Nach Zeitraum suchen

von 
bis 
SUCHE ZEITRAUM
Bestandskatalog PDF

Brief (Transkript)

Heinz Rahe an seine Ehefrau am 21.06.1940 (3.2002.0985)

 

den 21. Juni 1940



Meine geliebte Ursula!

Heute soll schon wieder Freitag sein. Es wird Zeit, daß ich mal wieder schreibe. Man lebt so sehr in den Tag hinein, daß man weder den Wochentag weiß, an dem man sich befindet, noch sich entsinnen kann, wann man zuletzt einen Brief in die Heimat schrieb. Ich nehme an, daß ich zuletzt aus Vevrey schrieb, das in der Gegend von Dijon liegt. Dort blieben wir 2 Nächte und fast 2 Tage, bis zum 19.6. nachmittags. Die Tage dort waren sehr schön. Es war sehr heißes Wetter. Wir hatten unsere Fahrzeuge auf einer Obstwiese und aalten uns selbst unter Bäumen. Am ersten Tage unternahm ich morgens im Auftrage unseres Chefs eine Fahrt mit dem Krad, um für ihn ein Fernglas zu besorgen. Die Gefangenen strömten ja in riesigen Scharen. Jedesmal, wenn ein Trupp uns entgegen kam, hielten wir, und ich fragte: "Avez vous des Jumelles?“ (Fernglas) und "Avez vous des pistoles?" Etwas Zureden half und bald hatten wir etwas von dem Gesuchten. Schließlich bogen wir mal von der Hauptstraße ab und fuhren in ein Gebirgsdorf. Dort fanden wir einen französischen Offizierstroßwagen, der noch wenig durchstöbert war. Wir machten dort einen reichen Fund. Für mich selbst fand ich Hemden, von denen ich eins bereits angezogen habe. Auch einige kleine Frottierhandtücher kamen mir sehr zustatten, sowie Seife, die ganz fabelhaft schäumt, und Ähnliches, was ich dringend benötigte. Dort im Dorf trafen wir auch viele Luxemburger, die hierher geflohen waren. Wir unterhielten uns mit ihnen, sie haben jetzt kein Geld mehr und bekommen sehr wenig mehr zu essen, zumal das Brot hier für die Zivilisten sehr knapp ist. Hier oben unterhielten wir uns auch mit französischen Soldaten. Sie kamen zum Teil schon von weit her, aus der Gegend der Marne. Ihre Offiziere hatten sie verlassen und sie einfach nach Hause geschickt. Den Soldaten konnten wir nur eine gute Nachricht geben: "La guerre est finie!" Sie müssen furchtbar belogen worden sein. Einer untersuchte meine Stiefel und konnte es wohl nicht fassen, daß deutsche Soldaten Lederstiefel haben und keine solchen aus Pappe oder anderem Ersatz. Was sich diese Menschen unter deutschen Verhältnissen vorgestellt haben, ist mir völlig rätselhaft. Einer meinte übrigens, daß wir Engländer wären. Sie selbst waren ja weder gefangen noch frei, sondern befanden sich in einem Zustand völliger Auflösung. Nur diese Tatsache ließ uns auch ungeschoren so einsam diesen vielen feindlichen Soldaten begegnen. Ich selbst hatte doch nur eine geladene und zur Vorsicht entsicherte Pistole bei mir. Aber die Franzosen waren ja alle heilsfroh, daß der Krieg vorbei sei.
Am Abend desselben Tages mußten wir einige Wälder durchkämmen und nach Soldaten absuchen, hatten jedoch keinen Erfolg. Solch ein französischer Wald läßt eine kleine Vorahnung aufkommen, wie wohl ein afrikanischer Busch aussehen muß. Die hiesigen Wälder erfahren offenbar keinerlei Pflege. Sie haben sehr viel Dornengestrüpp, zwischendurch Buchen, Eichen, viele Akazien und ähnliche Laubhölzer. Zumeist sind die Wälder so undurchdringlich, daß man sich nur durch Schneisen und auf sehr verwahrlosten, verwachsenen Wegen hindurcharbeiten kann. Am zweiten Ruhetag gab ich mich ganz der Ruhe hin, trank sogar bei Kameraden etwas Wein, weil der Leutnant es in unserem Zuge verboten hat. Das Dorf Vevrey war zumeist noch von Einwohnern bewohnt; ich fand aber keine Gelegenheit, das Dorf näher anzusehen. Am zweiten Nachmittag fuhren wir plötzlich weiter, nur etliche Kilometer in ein hochgelegenes Dorf, das sich durch völlige Armut und Primitivität auszeichnete. In einem Hause wurde noch am offenen Kamin gekocht, indem man den Topf an einem großen Eisenhaken über dem Kaminfeuer aufhängt. Der Kaffee, den wir uns kochen ließen, war auch ziemlich mäßig. In einem anderen Hause kochte ich eigenen Kaffee, der ausgezeichnet wurde. Um 10 Uhr versammelten wir 5 Unteroffiziere uns beim Leutnant, der mit mir und einem anderen Unteroffizier eine Art Wohnwagen bewohnte, um mit ihm etwas Wein zu trinken. Er hält uns ja überhaupt sehr knapp damit und beaufsichtigt uns schlimmer als ein Kindermädchen. Es ist oftmals sehr schwierig für mich, mit diesem launischen Herrn fertig zu werden.
Am anderen Morgen, also am 20.6., fuhren wir weiter in südliche Richtung. Zunächst waren die Dörfer sehr arm und farblos, dann wurde die Gegend offener. Wir bekamen weite Ausblicke auf schöne Höhen, die sich sehr weit am Horizont hinzogen. Die Hänge waren mit Wein bestanden; die Dörfer waren sauberer und hatten schöne Blumengärten. Es war ein ganz einzigartig schönes Bild, hier und da mal ein Gut mit schönem Park oder gar einmal ein Schloß in felsiger Landschaft zu sehen. Leider berühren wir nie mal eine größere Stadt. Am Nachmittag kamen wir in dies Dorf, das nicht so sehr reich ist. Bald setzte fast ein Sturm ein auf die wenigen Geschäfte. Der Franc kostet nur noch 2 ? Pfennig. Es ist also Inflation im Lande und alles ist für ein Schleudergeld zu haben. Da ich wenig Geld hatte, kaufte ich nur eine Tafel Schoko, die vielleicht 12 Pfennig kostete, für Dich ein Paar Strümpfe für 50 Pfennig und einige Dosen Fisch, die ich am Abend zum Sekt aß. Wir tranken 3 Flaschen Sekt, natürlich verbotenerweise. Ich habe eine Flasche sehr teuer bezahlt, nämlich mit 1 RM. Schade, daß wir keinen Platz auf dem Fahrzeug haben. Man könnte jetzt so vieles kaufen. Leider kann man so wenig verstauen.
Jetzt habe ich schon 3 Wochen nichts von Dir gehört. Hoffentlich kommt bald mal Post. Aber Du wirst vielleicht ähnlich warten müssen.
Recht herzliche Grüße, meine kleine Frau!
Dein Heinz

 

 



Ansicht des Briefes

 

Briefe aus diesem Konvolut:
top