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Brief (Transkript)

Gerhard D. aus Brandenburg/Havel an Bruno W. nach Bochum am 18.02.1990

 

Brandenburg den 18.2.90

Liebe Rosemarie, lieber Bruno!

Herzlichen Dank für den Brief vom 4.2., der mit den Marken hier gut angekommen ist. Besonderen Dank für die Schweizer Marken, die ja wie immer große Klasse sind. Da der Brief einige bemerkenswerte Gedanken enthält, möchte ich heute versuchen ausgehend von einer Schilderung der Lage, bei Dir lieber Bruno Verständnis zu wecken, daß das zukünftige Land Brandenburg nach meiner augenblicklichen Übersicht mit großer Wahrscheinlichkeit eine SPD-Regierung erhalten wird und da ist die CDU-West nicht ganz unschuldig. Doch zunächst die allgemeine Situation 4 Wochen vor der ersten demokratischen Wahl in der DDR nach der Wende.
Ich bin selbst überrascht, daß die Regierung Modrow mit den alten Genossen in allen Schlüsselstellungen, ob beim Rat der Stadt, dem Rat des Bezirkes, den Ministerien oder in den volkseigenen Betrieben, es schafft die allgemeine Versorgung abzusichern, obwohl im Durchschnitt 2000 junge DDR-Bürger das Land verlassen. Es ist zur Zeit so, daß alle Grundnahrungsmittel und auch die Dinge des täglichen Bedarfs bis hin zum Wein, Bier usw. zu bekommen sind.
Wenn aber einflußreiche westdeutsche Politiker in den verschiedenen Sendungen des Fernsehens und selbst der Altbundeskanzler Schmidt in einer Talkshow mit Modrow zeigt, daß die Sparguthaben der DDR-Bürger nicht 1:1 übernommen werden können, so setzt das Zeichen und dann glaubt man der sich bemühenden Frau Minister Luft nicht, die das Gegenteil behauptet. Die Folge ist, daß die Leute vor den Banken und Sparkassen sich anstellen um ihr Geld abzuholen und zu retten, was zu retten ist. Dabei werden zwei Wege beschritten. Der eine heißt kaufen, was irgendwie einen Wert besitzt ganz gleich ob man es braucht oder nicht. Davon betroffen sind Kühlschränke, Waschmaschinen Fernsehapparate bis hin zum Plätteisen. Das Ergebnis heißt, daß diese Geschäfte leer sind und hier diese Geräte nur durch Beziehungen unter dem Ladentisch zu haben sind oder man muß dabei sein, wenn die Ware kommt. Der zweite Weg heißt, das Geld verteilen und solche Bekannte oder Verwandte suchen, die nicht zu den Wohlhabenden und Schieber gehören. Dahinter steht der Gedanke, daß vielleicht bei einem „Währungsschnitt“ ein bestimmter Grundbetrag 1:1 umgetauscht wird und nur der Rest verloren geht.
Ich selbst halte beide Methoden für sinnlos und warte in Ruhe ab bis ich mein erstes Geld in Westmark ausgezahlt bekomme und dann geht alles seinen gewohnten Gang. Obwohl ich kein Bankier bin, muß ich doch der guten Frau Luft Recht geben, die leider von Kreisen der BRD-Regierung zu Unrecht verunglimpft wird. Diese Spareinlagen könnten sehr wohl sinnvoll eleminiert werden, wenn volkseigene Grundstücke zum Verkauf angeboten werden und das Geld dann nicht mehr zur Zirkulation freigegeben wird. Denn nach 1945 haben viele auf volkseigenem Boden sich Einfamilienhäuser gebaut, aber das Land nicht erwerben dürfen sondern nur für 99 Jahre für ein minimalen Pachtvertrag pachten dürfen. Selbst die vielen Bungalows, die in allen Städten an den Stadträndern gebaut wurden sind nicht Eigentum sondern nur das Land gepachtet. Dies ist von der Frau Luft ja angedeutet wurden, aber nicht zum Zuge gekommen, weil die neuen „Revoluzer“ vom neuen Forum, dem demokratischen Aufbruch und wie die geltungsbedürftigen Leute alle heißen ständig „quer geschossen“ haben. Statt sich gemeinsam auf die Zukunft zu orientieren und konkrete Vorschläge zu unterbreiten, haben sie sich wochenlang mit Stasi und der Vergangenheitsbewältigung beschäftigt und nachdem ein erster Schritt zum Abbau der Subventionen bei der Kinderbekleidung getan wurde sofort ein Geschrei angestellt, wie bei Euch die Zahnärzte als Norbert Blüm die Gesundheitsreform eingeführt hat. Man kann doch nicht erwarten, daß unter diesen Bedingungen die Regierung Modrow noch ein Risiko eingeht. Sie werden so und so beschimpft und können selbst nicht dafür, weil sie nicht für die Fehler der alten Genossen verantwortlich gemacht werden können. Also noch einmal in einem Satz zusammengefaßt, ich glaube nicht, daß für die Dinge des täglichen Bedarfs ein Engpaß analog Polen oder der SU entstehen wird, die Wirtschaft hat die Talsohle noch nicht erreicht, eine Bedarfsdeckung bei Dingen des gehobenen Bedarfs und ähnliche Industriegütern wird es auch in Zukunft schlecht aus sehen.
Nun zur politischen Situation. Noch vor etwa 6 Wochen als die CDU-West noch geschlafen hat und die SPD-West bereits feste Kontakte mit der SPD-Ost hatte. (Der erste Westdeutsche Minister war der Innenminister Schnurr von Nordrhein-Westfalen, dann kam Otto Graf Lambsdorf nach Brandenburg) zu dieser Zeit habe ich gesagt zu allen, die es hören wollten, es gibt nur zwei Möglichkeiten wie man am 18.3 wählen sollte. Die erste Möglichkeit heißt CDU, weil
- die Ost-CDU über einen eingespielten Apparat mit eigener Presse verfügt
- es günstig wäre, wenn in der DDR in den zu bildenden Ländern eine CDU-Regierung vorhanden wäre, da das Beispiel Westberlin eindeutig zeigt Kohl-Diepgen liefe besser als Kohl-Momper
- es gut ist, wenn das Wort Sozialismus nicht mehr erscheint und es sofort Wunden aufreißt, wenn auch auf westdeutschen Parteitagen Vertreter der SPD-Ost die im Saal Anwesenden mit liebe Genossen anspricht, was wir ja 40 Jahre lang mit eindeutigen Erfolg gehört haben
Die zweite Möglichkeit heißt SPD, weil
- die SPD-Ost nicht wie die CDU-Ost vorbelastet ist
- die SPD-Ost sich der Unterstützung einer SPD-West sicher sein kann die über jahrelange Erfahrungen verfügt und an wachstumsreiche Vorbilder auch vor 1933 anknüpfen kann
- die SPD-Ost die vorhandenen Ängste der Bevölkerung eher programmatisch in den Griff bekommt als die CDU
Wie gesagt, noch vor 6 Wochen hätte ich aus taktischen Gründen CDU gewählt, aber der Zug ist abgefahren. Die CDU hat sich nach meiner Meinung selbst aus dem Rennen geworfen. Dazu haben folgende Dinge beigetragen:
- Vom Generalsekretär der Ost-CDU ist, sehr geschickt die Parole in die Öffentlichkeit getragen worden, was sehr glaubhaft war, daß die Basis es satt hat, daß der Vorsitzende der CDU-Ost Stellvertretender Minister im Kabinett Modrow ist und damit die Übergangsregierung der nicht vom Volk gewählten Genossen unterstützt. Die Basis verlangt, so der Generalsekretär, den sofortigen Austritt aus der Regierung Modrow. Darauf eine Sitzung des Parteivorstandes wo der Generalsekretär zurückgepfiffen wurde und von gemeinsamer Verantwortung die Rede war. Das heißt selbst die höchsten Gremien dieser Partei sind sich über die Taktik und Verhaltensweise nicht einig, denn kurze Zeit später haben sie sich wieder anders verhalten.
Eine Partei, die nicht weiß was sie will bzw. der Ausweg aus dieser Situation zu schaffen ist, kann man nicht wählen.
- Es mag sein, dass der Kanzlerberater Telchick vor der Abreise von Kohl und Genscher nach Moskau ein düsteres Bild von der DDR zeichnen wollte, um ein besseres Klima zu erzeugen, damit es Gorbatschow leichter fällt, auf die DDR zu verzichten. Aber seine Äußerung vom Staatsbankett der DDR, vor allen Dingen seine überhebliche Art und Weise in der Talkshow in SAT1 haben viele DDR-Bürger beleidigt und gezeigt, daß es die Absicht ist, die DDR ohne jede Zugeständnisse im sozialen Bereich zu vereinnahmen.
- Diese Tendenz hat sich mit dem Modrow-Besuch in Bonn nur verstärkt. Man muß dabei doch sehen, daß es taktisch klug und folgerichtig nach seinen Äußerungen in Dresden für Kohl gewesen wäre, wenn man sich etwas besser gezeigt hätte und einen Kredit, unter bestimmten Bedingungen der DDR gewährt hätte, von mir aus mit Auflagen, daß dies nur für die Gründung mittelständischer Betriebe oder ähnliche Kreise verbraucht werden darf. Da war noch zu Zeiten von Honecker Herr Strauß etwas geschickter. Das Ergebnis des Modrow-Besuchs war zu mager, daß alle ängstlichen und zurückhaltenden Bürger, die auf die wenigen sozialistischen Errungenschaften nicht verzichten wollten nun erst recht Auftrieb bekommen und der Vereinigung sehr skeptisch gegenüber stehen.
- Zu dieser allgemeinen Verwirrung hat ganz unbewußt natürlich, der auch von mir sehr hoch geschätzte, Herr Pöhl beigetragen. Nach der Zusammenkunft mit dem Präsidenten der Staatsbank der DDR zeigen beide eine Übereinstimmung in der Auffassung, daß eine Währungsunion noch in weiter Ferne liegt usw usw. Wenige Tage später verkündet dann der selbe Herr Pöhl auf einer Pressekonferenz, die nicht in den Nachrichten in voller Länge übertragen wurde und daher nicht jedem DDR-Bürger zugänglich ist, genau das Gegenteil.
- Diese Fakten zeigen mir, daß die CDU-West im Gegensatz zu Genscher keine klare Konzeption besitzt, wie die anstehenden Probleme zu lösen sind.
Unter diesen Bedingungen ist der DDR-Bürger gut beraten, wenn er die SPD wählt (zumindestens am 18.3) das bringt folgende Vorteile
- eine starke SPD-Ost kann ein natürliches Gegengewicht sein, gegen frühkapitalistische Methoden bei der Einführung des westdeutschen Wirtschaftsystems Man denke da an das Beispiel des westdeutschen ehemaligen Hausbesitzers, der Berlin in Richtung Westen verlassen hat und nun plötzlich den Mietern dieses Hauses, die absolut nichts dafür können, daß das Haus von der Kommunalen Wohnungsverwaltung übernommen wurde, einen Fragebogen verschickt und dabei unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß er ehemalige SED-Genossen nicht in seinem Haus wünscht.
- Was das Land Brandenburg anbelangt, so bin ich ziemlich sicher, daß hier die SPD das Rennen macht, denn die übrigen neuen Splittergruppen kann man nicht wählen, sie sind vergleichbar mit den Grünen in der BRD. Für die Zukunft halte ich das sogar im Gegensatz zu Dir, lieber Bruno, sogar noch für gut, dann könnte es passieren, daß im Bundesrat, der Ländervertretung, durch die Vereinigung ein Übergewicht der SPD-regierten Länder entsteht, die dämpfend auf eine zu unternehmerfreundliche Gesetzgebung einwirken könnten.
Deine Befürchtung, lieber Bruno, daß hier ehemalige SED- oder die neuen PDS-Genossen einen Einfluß auf die SPD oder auf den neuen Staat DDR bzw. auf die nach dem 18.3 zu bildende Übergangsregierung haben könnten bzw. den Kapitalfluß von West nach Ost hemmen würden sehe ich nicht. Da sind nach meinen Kenntnissen die interessierten Firmen schon zu weit vorgeprescht. Es spricht sich sehr schnell rum, wenn ein Westwagen vor dem Betrieb vorfährt und die Insassen in der Chefetage verschwinden. Dies habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen und nicht nur in einem Betrieb. Bis jetzt bin ich hinsichtlich der weiteren Entwicklung ganz optimistisch, es kann uns in Zukunft nicht schlechter gehen als in den letzten Jahren. Dabei glaube ich noch nicht einmal, daß die Mehrwertsteuer bei Euch, wie einige vorschlagen um ein Prozent erhöht werden muß. Wichtig ist, daß eine klare Konzeption, von einer starken politischen Kraft, vorgelegt wird und die Wirtschaft einen positiven optimistischen Auftrieb erhält. Dies wird schneller gehen, als wir zur Zeit glauben wollen und alle nur bekannten Leute sind innerlich auf die westliche Wirtschaftsordnung eingestellt. Hierfür einige Beispiele
- Noch nie in den letzten dreißig Jahren habe ich erlebt, daß Betriebe höflich nach Arbeit nachfragen, da große Staatsaufträge nicht vorhanden sind, müssen sie wirtschaftlich denken und mit den vorhandenen Leuten Geld verdienen und nicht wie bisher mit den spitzen Bleistift die Zahlen schreiben. Dies ist mir jetzt mit mehreren Betrieben passiert, dies hat zur Folge, dass ich mich von einem Betrieb trenne, der hier schlecht gearbeitet hat
- Viele Betriebe versuchen bereits jetzt, obwohl unser altes Arbeitsgesetzbuch noch in Kraft ist und theoretisch Entlassungen nicht möglich sind, dennoch von Mitarbeitern zu trennen, die systembedingt waren und produktiv nichts gebracht haben. Hierunter fallen Parteisekretäre (alles SED-Genossen), die hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre (alles SED-Genossen), viele Ingenieurökonomen, die vom „Wirtschaften“ bzw. „Gewinnmachen“ keine Ahnung hatten, dann die vielen Planer, die mit großer Akkrebie die Zahlen für die Pläne zusammengestellt haben nach dem Motto, mit der Statistik kann man alles beweisen, man muß nur die richtige Basis auswählen und es werden sogar ganze Betriebe geschlossen, die völlig unwirtschaftlich sind. Hier in Brandenburg das Gelantinewerk mit 60 Mitarbeitern Dies alles führt nur zu der paradoxen Situation, daß trotz den täglichen Verlusten von 2000 DDR-Bürgern Arbeitslose vorhanden sind, die keiner haben will. Trotzdem bin ich sicher, daß die flexiblen Leute im Laufe der Zeit ihre Arbeit finden werden und die anderen ähnlich wie bei Euch im sozialen Netz aufgefangen werden müssen.
Nun, so wirst Du fragen lieber Bruno, wie soll es dann weiter gehen, hier meine Gedanken
- Abbau der staatlichen Subventionen in allen Bereichen, dies wird die schwierigste Phase sein, weil dies alle Leute in der DDR betrifft.
- Anhebung der Löhne auf ein annährend westliches Niveau, damit die Abwanderung endlich gestoppt werden kann.
- Verkauf volkseigener Betriebe an Interessenten ganz gleich ob an DDR-Bürger oder an westdeutsche Betriebe. Dieses Geld muß eingefroren werden um den Überhang an DDR Mark abzubauen
- Schrittweise Übernahme der westdeutschen Gesetzgebung Zuerst das Wirtschaftsrecht und dann bei weitgehender Wahrung der vorhandenen sehr sozialen Rechtsprechung (wir haben z. Beispiel ein völlig anderes Scheidungsrecht) die übrigen Gesetze analog dem Verfahren des Westberliner Senats, der zustimmen musste, ob das in Bonn beschlossene Gesetz auch für Westberlin seine Gültigkeit haben soll oder nicht. Dabei sind ja Abweichungen durch aus vorgekommen (zum Beispiel bei der Wohnungspolitik).
Wenn nach diesen Prämissen kluge Köpfe vorgehen, so bin ich ganz sicher, dann bedarf es nur eines einmaligen Anstoßes einer Westmarkspritze von ca 16 Milliarden Mark (dies soll ja nach westlichen Angaben die zur Zeit im Umlauf befindliche DDR-Mark Menge sein) und die Wirtschaft fasst wieder Tritt. Dabei werden Eure Investoren mit Sicherheit ein gutes Geschäft machen, denn der Markt der DDR hat ja wie Du selbst weißt einen so großen Nachholebedarf, daß in der ersten Zeit im Prinzip ja alles abzusetzen ist.
Das interessante an meiner Auffassung ist, das ich viele ältere Leute meines Jahrgangs getroffen habe, die gleich oder ähnlich denken. Bedenken werden vielfach von jüngeren Leuten und von Frauen erhoben. Ich will hoffen, daß ich Recht behalte.
Etwas anders hinsichtlich der Parteizugehörigkeit wird es dann bei der Wahl am 6. Mai sein. Da müssen wir uns die Köpfe genau ansehen, denn die werden für die nächsten 4 Jahre die Politik und damit die Wirtschaft beeinflussen. Bei optimistischer Betrachtung könnte ich mir vorstellen, daß wir am 2. Dezember einen gemeinsamen Bundeskanzler zu wählen haben. Sollte das eintreten, dann wäre mir weder Lafontaine noch Vogel sympatisch. Aber bis dahin wird sich ja noch einiges ereignen.
Nun noch ein paar Worte zu den SED-Genossen oder heute PDS-Mitgliedern. Von den 2,3 Mitgliedern die diese Partei einmal hatte waren schon immer etliche Mitläufer vorhanden, die sich von Mitgliedschaft Vorteile im Beruf versprachen was ja auch der Fall war. Solche Leute wird es immer geben, die gehören gerade jetzt zu den Wendehälsen. Diese Leute scheiden als aktiver Teil gegen eine demokratische Entwicklung aus. Dann gab es in dieser Partei eine Gruppe, die von Idee überzeugt waren, hart gearbeitet haben aber immer mehr erkennen mußten, daß irgendetwas mit der Theorie nicht stimmt. Diese Mitglieder sind seelisch sehr angeschlagen, noch dazu wo sie jetzt erfahren haben wie die ZK-Leute in Saus und Braus gelebt haben und sich im hochgepriesenen Arbeiter und Bauern Staat auf Kosten der Arbeiter einen schönen Tag gemacht haben. Diese Leute haben erkannt, daß es am System lag. Auch diese Leute scheiden als Gegner einer demokratischen Entwicklung aus. Dann gibt es noch eine Gruppe der Ultralinken, die sich jetzt bereits wieder politisch formieren als Partei „Rote Nelken“ oder „Vereinigte Linke“. Diese Leute quatschen so karriert als wenn die Uhren stehen geblieben wären. Diese Leute wird es nach meiner Auffassung in jedem Staat geben, ihr habt sie als Rote Armee Fraktion im Untergrund. Solange sie als Partei zugelassen werden glaube ich nicht, daß diese radikalen, theoretischen Weltverbesserer einen Einfluß auf die weitere Entwicklung haben.
Die Frage ist nicht, hat denn der Stadtarchitekt von Leipzig oder den vielen anderen Städten nicht gewußt, wie es um die Stadt steht. Er hat es gewußt, aber das System hat ihm keine andere Wahl gelassen als so zu handeln, wie er gehandelt hat. In den vergangenen Jahren habe ich immer versucht die Hürden der Planungsbürokratie zu umgehen oder zu überwinden. Ich bin da oft Wege außerhalb der üblichen Planungsbürokratie gegangen und bin dann mehrfach bis zu den jeweiligen zuständigen Mitarbeitern in den Ministerien vorgestoßen, dies waren alles Genossen, aber dennoch waren nicht alle so verkleistert, daß sie mich rausgeschmissen hätten, weil ich ja garnicht befugt war, die Planungsadministration der Stadt, des Kreises und des Bezirkes zu überspringen bzw. zu umgehen. Sie wußten alle wie es unten oder draußen aussieht und waren vielfach bereit zu helfen, wo sie es im Rahmen ihrer Möglichkeiten konnten. Nur eins konnten sie nicht, das System ändern. Hierüber hat das Zentralkomitee der Partei bestimmt und jene Hierarchie, die an der Futterkrippe saß und mit Hilfe der Stasi alle anders denkenden sofort beseitigt hat. Hierin gibt es ja genügend Beispiele.
Damit möchte ich nun endlich die Politik beiseite lassen und zu überschaubaren familiären Dingen übergehen. Zur Zeit sieht es hier so aus: Henry schwirrt mit seiner Freundin im Raum Stuttgart und Tübingen umher, er wird in einer Woche wieder zurück sein. Carsten arbeitet jetzt in seinem alten Betrieb und ist ganz zufrieden. Wir wollen hoffen, daß es mit seinem Studium in Leipzig ab September klappt. Es ist ja nicht ganz einfach, einen jungen Menschen zum Studium zu bewegen, wenn er sieht, daß jetzt die Fach- und Hochschulkader als erste arbeitslos werden. Nach meiner Auffassung sind dies aber überhaupt keine Ingenieure oder echte Wissenschaftler gewesen sondern „Dünnbrettbohrer“ die in der Planungsbürokratie gearbeitet haben und nun überflüssig sind. Wenn meine Theorie stimmt, wird es in 5 Jahren hier noch ein Bauboom geben, wo gerade Bauingenieure unterkommen. Wichtig ist, daß er sein Studium schafft und als Fachmann in die Praxis kommt und nicht als marxistisch orientierter Kader. Von Stefan und seiner Frau Heike haben wir seit ihrer Rückkehr aus Jalta nichts gehört. Dies ist kein schlechtes Zeichen. Thorsten hat sich mit seiner Angela recht nett in der neuen Wohnung eingerichtet. Wir haben ihn gestern kurz besucht. Nach unserer Auffassung können die beiden mit dem Erreichten ganz zu frieden sein. Wir haben in diesem Zusammenhang auch über Euer Angebot des Hochzeitsgeschenkes gesprochen. Da sind die beiden ja in einer gewissen Zwickmühle. Auf der einen Seite gibt es bei Euch viele, schöne Dinge und auf der anderen Seite kosten sie Geld. Ihr könnt da nach eigenem Ermessen wählen, nur keine Kaffeemaschine, die haben sie mehrfach bekommen. Wenn es Glas oder Geschirr ist, dann wird es auch sicher noch Freude machen, wenn Ihr es im August mitbringt. Natürlich könnt Ihr es auch anders entscheiden. Hier die Adresse
Thorsten K.
[Straße und Hausnummer]
Brandenburg
1800
Jetzt ist aber Schluß, denn meine Konzentration läßt, wie Ihr an dem Schriftbild erkennen könnt langsam nach.
Also herzliche Grüße von allen Brandenburgern nach Bochum ganz besonders von
Eurem Gerhard und Ilse

 

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