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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 26.10.1942 (3.2002.0985)

 

den 26. Oktober 1942



Meine liebe Ursula!

Als ich heute abend in mein Quartier zurückkehrte, fand ich Deinen lieben Brief Nr.52 vor. Es ist also mitunter auch mal ganz gut, wenn ein Brief etwas später kommt wie damals Anfang Oktober, so daß Du die Feldpostnr. der 9. Kompanie erst später erfahren hast. Trotzdem werde ich zur Vorsicht morgen mal dort anfragen, ob vielleicht doch Post für mich eingegangen ist. –
Die Lisel ist ja töricht, daß sie am 1. November schon wieder als Schwester anfangen will. Sie soll sich nur nicht übernehmen! Vielleicht ändert sich auch da ja manches, wenn Peter auf Urlaub war. Dir muß ich erst mal wieder einen Verweis erteilen! Du hast Wäsche aufgehängt. Mein Kind, das geht beim besten Willen nicht! Nun fange ich langsam an, Angst zu schwitzen, wenn Du so weiter machst. Diese paar Monate mußt Du nun schon noch brav bleiben! Wo soll denn das hinführen? Erst radfahren, jetzt Wäsche aufhängen! Wer weiß, was Du sonst noch alles treibst! Ich muß also wieder einmal sagen: Bessere Dich!
Gestern schickte ich ein Paket ab, weiß eingeschlagen, fast so groß wie ein Schuhkasten. Es enthält etwa 7 Päckchen Tee, den letzten, den ich schicken kann, Briefschaften, Karten und ähnliches, außerdem noch eine Kleinigkeit, die ich für Dich zu Weihnachten bestimmt habe. Sie liegt ganz obenauf. Vielleicht bittest Du Mutter, daß sie das Paket öffnet, da ich ja sonst gar nichts für Dich habe. Mutter kann es dann ja bis Weihnachten aufheben. Es ist nichts von Wert, nichts Nützliches, nur ein kleines Angebinde, das aber eher mir als Dir Freude macht. Trotzdem bin ich froh, wenn Du es erst zu Weihnachten erhältst, schon allein, weil ich diesmal gar nichts für Dich habe und weiß, nicht einmal die beliebten Fotos. Aber ich habe jetzt schon lange nicht mehr geknipst.
Denk Dir nur: Dieser Tage kam eine telegrafische Anfrage von Feldwebel Köhlers Eltern, wo und wann ihr Sohn gefallen sei. Die Frau hat also wohl nicht einmal ihre Schwiegereltern benachrichtigt. Sie war im Wehrmeldeamt Angestellte. Irgend jemand sagte mal, vielleicht sei sie schon wieder verheiratet. Sie hat also wohl ihren Mann ziemlich schimpflich hintergangen. Dabei hielt er so große Stücke auf seine Frau und seine Ehe. Ich hatte von ihm gerade in dieser Hinsicht einen sehr guten Eindruck. Ist das nicht eine Schande? Als ich das erfuhr, sagte ich zu Meyer: Dann ist es ja ganz gut, daß er gefallen ist. Das wäre doch ein Knax für sein ganzes Leben gewesen. Meyer darauf: Wenn mir das passierte, ich würde sagen: „Bitte, da ist die Tür! Ich würde meine Frau an die Luft setzen und der Fall wäre erledigt.“ Das läßt natürlich herrliche Rückschlüsse auf seine Ehe zu! Doch das geht mich ja nichts an. Jedenfalls kann ich nun verstehen, warum er nur alle 8–14 Tage mal nach Hause schreibt. Sicherlich werden das dann sehr inhaltsreiche Episteln. Dieser Tage, wo ich nun viel Zeit habe, höre ich mich öfter mal um, was andere nach Hause schreiben. Da ist kaum einer, der sein wirkliches Erleben beschreibt. Das ist mir eigentlich unfaßlich. Können die Frauen denn die Wahrheit nicht vertragen!? Zudem sehen sie doch alle meist die Wochenschau und machen sich nun zu allermeist ein ganz schiefes Bild vom Erleben ihrer Männer. Die Zeitungen tun ihr übriges. Da schicke ich Dir mal so einen blumenreichen Bericht , der von unseren Gefechten schreibt. Das ist alles Unsinn, was der Mann sich da erdichtet hat. Du hast von mir ein ziemlich wahrheitsgetreues Bild von den Terekkämpfen in meinen Briefen. Nun vergleiche sie bitte mit dem Wortgetöse unseres Schreiberlings. Man merkt ihm an, daß er nicht vorn dabei war, sonst könnte er nicht faseln, daß wir am Fuße "schwindelfreier Felswände stehen". Diese sind leider Gottes immer noch 50 km entfernt, und dazwischen sitzt der Russe mit Panzersperren, Bunkern, Minengräben und dergleichen. Gestern hörte ich von einem Kameraden, wie Pistrius seine Berichte macht. Drei, vier Sätze einer belanglosen Unterhaltung über irgendein Erlebnis genügen, dann macht er einen endlosen Zeitungsartikel davon; er hat eine dichterische Ader und gute Phantasie, das genügt ihm. Doch genug davon.

27. Oktober
Wir führen ein sehr geruhsames Leben. Heute früh zog ich mich in aller Ruhe an, wozu ich eine Stunde benötigte. Dann wurde Kaffee gekocht, etwas gefrühstückt und ein kleiner Spaziergang gemacht. Äußerlich muß man mir ja schon ansehen, daß wir das Leben eines vornehmen Nichtstuers führen: geputzte Stiefel, weiße Felljacke und grüner Schlips zum sauberen Hemd. Das ist ordentlich wohltuend. Man hat nichts zu tun, und trotzdem geht solch Vormittag sehr rasch herum. Inzwischen ist wieder Post gekommen: Dein lieber Brief Nr.54. Ob Du wohl einen Brief zur 9. Kompanie hast gehen lassen? Er ist dann wohl verloren gegangen oder kommt noch. Ich will mal zur 9. Kompanie schicken. Und Peter ist in Deutschland? Das freut mich sehr. In diesen Tagen seid Ihr also in Hamburg gemütlich beisammen und freut Euch über den Urlauber. Das sind sicherlich schöne Festtage. Heute früh wurde mir klar, wie eigenartig es doch sein muß, wenn Vater nach Hannover ziehen sollte. Dann kann man auch im Urlaub keinen Bummel mehr durch Osnabrück machen. Weißt Du noch, wie wir neulich mit Käthe am Ratsgymnasium vorbeizogen? Da wird doch manche Erinnerung wieder lebendig. Zu Hannover habe ich bisher nur unangenehme Beziehungen gehabt: LKA, Examen, selbst Ronnenberg ist ja nur eine sehr getrübte Erinnerung trotz der großen Versöhnung. Ich will nicht vergessen, daß wir auf unserer Hochzeitsreise durch Hannover gekommen sind. Aber da haben wir ja von Hannover nicht viel gesehen! Ob es für Vater jetzt verpflegungsmäßig nicht noch schwerer werden wird, als es ohnehin schon war? Denn dort wird er ja selbst seine berühmten Knochen nicht mehr haben. Und einen Garten wird es erst recht dort für ihn nicht geben. Der einzige, etwas zweifelhafte Vorteil ist für ihn vielleicht die Nähe von Ronnenberg. Aber sonst gönne ich Vater die Ruhe von Herzen. Wenn er länger schlafen kann und nicht so viel zu laufen braucht, ist es mit der Verpflegung ja auch etwas besser. Weißt Du, mich ärgert es immer, wenn Landser hier Speck, Wurst oder Schinken von zu Hause bekommen! Gewiß, wir können in dieser Jahreszeit auch nicht mehr schwelgen und müssen auf fast alle Annehmlichkeiten des Lebens verzichten, aber wir werden doch stets sehr reichlich satt. Deshalb kann ich das unvernünftige Volk auf dem Lande nicht verstehen! Wenn sie noch so reichlich zu essen haben, sollten sie den Städtern etwas abgeben! Da fehlt es bestimmt. Was mich außerdem so stark beschäftigt, ist die Frage, wie weit Vater die Wohnung verkleinern will. Er hat noch nicht geschrieben, was er an Zimmern dort bekommt. Aber sicher wird die Wohnung nicht so groß sein. Da soll er ruhig einiges verkaufen, was überflüssig ist. Schade, daß Du augenblicklich nicht mobil bist. Noch bedauerlicher, daß ich nicht einmal nach Hause kommen kann. Sonst könnten wir doch manchen Ratschlag erteilen. Es ist ja immer schwer, wenn man sich von eigenen, liebgewordenen Sachen trennen muß. Daher wird es in seinem Alter und in seinem Konservativismus besonders schwer werden. Denk Dir nur, jetzt ist bei uns die Urlauberquote erheblich heraufgesetzt! Augenblicklich sind jetzt die Landser mit Urlaub an der Reihe, die Januar 1941 zuletzt auf Urlaub waren. Also wenn ich jetzt einfacher Landser wäre, könnte ich jetzt endlich mit Urlaub rechnen. Das hebt jetzt natürlich doch bei manchen die Stimmung, die Aussicht, daß nun doch zwei Jahre nicht ganz voll werden! Wenn es so dabei bleibt, besteht auch für mich die Möglichkeit, daß ich im Frühjahr wieder an der Reihe bin. Ich will nicht zu früh davon fantasieren. Aber wenn man Zeit hat, stellt man ja gern allerlei müßige Betrachtungen an. Jedenfalls freut es mich für alle, die jetzt endlich zu ihrem langersehnten Urlaub kommen. Auch derjenige, dessen Frau kürzlich das köstliche Urlaubsgesuch schrieb, daß sie sich nach einem Kinde sehne und ihre Ehe stark gefährdet sei, ist jetzt bald an der Reihe. Du siehst, die Frauen kommen in ihrer Not auf die tollsten Einfälle!
Ich habe Dir noch gar nicht erzählt, daß ich jetzt mit Leutnant Bauer, der vor einem Monat für einige Tage meinen Zug übernahm, zusammengezogen bin. Ich kam vorgestern in dies Haus und schmiß ein paar Landser raus, die sich gerade häuslich eingerichtet hatten. Sie stöhnten, sie müßten draußen schlafen, bekämen Rheuma u.s.f. Es waren typische Kolonnenfahrer, die keine Ahnung haben , wie wir dauernd hausen müssen. Sie wurden also an die Luft gesetzt. Nun kam es mir natürlich ziemlich öde hier vor. Nach einiger Zeit erschien Bauer, wohl mit dem Vorsatz, hierher zu mir zu ziehen. Ich erklärte mich bereit, weil man ja nicht so gern allein haust. Er bringt genügend Abwechslung. Sein Wesen liegt mir nicht, zumal er alles besser weiß und stets anderer Ansicht ist als ich. Offenbar ist das in seiner Veranlagung begründet. Er markiert sehr den vornehmen Ästheten, weit mehr als ich. Unsere Ehe ist eine Zweckgemeinschaft. Weil ich die Leute von der Führerreserve "führen" soll, hält er es für zweckmäßig; bei mir zu wohnen. Gern hätte ich den Lt. Dr. Wiebe bei mir gehabt, einen älteren Juristen, der viel besser zu mir paßt und nicht so geckenhaft ist. Ihn besuchte ich heute morgen. Er ist ein verständiger Mensch, übrigens Mennonit von Bekenntnis. Er stammt aus Marienburg. Jetzt im Sommer war er längere Zeit Verbindungs-Offizier bei der Panzerarmee, also ähnlich wie ich im Vorjahre. Er ist sehr betrübt, daß er nach 5jähriger Ehe noch keine Kinder hat. Seine Frau ist Ärztin und hat jetzt im Kriege natürlich vollauf zu tun. Vom Kriege hat er noch wenig in Rußland zu sehen bekommen, da er schon nach 5 Tagen 1941 verwundet wurde. Da merke ich, daß ich inzwischen alter Krieger geworden bin. Das was man zu Weihnachten bei mir aussetzen zu müssen glaubte, daß ich noch nichts mitgemacht habe, diese Scharte ist lange ausgewetzt. Deshalb betrachte ich diese Tage durchaus als wohlverdiente Ruhe. Sie hat nur den Nachteil, daß sie auf die Dauer Langweilig wird. Zunächst aber freue ich mich wieder, bar jeder Verantwortung zu sein. Das ist mal ein schönes Gefühl! Für mein leibliches Wohl sorgt jetzt der kleine Friseur, der im Sommer mal für einige Zeit in meinem Zugtrupp war. Er hat viel hinzugelernt und ist sehr viel anstelliger geworden. Heute mittag brachte er mir etwas gebratene Gänsebrust und Bratkartoffeln, die der Hauptfeldwebel für mich hatte zurechtmachen lassen. Jetzt ist er nebenan und brät Kartoffeln. Hoffentlich vertrage ich das alles. Jetzt sind nebenan drei Landser und singen Schlager. Die Kartoffeln haben sehr gut geschmeckt.
Wenn Du mir eine Mütze besorgst, dann nimm doch bitte die neueste. Sie hat einen Schirm und ist an den Seiten herunterzuklappen. Außerdem brauche ich ein handfestes Schloß, das man in eine Kiste einlassen kann. Mein Schloß ist kaputt, die Kiste erbrochen.
Recht von Herzen grüße ich Dich, kleine Frau!
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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