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Brief (Transkript)

Hans an Eugen im Mai 1940 (3.2002.0211)

 

Lieber Eugen!

Inzwischen, denke und hoffe ich, hast Du auch meine anderen Scripta und sonderlich das letzte vom Beginn der Fahrt ins regnum Caroli-Magni erhalten. Pfingsten ist vorbei. Ich sitze im Gebrumm der Maikäfer und Buchenblätter fliegen mir um den Kopf. Es kam Post, 12 Briefe aus allen Himmelsrichtungen und aus angeeigneter Ermächtigung hänge ich an beide Pfingsttage noch einen dritten. Dein sehr erwarteter war auch dabei.-
Inzwischen roch ich schon in etliche Trichterlöcher hinein, sehe die entblößte Macht und die erstaunlichen Mittel des Krieges am Werke, fahre an leeren Städten und Gehöften vorbei und sehe ängstliche Flüchtlinge. Blökendes herrenloses Vieh, hier und da zerstörte Häuser, zusammengeschossene Flugzeuge, Autos und Tanks und allerorten milites rapientes. Gezelles Land trägt ein ernstes Gesicht in diesen Stunden. Vorgestern abend stand da irgendwo vor einer Stadt ein Offizier, gefangen, der die Kleider seiner gefangenen Leute bewachte. Er sah uns überlegen und kalt an, ganz beherrscht mit einer furchtbaren, bis ins Extrem getriebenen Gelassenheit. So etwas hatte ich noch nie gesehen und dieses stolze Gesicht blieb mir ganz lebhaft bis zur Stunde. Hier machen die Zeitumstände den Menschen größer und treiben zur Reife. Gefühle, so bunt und wunderlich wie nie zuvor überkommen einen, auch der gefährliche Gedanke frei zu sein, d.h. für nichts verantwortlich, den man unterkriegen muß, auch wohl sehr menschliche Furchtgefühle vor dem, was ja schon in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschehen sein kann und der direkte Gegensatz dazu: ein nie so frohgemalter Mut, hell und zuversichtlich. (O, ich werde alle Minuten beim Schreiben gestört). Morgen, bei Sedan, kommt, wie manche berichten, das Grauen. Es soll ein gewaltiges Bild der Zerstörung sein, das ‘Angesicht der Erde’ sei da gewandelt.
Von unten herauf dringt in meinen Strohschober das Grunzen der Schweine, die kein Futter finden, dazu die Musik der Kühe, die von einem Feld ins andere laufen, eine schauerliche erregende Musik, sage ich, die einen in allem stört. Ich kann sie schlecht vertragen, Mein Gesicht ist von der Sonne und dem Staub ganz braun geworden, vielleicht eine nützliche Tarnung, wenn wir’s mit den Kaffern zu tun kriegen....
Menschen sieht man wenig, allmählich kommen sie aus ihren Verstecken heim. Das Kommende will ich nicht ‘hineinsehen’, aber es gibt hier Frauen, so herb und schön wie die van Eycks, auch gezeichnete Schlemmer, verfettete Gestalten, so daß es einem kräftig dargetan wird, daß man sich im Vorfeld des dickwanstigen, fraß-und sauffrohen Pallieter befindet. Fülle an Fleisch und Butter, Käse, Eingemachtem, schneeweißem Brot und tiefrotem herrlichen Wein, der wie Öl fließt. Angesichts der allgemeinen Bauchpflege lobe ich unentwegt ein gelinderes Maß ohne direkt zu hungern. Dann bleibt man wach. Wären wir noch auf Übung, ich würde kaum zaudern mal rege mitzutun, um mal durchzukosten, wie einem da zu Mute ist und wie man’s im Formloswerden treiben kann. Mitten in meinen frommen Gedanken humpelt ein Mann daher mit verbittert zugekniffenen Augen. Er kehrt in sein Haus zurück, auf dem Rücken das in der Eile Zusammengeraffte. Was wird der wohl von uns denken! Es ist nur zu deutlich.
Ich muß schon aufhören. Zu diesem Fetzen brauchte ich zwei Tage. Du siehst, wieviel Zeit mir bleibt und nimmst wohl vorlieb damit, zumal ich noch den consolator afflictorum für Bertlich abgeben muß! Ich grüße Dich fest und herzlich.
Fines Belgarum Mai (Pfingstwoche) 1940
Immer

Dein Hans

Gestern 9 feindliche Flieger über uns. Sie schossen 3 von uns ab. Wir sollen keinen einzigen getroffen haben. Vor einigen Tagen keine 100 m über uns eine Morane! Sonst aber nur deutsche Flieger. Gestern landete […] ein St., dem man einen Arm abgeschossen hatte. Mit […] brachte es die Maschine glücklich zu Boden. Die Schüsse kamen vom feindl. Flugzeug mit unserem Hoheitszeichen! Gelb + […] abgeworfen worden. Hoffentlich bleiben die Kathedralen ganz! Wenn ich sie sähe! Pierre muß in der Nähe sein. […] mir ein […] herüber. Adolf ist auch weg, […] auch. Ich bin ganz allein + vielleicht ist das sehr gut so. Onkel Eduard schickte mir den „Wanderer“. Man liest ihn ganz anders als damals in der Schule. Feldpostkarten kosten ja nichts. Schreibe bitte, […] Das es nur gut geht. Heil! Dein Hans

 

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