Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 18.-20.07.1941 (3.2002.0985)

 

den 18.7.1941



Meine geliebte Ursula!

Eben erlebte ich die große Freude, daß unser Feldpostmeister erschien und die Post mitnahm. Es besteht also die Aussicht, daß meine letzte lange Epistel doch noch in Deine Hände gelangt. Offenbar ist der Weg in die Heimat jetzt wieder frei, so daß die Post tatsächlich befördert werden kann. Nun geht schon seit Tagen die Rede, daß zwei Postsäcke unterwegs sind. Vielleicht ist ja für mich etwas dabei. Wann der Lkw kommt, ist unklar. Hoffentlich hast Du nun auch an meine jetzige Feldpostnummer geschrieben, wie ich bat. Sonst dauert es wohl noch eine ganze Weile, bis meine Kompanie mir mal etwas zuschicken kann. Vorhin habe ich in aller Eile noch mal einige Zeilen an Prießnitz’ Großeltern geschrieben, da er bei ihnen aufgezogen ist. Auch sie wird der Tod ihres einzigen Enkels sehr hart treffen. Als ich gestern früh durch den grauenden Morgen fuhr, habe ich ein kleines Poem verfaßt. Vielleicht schicke ich es Dir mal zu. Aber Du darfst nicht darüber lachen!
Gestern abend hatte ich mit einigen Kameraden und heute früh mit unseren Pfarrern ein Gespräch über den Sinn dieses Feldzuges. Seit so viele Kameraden ihr Leben lassen mußten, ist mir diese Frage sehr lebendig geworden. Ich muß immer daran denken, wie ich während unseres Aufenthaltes im Reich im Kompanie- oder Zugunterricht auf den bevorstehenden Rußlandfeldzug hinwies, aber allgemeine völlige Verständnislosigkeit fand. Auch mit Prießnitz sprach ich, während wir packten, darüber. Warum? Das konnte damals noch niemand einsehen. Ich selbst wußte nur, daß der Feldzug bevorstand, über den Grund machte ich mir selbst vielleicht auch nicht allzu viele Gedanken. Leider habe ich dann keine Gelegenheit gehabt, die Erklärung der Reichsregierung zu hören. Gestern nun wurden die verschiedensten Motive genannt. Einer ging davon aus, daß die meist jüdischen Kommissare mit geladener Pistole die wankenden Kompanien der Russen in den Kampf treiben sollen. Er meinte, deren Herrschaft müsse nun endlich gebrochen werden, auch hier in S. müsse eine neue Ordnung entstehen. Aber lohnt es sich, dafür deutsches Blut zu opfern? So sagte ein anderer: Es sei vielleicht besser, wenn wir einen Ostwall gebaut hätten, um uns darüber zu verteidigen. Was ginge uns der Osten an! Doch sicherlich brauchten wir die fruchtbare Ukraine als Ernährungsbasis für die weitere Kriegsführung. Das schien mir einleuchtend: Vorsorge treffen, damit die Heimat zu essen hat. Als wir dann an der ehemaligen Kirche vorbeikamen, stieg in mir wieder die Hoffnung auf, daß in einer freien Ukraine vielleicht auch wieder christliche Verkündigung möglich sei. Dieser Wunsch ist für mich auch ein Ziel, für das sich kämpfen läßt. Pfarrer Eickhoff meinte, daß die Vorsehung Deutschland vielleicht dazu ausersehen habe, die Sowjetherrschaft zu zerschlagen. Ich selbst wage mich an solche Geschichtsdeutung ungern heran.
19.7.
Heute nacht schliefen wir in einem noch unfertigen Neubau. Einige Fenster sind mit Brettern vernagelt, es zieht ein wenig, aber man hat doch das Gefühl, ein Dach über dem Kopf zu haben. Gegen abend holte ich mir etwas Stroh von einem Nachbarhof, darüber wurde mein Kradmantel gebreitet und schon war das Nachtlager fertig. Allerdings ging ich erst spät - nach zehn Uhr - ins Bett, da noch die beiden Postsäcke erwartet wurden. Der Lkw saß irgendwo fest, er mußte schließlich mit der Zugmaschine geholt werden. Währenddeß’ unterhielt ich mich mit Pfarrer Eickhoff. Wir verstehen uns sehr gut. Mit ihm werde ich besser warm als mit Helmuth D. In vielem sind wir einer Meinung. Die Unterhaltung mit ihm schätze ich sehr. Gestern abend warteten wir allerdings vergebens. Erst sehr spät kamen die Postsäcke, als wir schon auf unserem Stroh lagen. Für mich war nichts dabei.
20.7. Heute ist Sonntag, zudem noch habe ich Geburtstag. Allerdings ist das Wetter so erbärmlich, daß man fast trübsinnig werden möchte. Ich sitze jetzt an einer Schulbank in einem leeren Hause in Naschka, einem kleinen Dorfe. Wir sind kurz vor Mittag hier angekommen und werden wohl einen Tag hier bleiben. Allerdings scheint jetzt langsam Leben wieder in uns zu kommen, wenn nicht das klägliche Wetter uns wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Gestern nachmittag fuhr ich mit dem Grafen von Gr. A aus einige Kilometer zur Führungsstaffel, aber es dauerte bis zum späten Abend, ehe wir glücklich zurückkehren. Die Wege, besonders im Walde, sind von Panzern und Zugmaschinen dermaßen zerfahren, daß wir wirklich Mühe hatten, uns durchzuwühlen. Später, auf freiem Felde, war es dann die reinste Rutschpartie, aber kein Fahren mehr. Der Weg war glitschig wie eine Eisbahn. Auf dem Rückweg machten wir daher einen großen Umweg und kamen besser nach Hause. Heute früh waren wir auch beim Verpflegungsamt, das auch die Post leitet. Morgen soll wieder Post kommen. Ich bat, mir meine Post herauszusuchen. Wenn das geschieht, kann ich also auf Post von Dir hoffen. Gleichzeitig soll auch wieder Post in die Heimat gehen. Darüber bin ich sehr froh, denn für Euch ist das Warten doch noch viel schlimmer als für uns. Offenbar ist mit der Feldpost irgend etwas schief gegangen. Sonst hätte diese Pleite nicht eintreten dürfen. Deshalb darfst Du nie in Sorge sein, wenn Du sehr lange keinerlei Nachricht erhältst.
Eigentlich wollte ich Dir so viel erzählen, aber jetzt weiß ich gar nicht mehr, was es war. Die Mittagsmüdigkeit macht sich doch so bemerkbar. Dieser Tage habe ich mich eigentlich aufs Dichten verlegt, was mir sonst noch nie gekommen ist. Die Ergebnisse schicke ich Dir gelegentlich zu. Sie sind das Spiegelbild der Stimmungen, in denen ich mich in den letzten Tagen befunden habe. Sie waren meist nicht sehr freundlich. Ich muß doch sagen, der Tod meines Burschen und anderer Kameraden hat mir hart zugesetzt. Jetzt allmählich fange ich an, es zu verwinden. Weißt Du, es geht mir so ganz anders als etwa den jungen Kriegsfreiwilligen des Weltkriegs. Dieser Kampf mit Rußland kommt einem gar zu sinnlos vor. Auch gibt er uns kein konkretes Kriegsziel wie beispielsweise der polnische und französische Feldzug. Ums Elsaß und einen freien Rhein, für ein deutsches Danzig und Westpreußen läßt sich leichter kämpfen als für ein von jüdischem Einfluß freies Rußland. Zudem legt sich die Weite Rußlands wie eine große Sorge auf so manchen. Wir stehen jetzt 500 km weit im Feindesland. Ist es der Anfang oder das Ende? Doch, wenn Du vielleicht in acht Tagen diese Zeilen hast, ist schon wieder vieles klarer geworden. Ich weiß nur nicht recht, ob ich immer noch nach Geslau schreiben soll. Vielleicht schicke ich diesen Brief mal nach Georgsmarienhütte.
Soeben sind unsere Pfarrer zum Hauptverbandsplatz gefahren. Sie haben in diesem Feldzug doch recht viel zu tun. Es gibt immer allerlei Beerdigungen und dann sind die zahlreichen Verwundeten zu betreuen.
Nun will ich schließen. Gescheites weiß ich doch nicht. Mir selbst geht es unverdient gut. Ich habe fast immer ein Dach über dem Kopf, und an gutem Essen fehlt es nicht. Wie mag es Dir gehen, mein Lieb? In Zukunft soll es ja mit der Feldpost besser werden. Ob Du tatsächlich länger als 14 Tage keine Post von mir bekommen hast? Das würde mir sehr leid tun. Nun leb wohl, meine Ursula! Hoffentlich hast Du heute einen schönen Sonntag. Hast Du heute wohl in der Geslauer Kirche gesessen? Ich habe dorthin gedacht. Recht, recht herzliche Grüße, meine geliebte, kleine Frau!

Dein Heinz


Warum ? Wozu ?

Das Land ist voll vor Kriegsgeschrei
Es toben die lärmenden Waffen !
Warum, wozu
Hast Du, Herr, dies alles geschaffen?

Das kann doch nicht Dein Wille sein,
Du bist ja der Vater der Liebe !
Warum, wozu
Beherrschen die Welt finstere Triebe ?

Der Satan führt sein Szepter hart,
Er feiert die grössten Triumphe !
Warum, wozu
Erstickt fast die Menschheit im Sumpfe ?

Du, Vater, kennst der Menschen Not,
Du verkündigst Dein göttlich Erbarmen.
Warum, wozu
Sind wir noch in Satans Armen ?


Slava Ukraina!

In diesem Reich herrscht die Gewalt!
der Bauer hat nichts mehr zu sagen,
er darf stets nur fronen, nie klagen,
doch mancher still die Fäuste ballt.

Sein eigen Land ist nicht mehr sein.
Er muß zwar drauf ackern und streuen,
doch kann er sich nicht mehr dran freuen –
der Sowjet heimst die Ernte ein.

Man gebe dem Volk Freiheit und Brot
Und auch jedem Manne das Seine!
Es lebe die freie Ukraine!
Erst dann ist’s mit aller Not.

(Juli 1941)

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top