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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 23.11.1941 (3.2002.0985)

 

den 23.11.1941



Meine geliebte Ursula

Heute ist Totensonntag; da gehen meine Gedanken in besonderem Maße in die Heimat und vieler Frauen Gedanken wandern irgendwohin, wo einmal in Rußland hart gekämpft wurde. Wahrscheinlich werden heute Vater und Werner an Mutters Grab stehen. So hat in diesem Jahre für uns der Totensonntag zum ersten Male persönliche Bedeutung. Ich bin sehr froh, daß ich die beiden Aufnahmen von Mutters Grab habe, die so recht schön den Platz zeigen, wo Mutter jetzt zur letzten Ruhe gebettet ist, wie man zu sagen pflegt. Als ich heute morgen zur Kirchzeit die Losungen des Tages las, wurde ich mehr als an anderen Sonntagen von ihnen angefaßt. Das Gleichnis von den Jungfrauen ist einem so unendlich vertraut und lieb, daß man es nicht fassen kann, wie Menschen sich nicht davon ansprechen lassen. Ich war sehr froh, daß ich hier allein im Zimmer saß und eine stille Andacht halten konnte. Dabei wurde mir auch klar, welch eine Gabe es ist, daß wir beten und Fürbitte leisten dürfen, vor allem für unsere Kirche, deren ich täglich gedenke, ebenso aber auch für unser Volk, das wohl einem schweren Winter entgegen geht, zumal die Kampfhandlungen hier im Osten vor dem Winter nicht zum Ziel führen werden. Heute mittag hörte ich, daß Mölders verunglückt ist. So geht es allen oder doch vielen hervorragenden Männern in diesem Kriege, man denke nur an Udet, Prien und andere. Die militärischen und politischen Aufgaben, vor die unser Volk sich gestellt sieht, sind groß. Gott gebe, daß sie nicht die Kräfte unseres Volkes überfordern. Die Erfolge bei Tula und an der Wolga sowie die Einnahme Rostows lassen ja auf einen günstigen Fortgang der Operationen noch vor dem großen Schneefall hoffen trotz der starken Gegenwehr der Russen. Ohne Frage wird der Winter dann besondere Aufgaben zur Genüge stellen. Seit einiger Zeit nimmt nun das Bild, das die politische Neuordnung des Ostens zeigen soll, deutlichere Formen an. Seit der Gründung der Reichskommissariate Ostland und Ukraine besteht wohl kaum mehr ein Zweifel darüber, daß wir weite Teile des eroberten Gebietes als Kolonie betrachten. Beim "Ostland" hatte ich es gehofft, bei der Ukraine befürchtet. Damit wird eine ganz neue Periode in der Geschichte unseres Volkes eingeleitet; es wird aus dem Bismarck'schen Nationalstaat ein europäisches Imperium mit Tschechen, Polen, Ukrainern und Balten, die unserem Volke zunächst die Waage halten, es aber bald dank ihres raschen Wachstums weit überflügeln werden. Darin sehe ich die Hauptgefahr, die vielleicht nach einer Generation schon alle heutigen Erfolge in Frage stellen wird. Ich sprach dieser Tage mit Meister Struwe, der in vielem der Typ eines Bauern ist. Die Art, wie er über die Frage der Verheiratung während des Krieges denkt und manches andere zeigen, daß er nüchtern wie ein Bauer denkt und seine Handlungen vielfach durch die Interessen seines Hofes bestimmen läßt. Mit ihm sprach ich über Siedeln. Da meinte er, daß es heute eine sehr fragwürdige Ehre sei, Bauer zu spielen. Wenn er nicht seinen Hof hätte, würde er nie daran denken zu siedeln. Ich glaube nicht, daß er ein schlechter Bauer ist, aber er sieht genau so wie jeder andere, daß heute jeder Industriearbeiter und Beamter es besser hat als der Bauer, der infolge der vielen Arbeit seines Lebens nicht mehr froh wird. Er würde gern den Hof verkaufen und etwas anderes unternehmen, wenn es möglich wäre. Bekannt ist ja, daß heute eine Bauerntochter nur sehr'' ungern auf einen Hof heiratet. Und was den Kinderreichtum betrifft, da sieht es doch wohl erst recht traurig aus beim Bauern wie auch bei allen anderen Berufen. Frag nur mal einen Familienvater! Da bekommt man fast stets die gleiche Auskunft. Es ist möglich, daß das Reich ganz radikale Steuergesetze auf diesem Gebiete schafft und dadurch etwas erreicht. Die Propaganda ist bisher völlig negativ verlaufen. Wenn man das alles bedenkt, da kann man sich fragen, ob die jetzigen Erfolge nicht doch unsere Kräfte überfordern und wir nach 1-2 Generationen den Rückzug antreten müssen. Dann wären die heutigen Erfolge ein Pyrrhussieg.
Augenblicklich lese ich eifrig in Reuters "Stromtid", für die ich Tante Lene sehr herzlich danke. Gestern nachm. traf ich beim Baden Oberleutnant Saß, der in Salzwedel mal mein Vorgesetzter war. Durch ihn ist Salzwedel bei mir wieder in lebendige Erinnerung gerufen.- Leider mußt Du jetzt wohl sehr lange auf Post warten, da die JU irgendeinen Defekt hat. Auch die beiden letzten Briefe sind noch hier. Für heute genug!
Recht, recht innigen Gruß
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

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