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Brief (Transkript)

Hans-Eberhard K. aus Wainsdorf an Paul N. nach Münster am 08.04.1990

 

Wainsdorf, den 8.4.1990

Lieber Paul!

Muß gleich ein paar Zeilen schreiben bevor der Sonntag zu Ende geht. Laufend werden wir mit politischen sowie wirtschaftlichen Neuigkeiten überschüttet. Bin ebenfalls Deiner Meinung, die Politiker sparen nicht mit vielen Reden, aber einfach ist die ganz Geschichte mit der plötzlichen Wende bestimmt nicht. Mit soviel und totalen Veränderungen hat wohl keiner gerechnet. Das traurige ist, diejenigen die ihr Leben zuerst aufs Spiel gesetzt haben, hat man in den Hintergrund gedrängt.
Die alten (viele) Machthaber sitzen jetzt als Parteilose in ihren Funktionen. Ich meine wer 40 Jahre u. länger ein Lied gesungen hat wird nun kein besseres lernen können. Nun begegnet man Wendehälse, nicht jeder SED-Mann war ein Verbrecher, aber wer erwischt wurde wenn er die Wahrheit sagte wurde von vielen als Staatsfeind behandelt. Vielleicht finden wir Zeit (befristet) uns über miterlebtes während der harten Zeit zu unterhalten. Bei der Wahl war ich auch aktiv. Keiner will sich so richtig vor den zerbrochenen Wagen spannen. Mir fehlen zur Zeit handfeste Informationen: Alterversorgung, priv. Handwerk, Kommunalfragen einer kl. Gemeinde, Grundstücksteuerfragen, überhaupt Kosten, Landtechnik von der Größenordnung 2-3000 ha. Will hoffen, wenn ich das nächste Mal in die Bundesrepublik komme etwas zu erfahren. Der letzte Lagebericht vom 11.4. gibt eine genaue Übersicht wie es bei Euch z.Zeit läuft, kurz gesagt für alles vielen Dank. Der nachträgliche Geburtstagsglückwunsch hat seine volle Berechtigung erfüllt, auch ein Geburtstag war Nebensache. Über die netten Urlaubsgrüße aus Portugal vom Peter haben wir uns sehr gefreut, er ist wirklich super. Die grüne Marke muß noch sein, Informationen über Veränderungen erhälts Du, vieles ist noch unklar! Werden doch jetzt kein Risiko mehr eingehen.
Heimlich planen wir schon seit Weihnachten 1989 Euch mal zu besuchen. Während der Wende erhielten wie eine Überraschungseinladung nach Holland, einer Familie mit der wir vor 12 Jahren in Ungarn paar nette Urlaubsstunden verbracht haben.
Halb zugesagt haben wir, als Termin war Ende Mai Anfang Juni vorgesehen. Nun die Unerwartete Einladung zum 60ten, wir nehmen diese an, hoffendlich werden wir alles verkraften.
Die Edeltrud ist noch arbeitsunfähig, ihr droht ein Abschieben, zum Arbeiten zu wacklich als Rentner noch nicht alt genug. Wir müssen uns auf die Corina stützen, sie geht ja noch nicht arbeiten. Mit der Elisa ist auch noch nicht in Ordnung, meine Mutter liegt nun ganz fest, Zeit zum Heumachen fällt ebenfalls in diese Spanne. Was wird mit der Währungsunion, beim Bauen sind wir immer noch! Gestern war ich mit der Corina kurz auf einem Baumarkt aus Hannover in Meißen, wir müssen uns schon informieren was auf uns zukommt, tolle Angebote aber die Preise 1:3 und höher eine kl. Dose Cola 2,70 Ost eine Fließe für’s Bad bis 10 Mark Ost. Viele Menschen sind sehr unsicher, aber die Befreiung von der kommunistischen Bevormundung ist zu spüren. Eine neue Belastung müssen wir nun in Kauf nehmen, ist uns auch verständlich. Das gesamte Pflanzenwachstum sieht hier nicht gut aus, es fehlt einfach die Winternässe. Hyazinten und Tulpen haben wieder toll geblüht. Habt Ihr Euer Geschäft im Klinikum noch? Marken habe ich alle auf d. Post geh. Beim Währungsgeschäft werden wir hoffentlich nicht ohne Seife rassiert, ist ja auch für Eure Wirtschaft eine zusätzliche Belastung. Autos sind über Nacht frei zum Kauf angeboten, unvorstellbar. Unweit von uns war ein Internierungslager bis 1950 belegt, dort verbrachte mein Vater 4½ Jahre, er überlebte. Vorige Woche wurden endlich diese Tatsachen veröffentlicht. An meinem Brief merkt Ihr mit was für Zeug wir uns jetzt alles beschäftigen müssen.
Bleibt gesund und viele viele Grüße von uns allen
Hans-Eberhard

P.S. An die ganze Familie herzliche Grüße von uns allen.

 

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