Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM

Brief (Transkript)

Gerhard D. aus Brandenburg/Havel an Bruno W. nach Bochum am 18.08.1988

 

Brandenburg den 18.8.88

Lieber Bruno!

Herzlichen Dank für den KB-Brief vom 9.8., der zwar vom Zoll geöffnet, aber dennoch angekommen ist und hier wie alle Deine Post Freude ausgelöst hat. Diesmal nehme ich mir gleich die Zeit, um dann später wegen meiner nicht laufend von Ilse kritisiert zu werden. Du hast ja versucht die Gründe für ein Nachlassen unseres Schriftverkehrs zu analysieren. In einem Punkt stimme ich Dir zu nämlich, daß wir abends nicht mehr die gleiche Energie aufbringen wie vor 10 Jahren. In diesem Fall spielt unser Alter mit Sicherheit eine Rolle, aber bei mir auch der berufliche Streß, der durch die schwierige wirtschaftliche Situation der DDR nicht abnimmt, sondern ständig größer wird. Den zweiten Grund, daß die Politik uns nicht mehr vom Stuhl reißt, möchte ich nicht akzeptieren. Allein die Tatsache, daß Lafontaine wie die heutigen Nachrichten berichten erneut mir Honecker verhandelt, wäre Anlaß Bände zu füllen. Mein die Politik ist es nicht, sondern vielmehr das Wissen, daß es günstiger ist, Dinge nicht schriftlich niederzulegen. Es gibt da einige Gründe, die mich veranlassen in der Meinungsäußerung etwas zurückhaltender zu sein. Dennoch kann ich heute mein Ärger nicht verbergen, daß die westlichen Medien das Transferieren von Westmark in die DDR an Privatpersonen als Erfolg verbuchen. Das ganze ist doch ein Geschäft für die DDR, wo der kleine Mann sofort zur Kasse gebeten wird, da er gezwungen wird mit dem Westgeld in den Intershopläden des Staates zu kaufen, wo er erheblich höhere Preise zahlen muß als in den Transitläden an der Autobahn, wo nur Westdeutsche kaufen können bzw. dürfen. Mit anderen Worten der Westdeutsche Bürger finanziert den DDR-Staatsapparat.
Aber ich möchte auf diesem Parkett nicht weiter tanzen, zumal unsere Familien groß genug sind, so daß es immer Neuigkeiten der Entwicklung gibt.
Henry wird demnächst Schwerin verlassen und nach Rostock ziehen, um dort sich weiter sportlich zu betätigen. Da er sich nicht zur Teilnahme an den Jugendweltmeisterschaften qualifizieren konnte, ist er für die zuständigen Funktionäre in Schwerin überflüssig. Da er aber offensichtlich nicht ganz schlecht sein muß, hat Rostock ein Interesse bekundet. Auf der einen Seite ist dieses Angebot reizvoll (ich möchte hier nicht weiter auf Einzelheiten eingehen), auf der anderen Seite muß er aber feststellen, daß die Entfernung Rostock-Brandenburg größer geworden ist und die Möglichkeit einer Heimfahrt schlechter ist. Es kommt hinzu, daß er sich in den letzten Jahren in Schwerin einen Freundeskreis aufgebaut hat, der ihm viele Möglichkeiten geboten hat. Von unserer Seite müssen wir feststellen, daß es ein aufgeschlossener, intelligenter Personenkreis war, so daß Henry in den letzten Jahren ein positive Entwicklung genommen hat. Wir haben ihm die Entscheidung freigestellt, es bleibt zu hoffen, daß sie richtig war und ebenfalls einen positiven Ausgang besitzt.
Carsten „schruppt“ weiter seinen Dienst bei der NVA, dabei hat es den Anschein, daß er zurecht kommt und sowohl von „unten“ als auch von „oben“ akzeptiert wird. Auf Grund seiner Verpflichtung drei Jahre zu dienen, ist er inzwischen zum Unteroffizier „aufgestiegen“ und hat Soldaten in der Grundausbildung auszubilden, was ja bei der bekannten Unlust aller Wehrpflichtigen (auch eine der wenigen Gemeinsamkeiten – Ost und West) nicht ganz einfach ist. Obwohl ich ja nie bei der Armee war, habe ich den Eindruck, daß ihn diese Aufgabe doch formt und er für die Zukunft auch positive Eigenschaften mit nach Hause bringt.
Thorsten war mit seiner neuen Freundin, wie Ihr ja an der Karte gemerkt habt, für 14 Tage am Balaton und ist heil wieder zurückgekommen, was mit dem Auto (Trabant) und dem Verkehr schon was heißen will. Am Wochenende erwarten wir Stefan mit Frau und Kind, so daß hier wieder etwas Trubel herrschen wird.
Ilse und ich sind gesund und munter und verbringen bei schönem Wetter die meiste Freizeit im Garten, wo nicht nur Arbeit anfä sondern auch eine erholsame Ruhe herrscht.
Einen Teil unseres Urlaubs haben wir im Juni verlebt, wo das Wetter für solche ruhigen Stunden im Garten nicht gerade angenehm war. Dafür habe ich wieder im Keller und an der Laube schaffen können, so daß Du lieber Bruno bei einem nächsten Besuch nicht mehr ganz so enttäuscht sein wirst. Dies ist gleichzeitig eine Aufforderung den letzten Satz des Briefes vom 9.8.: Ich sage Euch jetzt „bis bald“ und … in konkrete Termine eines Besuches bei uns umzusetzen. Wir wissen zwar den Aufwand, den Ihr betreiben müßt einzuschätzen, aber würden uns dennoch freuen, wenn Ihr die Aufforderung von Kohl als treue BRD-Bürger bald befolgen würdet. Auf einer solchen Zusammenkunft könnten dann sicher einige Rätsel um diese oder jene Formulierung ausgeräumt werden.
Sonst gibt es hier nicht weiter weltbewegendes. Wir wünschen Dir und Deiner Rosemarie alles Gute und verbleiben mit herzlichen Grüßen

Euer Gerhard und Ilse

 

top