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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 16.11.1942 (3.2002.0985)

 

Nr.69

Al., den 16. November 1942



Meine liebe Ursula!

Da wir auch heute noch nicht abgeholt wurden, unternahm ich heute vormittag einen Gang in die Stadt. Es war entsetzlich schmierig draußen auf den Straßen. Vereinzelt hörte man in der Ferne Geschützdonner, sonst war es ganz friedlich. Mich zog dabei wie ein Magnet die Kirche an. Man sieht der ganzen Anlage an, daß sie von der Staatskirche eines Reiches gebaut wurde, das hier in dem fremdvölkischen, mohammedanischen Land seine Macht bekunden wollte. Die Kirche ist nur klein, in byzantinischem Stil. Sie ist umgeben von einem kleinen Park mit hohen Bäumen. Das ganze ist abgeschlossen durch eine Mauer mit mehreren Türmen und 4 Eingangstürmen. Die Anlage ist sehr hübsch. Außen davor sind noch kleine Grünanlagen gewesen, und an der Hauptstraße ist eine Reihe sehr hoher Pappeln, die der ganzen Anlage einen großzügigen Abschluß gibt. An der Mauer entlang – seltsamerweise außen – befinden sich zahlreiche deutsche Soldatengräber, drinnen auf dem Kirchhof nahe der Kirche beerdigte gerade ein rumänischer Capitan eine Anzahl eigener Gefallener. Als ich in die Kirche hineinging, war ich erstaunt, eine Anzahl brennender Kerzen zu finden. Das Gebäude ist gut erhalten. Es scheint sehr lange noch, vielleicht bis in die Gegenwart, als Kirche benutzt worden zu sein. Die Bemalung der Wände, der Kronleuchter, zwei riesige Eisenöfen, alles war erhalten. Nur die Bilderwand fehlte. Da haben die Rumänen einen schlichten Altar mit einem Holzkreuz aufgebaut. Das wirkte geradezu "protestantisch". Zwei kleine Ikonen standen vor dem Kreuz. Ich war glücklich, "eine lebendige Kirche" entdeckt zu haben. Ob wohl auch Russen da hineingehen? Die lange Kirchenanlage beherrscht das Städtchen, alle übrigen Gebäude sind ärmlich und unansehnlich.
Nachmittags habe ich mich in Landkarten vertieft. Man wird nicht froher dadurch, wenn man die gewaltige, vor uns liegende Aufgabe ermißt. Sag mal, lächelst Du nicht öfters, wenn ich irgendwelche Termine angebe, wie z.B. kürzlich bei Or.? Ich tippe doch jedesmal gründlich daneben, wie Du ja schon beim Empfang der Briefe feststellen kannst. Ist es nicht so?

18. November
Gestern früh stand ich bei klarem Wetter auf und beschloß, nun endlich Verbindung mit der Kompanie herzustellen. Ich ließ mich von einem Kübelwagen mitnehmen bis Ar. Hier traf ich zunächst auf den Gefechtstand von Oberleutnant Herdegen. Der erzählte, daß Hauptmann Steinberg, seit ein paar Tagen als Genesener wieder anwesend, ebenfalls als Führerreserve keine Funktion hat. Das Bataillon ist vorne eingesetzt und soll sich mal wieder mit Bunkerbau beschäftigen. Daß es die Winterstellung wird, kann ich mir nicht denken, da Or. doch unbedingt noch in unsere Hand kommen muß, damit wir die grusinische Heerstraße bekommen und den Nachschubweg von Tiflis her unterbinden. Nun, ich bin kein Stratege. Ich kann mich ja irren. Herdegen hat Urlaubs- und Heiratspläne. Er ist ein feiner Kerl. Jedenfalls verstehen wir uns gut. Was mit mir wird, konnte ich durch ihn nicht erfahren. Und Büschleb zu sehen, hatte ich keine Neigung. Hoffentlich bekomme ich, wenn man mich einmal brauchen sollte, wenigstens meine 6. Kompanie Aber ich habe eine Scheu, selbst etwas in dieser Hinsicht zu unternehmen.
Hier beim Troß fand ich ein sehr nettes, sauberes Quartier, in das ich nun mit Schaufel, meiner Ordonnanz, eingezogen bin. Als ich mich gestern abend hinlegte, war es erst sehr warm. Deswegen zog ich sogar meine Strümpfe aus und legte mich einfach mit Hemd und Hose bekleidet schlafen. Das war recht ungewohnt, aber sehr wohltuend. Um so überraschter war ich, als ich nachts Wanzen merkte und erlegte. Da mußten Trainingsanzug, Handschuhe und Moskitonetze wieder für Ordnung sorgen. Dann schlief ich sehr gut. Zum Glück hatte nachts Regen eingesetzt. Vorher war die russische Luftwaffe sehr aktiv. Durch den Regen war es dann vorbei. Heute früh ist nun wieder klares Wetter, so daß man auch das Gebirge sehen kann. Wir sind ihm jetzt doch ziemlich nahe gerückt. Da auch im Rücken kleine Höhen, die bekannten von El., sind hat man das Gefühl, wirklich in einer Bergwelt drin zu sein, auch wenn wir uns noch auf einer weiten Hochfläche vor den Bergen befinden. Aber hinein kommen wir wohl nie, weil das Gelände für uns ungeeignet ist. Das muß man schon den Gebirgstruppen überlassen. Für sie ist das etwas. Jetzt warte ich sehnsüchtig auf die Wintersachen, oder richtiger auf das, was da sonst noch mitkommt. Vor allem einen Brenner brauche ich sosehr dringend, sonst kann ich meine Karbidlampe nicht mehr benutzen. Ich bin ja nur froh, daß ich meine Sachen noch alle habe. Hätte ich alles mitgemacht, säße ich jetzt ohne alles da. Besorgst Du mir mal zwei Heftchen "Schlag nach"? Eins über Italien und eins über die Türkei/Irak usw. Daß ich nun dringend Sterne benötige, schrieb ich wohl. Sie sind, falls welche unterwegs waren, auch draufgegangen. Tinte und Umschläge schickst Du wohl bei den Wintersachen mit? Die zwei Päckchenmarken sind die letzten von Ende Dezember.
Recht von Herzen grüße ich Dich, meine liebe Frau!
Dein Heinz

 

 



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