz CDU-SPD legst Du so großen Wert auf die Feststellung, daß die CDU nicht weiß was sie will. Ich denke, sie weiß es und daß verschiedene Leute in dieser Partei laut denken, ist halt Demokratie. Ich finde es richtig, vor der Wahl bei Euch keine fertigen Pläne öffentlich als amtliche Meinung der Bundesregierung vorzutragen, denn diese Pläne sollen ja mit der bei Euch gewählten neuen Regierung gemeinsam ausgedacht und beschlossen werden. Ich bin sicher, käme jetzt einseitig ein Plan auf den Tisch, würde bei der in letzter Zeit zu beobachtenden zunehmenden Empfindlichkeit auf Eurer Seite wieder von einer Majorisierung oder ähnlichem gesprochen. Du schreibst von Telschick, daß er viele DDR-Bürger beleidigt habe, da kann ich nur antworten, daß Ihr dann noch lernen müßt, Euch nicht von jedem Arschloch beleidigen zu lassen. Für mich ist dieser Mann, von dessen Verhandlungsgeschick hinter den Kulissen man vorher viel Gutes hörte, nach seinen dummen öffentlichen Äußerungen ein Beweis dafür, daß Kohl die falschen Leute in seiner Umgebung doch noch nicht alle ausgetauscht hat. Als Beweis für die fehlende Linie führst Du dann auch Herrn Pöhl an. Der Präsident der Bundesbank ist ein international hoch angesehener Fachmann, SPD-Mitglied, trotzdem hat die CDU-Regierung seinen Vertrag kürzlich um 5 Jahre verlängert (angewandte Demokratie), und steht der Bundesbank als eine laut Gesetz unabhängigen Institution vor. Es ist richtig, daß er zunächst eine Währungsunion für nicht zweckmäßig hielt. Es spricht aber für seine Loyalität der Regierung gegenüber, daß er die dort gefallene politische Entscheidung für eine Währungsunion mitzutragen bereit war, wenn sie denn mit einer Reform der DDR-Wirtschaft und einer anschließenden Wirtschaftsgemeinschaft einhergeht. Und da liegen die Knackpunkte. Es ist bezeichnend für die Leichtfertigkeit vor allen Seiten (aber nicht nur) von SPD-Funktionären, die selbstverständlich alles 1:1 umstellen wollen. Wenn wir so ohne wirtschaftlich begleitende Maßnahmen verfahren, dann werden die Sparer bei Euch echt beschissen, denn der Menge Geld, die ja nur gespart wurde weil man hochwertige Güter und Grund und Boden nicht erwerben konnte, stünde kein passendes Warenangebot gegenüber und nach den klassischen Regeln von Angebot und Nachfrage würde sich der Geldüberhang qua Inflation von alleine vernichten.
Es ist also nicht immer der sozial, der davon redet oder dieses Wort in seiner Parteibezeichnung führt, sondern der, der bereit ist dem Volk auch schwierige und unangenehme Zusammenhänge zu erklären. Deshalb denkt man hier z.B. auch darüber nach, wie man der neuen Regierung der DDR den Währungsumtausch vorschlagen kann, ohne eine Inflation auszulösen. Da gibt es Modelle, die mir am aussichtsreichend erscheinen, die nach einer 1:1-Umstellung doch Teile der Sparguthaben für bestimmte, noch festzulegende Zeiträume sperren lassen wollen, um eben einen zu starken Nachfragestoss zu vermeiden. Dafür wird auch die Bundesbank sorgen, die, wie gesagt, keinen Weisungen aus Bonn unterliegt, und die verhindern wird, daß die weltweit anerkannte stabile Stellung der DM leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Du darfst nicht übersehen, daß bei einem sofortigen bedingungslosen Umtausch 1:1 die von Dir genannte Summe des Geldumlaufs aus den oben genannten Gründen stante pede nicht mehr gilt.
Daß man Kaufkraft durch den Erwerb von Immobilien abschöpfen kann ist eine Binsenweisheit und man sollte dafür schnellstens die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen. Ihr habt ja hier aus eigenen Augenschein, und Henry bestätigte aus seiner Sicht diesen Eindruck, feststellen können, wie wohltuend für das Stadtbild die Folgen privater Initiative sind. Nur, so etwas kommt auch nicht von alleine, denn privates Bauen bedingt einen funktionierenden Kapitalmarkt zur Beschaffung der nötigen Hypotheken; und Mieten, die den Hausbesitzer in die Lage versetzen, ein Haus zu finanzieren und einen Ertrag daraus zu haben. Wenn man bedenkt, wie alles ineinandergreift und was dann z.B. bei Löhnen, Gehältern und Pensionen getan werden muß, könnte man ob der Komplexität der Dinge fast verzweifeln, auf jeden Fall aber skeptisch gegenüber den Leuten zu sein, die mit schneller Zunge für alles einen Plan bereithaben. Ich neige dazu, in diesem Fall der Aussage von Frau Luft zu folgen und nicht der von Helmut Schmidt, denn der ist aus dem Geschäft. Die Umstellung 1:1 wird kommen, es geht nur noch um das wie. Du schreibst, daß Frau Luft von Kreisen der Regierung (West) verunglimpft worden sei. Kann sein, alles was gesagt und geschrieben wird höre und sehe ich nicht, nur eines habe ich allerdings auch nicht verstanden: Was wollten eigentlich Herr Modrow, Frau Luft und ihre riesige Delegation in Bonn? Was soll Herr Kohl oder sonst wer in Bonn mit Leuten anfangen, die sich 1 Tag vor ihrer Abreise vom „runden Tisch“ die Auflage machen lassen, in Bonn nichts beschliessen zu dürfen, es sei denn, sie bringen einen Scheck über 15 Mrd. mit. Es ist bezeichnend für den alten Fuchs Modrow, daß er die Anfänger am runden Tisch ohne zu widersprechen so einen Unsinn beschließen ließ, denn der führte zu dem vorhersehbaren Ergebnis, was vielen linken Leuten von SPD bis PDS Gelegenheit gibt über die Regierung und die sie in Bonn tragenden Parteien zu schimpfen, und damit haben sie dann wieder etwas für den Wahlkampf bei Euch.
Inzwischen ist Nachmittag geworden, ich habe um 12 Uhr im Fernsehen eine Diskussion über die Zinsentwicklung gesehen, ob das mit der DDR zusammenhängt oder womit sonst, und all die klugen Journalisten wußten es auch nicht, können sie auch nicht, denn keiner weiß es.
Doch zurück zum Thema SPD-CDU. Meine Stimme bekämen beide nicht, wie eingangs bereits beschrieben. Ich lege mal ein Blättchen bei, von einer CDU-nahen Person herausgegeben, das über die Wendehälse in der SPD schreibt. Die Unredlichkeit in diesem Haufen geht ja noch viel weiter, z.B. war Willy Brandt für den nächsten Bundestag garnicht mehr geplant, jetzt, wo man seine Sympathie in der DDR nutzen will, wird das alte Schlachtroß wieder in den Kampf geschickt. In Wirtschaftsfragen steht die SPD heute, nach dem Abgang großer Experten wie Schiller und Schmidt, der SED mit ihrem Staatskapitalismus ja viel näher als die CDU. Daran mußte ich denken, als ich in der letzten Woche im Fernsehen ein Gespräch zweier Journalisten mit Ibrahim Böhme und Pfarrer Eppelmann hörte. Dieser Herr Böhme, der einen alten Freund aber politischen Gegner vor laufender Kamera duzt und ihm die lautersten Absichten für die DDR bescheinigt, wie übrigens umgekehrt auch, der passt doch nicht zu solchen Opportunisten wie Lafontaine und Momper, um nur die unapetittlichsten Vertreter dieser Partei zu nennen. Und dann will der Herr Böhme auch noch die soziale Marktwirtschaft!! Er beendete das Gespräch im Fernsehen damit, daß er sich wünsche, bald mal Muße zu haben, weil er noch Bücher schreiben wolle. Also, mein lieber Gerhard, wenn die SPD-Aparatschike erstmal in ganz Deutschland die Macht übernommen haben, dann wird der gute Ibrahim schneller Muße haben, als ihm vielleicht lieb ist, denn wie die heutige SPD mit Leuten des rechten Flügels umgeht, davon können Schmidt und Leber z.B. ein Lied singen, garnicht zu reden von Johannes Rau, dessen Kampf um die Bundestagsmehrheit ja bei der letzten Wahl auch von bestimmten Kreisen seiner Partei sabotiert wurde.
Um noch einmal auf wirtschaftliche Dinge einzugehen. Da läuft schon unglaublich viel. Ich könnte mir vorstellen, daß nach der Wahl in 4 Wochen auf privater und industrieller Ebene eine Menge anlaufen wird, was die Frage nach der Finanzierung zweitrangig werden läßt, weil es sich auf viele Schultern verteilt. Darüberhinaus ist festzuhalten, daß in den allermeisten Fällen die Hilfe von hier nur eine Starthilfe für Produktionen dort sein kann, denn wir können nicht mehr produzieren. Die Kapazitätsauslastung der westdeutschen Industrie liegt bei über 90%, weil halt die Konjunktur in Europa so toll läuft. Insofern käme eine Vereinigung zu einem wirtschaftlich günstigen Moment, weil ein Einschalten der DDR-Wirtschaft in den laufenden Boom auch dem Staat über Steuern und sonstige Einnahmen (Zölle etc.) zusätzliche Mittel für die Verbesserung der Infrastruktur verschafft.
Wir sollten optimistisch sein und bleiben. Ich schreibe in den nächsten Tagen noch mehr zu Deinem Brief, für heute verabschiede ich mich mit vielen herzlichen Grüßen von Haus zu Haus, Euer Bruno

 

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