Brief (Transkript)
Micky Berg an ihren Ehemann am 10.03.1945 (3.2002.0846)
Berlin, den 10. März 1945
Mein lieber Max!
Es klingt wie im Märchen, aber es ist wahr, denn dies soll Dein Geburtstagsbrief werden, da die Schneckenpost jetzt das Wort hat. Zunächst wünsche ich Dir alles nur erdenklich Gute. Vor allem Gesundheit, daß wir unser Heim behalten dürfen und ein baldiges gesundes Wiedersehen in Berlin. 6 Jahre sind wir nun auch bald verheiratet und was konnte uns die Zeit bieten? Ständige Ängste, Nöte, Tränen und Trauriges. Hoffen wir, daß bald die Zeit kommt, die uns auch einmal Freuden bringen wird. Ja, Mäxchen, furchtbare Zeiten. Pläne schmieden ist sinnlos, schnelles und entschlossenes Handeln im Falle der Gefahr ist alles. Ich bin ja resolut und energisch, und im gegebenen Zeitpunkt werde ich auch richtig handeln. Davon bin ich und sicherlich auch Du überzeugt. Sollte die Russengefahr noch unmittelbarer werden, so werde ich handeln und wenn es noch so schwer wird. Wer weiß wo ich schon an Deinem Geburtstag stecke. In Göttingen, Schwarz, München? Wer kann das wissen. Oft bin ich sehr verzweifelt, erstens sowieso und zweitens in so untätiger, sinnloser und abwartender Position!
Meine Gedanken gehen oft zu Dir, aber niemand, selbst nicht einmal der eigene Mann, kann einem helfen. Alles muß man selbst heute entscheiden.
Seit gestern abend hören wir die Frankfurter Ari, dazu kommen die täglichen Bomben und die ständigen Übungen der Kaulsdorfer Soldaten. Das ist nicht beruhigend, aber Gewohnheit.
Morgen, oder auch erst Dienstag gehe ich wieder ins Geschäft. Es geht mir besser, aber noch nicht ganz gut. Frau Schubert und die Kinder fahren morgen wieder fort und zwar nach Lohne bei Oldenburg aufs Land. Mit ihrer Schneiderin Frau Diesing, die dort bekannt ist. Nun hat Mutti Herrn Schubert zu betreuen und dies bei den neuen Lebensmittelkürzungen! Heute gehe ich mit Familie Herms in ein Konzert im Staatl. Schauspielhaus. Seit Urzeiten wieder einmal ein bissel Ablenkung. Hermsens sind hier recht und schlecht gelandet. Fritz ist noch bis zum 31.3. krank geschrieben und Marielene hört auf zu arbeiten. Ach, armes, trostloses Gsellins. Mir graut davor.
Trautchen aus Klosterfelde bekam am 2.3. 1945 ein Mädchen Walburga, gen. Burga. Kinder kriegen, schön; aber Walburga ist häßlich. Na, Geschmacksache. Ihr Mann steht im Osten. Bei Gustav und Gerda war soweit alles in Ordnung. Bei meinem unangemeldeten Besuch traf ich niemand an. Nur bei Familie Herms hatte ich Glück.
Bärbel und Franziska haben geschrieben. Sie erwarten mich dringendst, aber aus der Ferne sieht alles ganz anders aus und wir müssen halt noch abwarten.
Ach Seufzer über Seufzer.
Aber unser Geist, unser Traum, unser Lebenssinn, unsere Sehnsucht, unsere innere Stimme muß doch wahr sein. Und muß doch siegen.
Befreiung muß noch kommen. So sicher wie der Frühling, Leb wohl, und innige Geburtstagsgrüße und Küsse sendet Dir Deine
Micky
Lieder kann ich Dir nichts schicken da immer noch Postsperre ist. Jetzt endlich habe ich Marken und - - - „Bescheiden“