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Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 22.11.1940 (3.2002.0985)

 

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den 22.11.1940



Meine geliebte Ursula!

Nun habe ich, zum Glück nur für einige Stunden vertretungsweise, mal wieder Telefondienst. Da ich heute früh zwei Briefe von Dir (aus Ansbach und Geslau) und einen von Vater bekam, sollst Du doch gleich mal einige Zeilen haben. Es entwickelt sich jetzt ja alles in solch einer Geschwindigkeit, daß ich wirklich Mühe habe, Deinen Entschlüssen sowie den Ereignissen zu folgen. Gleichzeitig mit Deiner Nachricht, daß Du wegen Tante Timm nach Hamburg fahren willst, kam von Vater ein etwas sorgenvoller Brief wegen Mutters Befinden. Offenbar will Vater Dich bitten, für einige Zeit zur Hütte zu kommen. Wegen der Appetitlosigkeit sprach ich mal mit dem Unterarzt Dr. Schulze. Er meinte, es wäre möglich, daß sich ein Schlaganfall auf die Magennerven oder dergleichen auswirken könne. Es gäbe aber auch Magenleiden, die jahrelang keine Schmerzen verursachten, bis sie plötzlich ans Tageslicht träten. Jedenfalls halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß Mutters Zustand ernst ist. So leicht schreibt Vater ja auch nicht derartig. Wenn Du also kannst, wäre es gut, wenn Du für einige Wochen mal zur Hütte fährst. Für Vater ist es ja nicht leicht, auch wenn Mutter ihm das Leben sehr schwer gemacht hat; denn er hängt doch trotz allem sehr an seiner Frau.
Wie ich jetzt erfahren habe, können die ersten Urlauber Anfang Dezember fahren. Schröder will dann sofort Urlaub nehmen. Ich hoffe, daß ich dann nach ihm, also wohl Anfang Januar, fahren kann. Natürlich mit allem Vorbehalt!
Von mir kann ich nur sagen, daß ich mich allmählich in die hiesigen Verhältnisse eingelebt habe. Da das Wetter nach wie vor sehr warm ist, macht es ja auch Spaß. Ich habe mir vorhin meine Wolljacke ausgezogen. Den Mantel habe ich schon lange außer Betrieb gesetzt! Vorgestern machten wir einen sehr schönen kleinen Mot.-Marsch, und zwar zugweise. Es ging zunächst über den Fluß R. auf der Straße in Richtung B. Unterwegs übten wir öfters Halten, Absitzen und Ähnliches. Dann bogen wir von der "Staatsstraße", die jedoch nicht mehr als ein breiter, staubiger Schotterdamm ist, ab auf einen Feldweg, der aber auch seinen Namen nicht zu Unrecht trug. Er führte durch die meist noch unbestellten, brachliegenden Maisfelder. Plötzlich fiel das Gelände ab, und wir kamen in eine Mulde, in der sich eine Viehtränke befand. Dort hielten wir und machten eine Pause, die mehrere von uns dazu benutzten, um einige Aufnahmen zu machen. Es war ein sehr hübsches Bild, als ein älterer Bauer, mit seiner Fellmütze bekleidet, ankam, um seine beiden Ochsen zu tränken. Das Rindvieh ist hier vielfach sehr struppig und hat ein graubraunes, dickhaariges Fell, wie man es bei uns nicht sehen kann. Nach der Pause ging es weiter querbeet, zum Teil durch sumpfiges Gelände, meist aber über den holprigen, ungepflasterten Feldweg. Schließlich berührten wir 2 Dörfer, deren Häuser sehr "echt" waren, kleine, wohl meist ein- höchstens zweiräumige Hütten, gelegentlich mit Stroh bedeckt. Solche Fahrt in die Dörfer ist höchst amüsant. Man kommt sich vor wie ein Forschungsreisender, der überall bestaunt und vielfach freudig begrüßt wird. Gegen Mittag kehrten wir zurück.
Da für heute eine Geländefahrt angesetzt war, drängte ich nun darauf, endlich wieder Fahrschule machen zu können. Schröder betrachtet es immer als eine Gnade, wenn er das gestattet. Dabei holte ich mir gestern beim Kommandeur eine Rüge, daß ich noch nicht den Führerschein I habe, indem er mir ultimativ eine 14-tägige Frist setzte. So habe ich denn gestern nachmittag eifrig geschult, indem ich die am Vortage mit dem Zuge gefahrene Strecke nochmals, aber umgekehrt, fuhr. Es war diesmal ein rumänischer Feiertag. Jedenfalls saßen in den Dörfern die Frauen beisammen und anderswo die Männer, während die Jugend sich umhertrieb. – Sehr primitiv sind die zahlreichen "Marterln", die man am Wege sieht; kleine holzgeschnitzte Kreuze, bemalt mit bunten Buchstaben und Christusbildern, oftmals überdeckt mit einem kleinen Dach wie eine Holzbude. Von dem sonstigen religiösen Rumänien habe ich bislang bisher noch nicht viel wahrnehmen können. Gegen Abend kamen wir in einige Zigeunerdörfer, die aber in ihrem Äußeren wenig von den anderen abstechen. Ob es wohl ein Zufall war, daß uns dort ein Alter mit einer Violine begegnete, der uns im Vorbeifahren klarzumachen versuchte, daß wir ihm zuhören sollten? Ein Stückchen Orientromantik! Ich sehe jetzt in das herrliche warme Wetter draußen. Ob es nicht erst September ist?
Grüß zu Hause!
Recht innigen Gruß

 

 



Ansicht des Briefes

 

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