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Brief (Transkript)

Katrin S. aus Sebnitz an Henson S. nach West-Berlin am 29.04.1989

 

Sebnitz, den 29.4.89

Hallo, lieber Henson!

Weil ich gerade mal Zeit habe und mir nichts besseres einfällt, hab ich mal im wahrsten Sinne des Wortes, zu Papier und Feder gegriffen. Heute habe ich mir aus lauter Langeweile eine kurze Hose genäht und diese gerade Giftgrün gefärbt. Die Feder kleckst ein wenig, Entschuldige!
Seit Donnerstag bin ich nun schon zu Hause und mache abwechselnd Hausaufgaben, oder Nähe und bastle andere Dinge. Machst Du denn eigentlich jetzt so mit Deiner freien Zeit? Wie war eigentlich die Demo? Hat es was genützt?
Meine Eltern haben Gestern Besuch aus der BRD bekommen und nun steht die ganze Familie wieder mal Kopf. Mich kotzt so ein Gehabe total an. Meinen Vater haben wir Gestern erst aus dem Krankenhaus geholt. Er mußte Sonntag ins Krankenhaus und wurde da gleich operiert. Er hat wieder so eine Fistel am Po (Arsch, klingt so schön sächsisch), außerdem paßt es auch gut zu meinem Alten. Meine Mutter war diese Woche auch in Dresden im Krankenhaus, aber nur röntgen. Sie hat es so stark mit der Wirbelsäule und kann sich kaum noch bücken.
Vorhin war ich bei meiner Oma. Sie ist schon ganz aufgeregt, weil Sie zu Dir kommt. Ich durfte auch Deinen Brief lesen. Also, daß mit dem guten Charakter kommt von mir und dies weißt Du auch, oder? Henson, Du bist wirklich seit einiger Zeit derjenige dem ich alles erzähle und von mir alles weiß. Harms kapselt sich mir gegenüber immer total ab. Er möchte auch unbedingt, das ich einen neuen Freund finde oder habe. Manchmal benimmt er sich mir gegenüber total blöd. Ich gehe kaum noch hin, höchstens 1x in der Woche, doch abends fahr ich wieder ins Internat, ausnutzen lasse ich mich noch lange nicht, auch nicht im Bett. Meine Mutter und meine Schwester haben mir schon in den schönsten grau und schwarz Tönen meine Zukunft ausgemalt. Also ich bekomme keinen Mann, nur ein Kind, bleibe in Sebnitz hängen und werde alte Apothekerjungfrau. Zum Glück habe ich diese Torschlußpanik schon überwunden. Als mit Jörg alles vorbei war, hatte ich ehrlich dieses Gefühl und deshalb werde ich mich auch so an Harms geklammert haben. Nach dem Studium möchte ich gerne nach Berlin welches ist auch egal. Bitte nimms nicht schon wieder als Provokation oder Anspielung. Du hast dies immer so drauf. Bei Dir muß ich mir auch jedes Wort überlegen. So richtig darauf losquasseln kann ich überhaupt bei niemanden mehr. Die mit mir im Internat das Zimmer teilt ist bei der Staatssicherheit und meine Leute hier in Sebnitz haben alle irgendwie was am Kopf. Ich bin richtig froh so viele Studienaufgaben mit zu haben, sonst würde ich hier an der grünen Langeweile sterben.
Wann sehe ich Dich denn eigentlich mal wieder? Kommst Du Pfingsten mal nach Sebnitz? Oder soll ich nach Berlin kommen, doch da ist das Pfingsttreffen der Jugend und urst viel los. Ich weiß nicht ob ich bei soviel Trubel, Ruhe finde mit Dir zu plauschen. Schreib mal wie Du darüber denkst! Aber laß uns was Gemeinsam unternehmen. Harms fährt mit seinen Kumpels nach Mecklenburg. Da sind aber nur begrenzt Plätze und da darf halt nicht Jeder mit. Ich reg mich ja schon gar nicht mehr auf, aber anstinken darf es mich doch noch, oder?!
So, nun werde ich erst einmal ein paar Mathe-Hausaufgaben lösen und danach geht es weiter.

Sonntag, den 30.4.88

Hallo, hier bin ich wieder!

Es ist schon wieder recht spät geworden heute und nicht sehr viel getan. Außer aus purem Blödsinn Dir dieses abstrakte Bild gemalt. Ich hab einfach meine Seele baumeln lassen, an Dich gedacht, Musik gehört und gemalt. Vorhin war ich mal unten bei meinen Eltern und dessen Besuch. Wir haben uns über Politik unterhalten und da ging es hoch her. Es ging mal wieder über Rumänien. Sie waren ganz erstaunt was da los ist und wie es dort zur Zeit aussieht. Meine Eltern haben nur blöde Bemerkungen gemacht und da sind wir zu mir hoch gegangen und haben uns jetzt hier unterhalten. Nun mußte der Mann aber wieder mit runter, weils mal wieder was zu essen gibt. Es ist nichts wichtiger als das. Mir fehlt es sich mal wieder richtig zu streiten, mit Dir über Politik oder Meinungsstreit überhaupt. Gestern Abend hab ich mal einen Brief von Dir gelesen und da stand, „ich höre gerade Keith Jarrett und denke an Dich“. Dies Gleiche tuhe ich jetzt.
Seit dem wir uns nicht mehr so oft sehen, hab ich immer den Drang Dich zu sehen. Weißt Du ich muß in Beziehungen schrittweise Hineinwachsen. Jörg hat von 1982-1985 darauf warten müssen. Bei Dir hat’s nun auch 1 Jahr gedauert. Ich weiß nicht warum dies so ist. Henson ich möcht Dich jetzt gerne hier bei mir haben, um mit Dir mal darüber zu reden. Du nimmst es mir bestimmt übel, aber ich könnte und kann nicht eher Vertrauen und Liebe geben ehe in mir was passiert ist. Leider dauert es eben immer recht lange und meist ist dann alles auch schon vorbei. Die Klaviermusik macht mich total rührselig. Weißt Du was ich total schön fand und wie ich bis hinter beide Ohren errötete, als Du am Telefon vor etwa 2 Wochen sagtest: „Du bist doch meine Einzige und meine Teuerste.“ Leider meintest Du’s bestimmt bloß auf die Telefonkosten, Schade!
Die Platte von Keith Jarrett werde ich bestimmt heute noch verschenken, nicht weil sie mir nicht gefällt, sondern weil sie mir gerade gefällt. Der Mann von dem Besuch meiner Eltern spielt selbst Klavier und weil wir uns so gut unterhalten haben, werde ich sie Ihm schenken. Ich schweife immer mal ab höre auf die Platte, sehe auf Dein Bild und träume mich zu Dir. Heute will ich noch meinen Seemann besuchen und dessen Freundin, die auch meine Freundin mal war. Ich habe ein bisschen Angst, dahin zu gehen, weil Silke sich mir gegenüber total blöd verhielt. Sie hat in der Stadt einiges erzählt was eigentlich nicht’s für die Öffentlichkeit ist.
Naja, ich werd mich überraschen lassen. Also, bis morgen früh. Was wirst Du heute Abend machen? Ich möcht gern mal Mäuschen sein, bei Dir und in Deiner Nähe, ginge es mir schon besser und ich wäre auch ruhiger und zufriedener. Denkst Du eigentlich auch noch an mich? Oder hast Du jetzt alles Hinter Dir?!
Ich möchte auch gerne mal Deine Wohnung live sehen und mit Dir spazieren gehen in West-Berlin. Die gleiche Luft atmen wie Du ein Gefühl bekommen für Dein Leben, einfach Dich besser kennenlernen und verstehen. Du hast mal geschrieben Mauern können uns nicht trennen. Ich finde sie trennen uns ganz schön. Jeder von uns ist anders erzogen und unsere Einstellungen zum Leben und Denken sind auch durch die Gesellschaftsordnungen total verschieden. Henson zeige mir bitte mal Deine Welt, von Büchern, Zeitungen und Fernsehen kenne ich sie eigentlich genug, aber erleben will ich sie mit Dir. Nur so können wir uns näher kommen und kennenlernen. Ich lebe hier, Du da es geht auf die Dauer nicht, aber ich möchte es doch auch mal sehen. Du hast schon wirklich genug Anstrengungen unternommen mir mal Deine Welt zu zeigen, leider ist es bis jetzt immer an den Behörden meines Staates gescheitert. Ich höre jetzt besser auf sonst verschreibe ich mich noch. Henson, ich brauche echt Hilfe. Besuche mich recht bald.
Dein Katrinchen

Ich bin gerade von dunkel Finsteren Spaziergang zurück. Rene und Silke waren nicht zu Hause, doch meine andre Freundin Conny war da. Bei Ihr ist es immer recht nett und mit Ihr kann man sich auch recht gut unterhalten. Sie macht Reiseleiterin bei Jugendtourist in Dresden. Das ist Die, für die Du mal was erfragen solltest zwecks Heirat und Kind in der DDR, alles klar wieder?! Wir haben uns über ein halbes Jahr nicht mehr gesehen und so gab es viel zu erzählen. Nachher war ich noch in Stadt Dresden zur Disco. Sie ging aber nur bis 23.00. Ich hab fast einen Lachkrampf bekommen, so was können sie sich auch bloß hier in Sebnitz leisten. Das Stärkste war ja, daß die Leute anstandslos gegangen sind und es war halt Schluß in Leipzig oder Berlin käme auch schon gar niemand auf diese Idee. Also geht man 24.00 spätestens mit einem Mädel ins Bett oder man schläft allein, so wie ich. Nur kann ich um diese Zeit noch nicht so recht schlafen und schon gar nicht alleine. Ich finde es mal wieder prickelnt. Ich hoffe es ist bald Dienstag und ich kann wieder nach Leipzig. Da hab ich wenigstens Trubel und Menschen um mich, die nicht bloß ans heiraten, bumsen und Kinder bekommen denken. Als ich mich mit jemanden unterhalten habe ging es nur: „ich bin gerade Vater geworden (er 19, sie 18), wir heiraten bald und die und die heiraten nächste Woche oder übernächste Woche. Mir ist fast das Gesicht eingeschlafen. Naja, meinen Segen haben sie jedenfalls. Du siehst der Horizont ist nicht gerade sehr hoch und wie sollte ich hier leben können. Es wäre nur ein dahin vegetieren oder siechen. Und weißt Du was noch das Schlimmste an der ganzen Sache ist. Man bekommt immer wieder was von Jörg erzählt, was man überhaupt nicht will und was einen auch nicht im geringsten interessiert. Und dann die erstaunten Gesichter, wenn ich Denjenigen einfach stehen lasse und gehe. Mir kommt jedesmal fast die Galle hoch.
Ich hab wirklich nur noch den einzigen Gedanken, bloß hier weg und weit weg. Henson ich möchte gern zu Dir. Schade das ich kein Telefon habe, sonst würde ich Dich pausenlos anrufen.
Ich gehe jetzt also in mein einsames Bett, was auch nicht schlecht ist, aber was halt traurig macht.
Gute Nacht, bis Morgen!
Heute ist ein wunderschöner Tag, endlich 1. Mai’89 und bald geht’s wieder Richtung Leipzig. Ich habe heute bei meinen Eltern nebst Besuch einen Abschlußabend. Ich bin ja mächtig gespannt drauf. Die Platte habe ich nun doch verschenkt, sie haben sich sehr darüber gefreut.
So, nun hast Du aber erst einmal genug zum lesen und ich hoffe Du wirst Dich durch diesen Seelenmüll durchgekämpft haben.

Es umarmt Dich
ganz lieb
Deine Katrin!

 

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