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Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 13.9.1942 (3.2002.0210)

 

Am 13. Sept. 1942



Lieber Hans!

Heute ist wieder Sonntag. Glaubte ich letzten Sonntag - es sei wirklich der letzte Sonntag: in Reichshof - Irrtum! Aber heute! Ich habe nun mein Schicksal in die Hand genommen und werde morgen oder übermorgen zum Ersatzheer entlassen - mit Behandlung. War das richtig - war das falsch? Ich weiß nicht. Hier werde ich blöde - eine Weiterverlegung in andere Lazarette: ich fühle mich nicht krank genug dazu. Und da die Geschichte nun doch bald verheilt ist (Gras ist freilich noch keins darüber gewachsen!) so scheint mir diese Lösung am besten. Ich fahre nach Heilbronn; hege sogar den frevlen Plan, über Gelsenkirchen zu fahren, um - na, Du weißt! Es ist zwar mehr als ein spitzer Winkel. Egal. Wer mir die Strecke nachrechnen will, muß sich schon von mir belehren lassen. Und wenn man sich vor Kugeln nicht fürchten soll - etwa vor Bahnhofsoffizieren? Mensch, aber das alles ist mir noch so unvorstellbar, daß ich mir gar nicht denken kann, es ginge alles wie vorgestellt. Sonst hätte ich mich ja gern einen Tag in Krakau aufgehalten - aber das ‘andere’ geht mir doch vor und näher.
Heilbronn! Auch darauf freue ich mich, weiß nicht, warum? Und natürlich auf den Urlaub, der mir vor Rückreise in die sowjetischen Gefilde doch wohl beschieden wird. Und unsere gemeinsamen Hoffnungen... Du weißt!
Ich las hier und las im Don Quichote - natürlich habe ich aus dem weit über tausendseitigen Band nur einige und zwanzig Kapitel lesen können. Ein paar Worte will ich aber doch über Gösta Berling, von Selma Lagerlöf, verlieren. Du kennst ja dem Bilde nach diese liebe Großmama aus dem Norden, kennst dem Namen nach auch den Titel des Buches. Es nennt sich ein ‘Roman’. Es ist aber kein Roman. Es ist ein Epos. Man spürt, daß es von einer Frau geschrieben - nicht weil es gefühlvoll und verziert wäre. Es ist ein starkes, naturhaft rundes Buch; Bild reiht sich an Bild, ein einzelnes Kapitel holt manchmal aus wie eine Geschichte für sich - und ist dann doch auf eine überraschende Art dem Ganzen verbunden. Und dann ist es ein gutes Buch. Ich fürchte mich zu schreiben: gutes Buch. Was versteht die Welt darunter: literarisch wertvoll, künstlerisch bedeutsam, bildend... Nein, es ist eine innere Güte darin - vielleicht auch ein Lied mit vielen Strophen über die Wege, Irrwege und Umwege, auch die Abwege - der Liebe. Wie frivol dagegen, wenn ich solche innerlich sich fremden Bücher überhaupt hintereinander nenne - wie frivol ist die Geschichte, die ich neuerdings von Binding las (habe ich immer noch nicht die Nase voll? )- St. Georgs Stellvertreter. Vom Inhalt noch ganz abzusehen: ist es einfach ein Kunstgewerbe, diese hoch dahergestelzte Schreiberei. Es ist wie ein Witz, wenn dann auf der letzten Seite angemerkt ist, daß die Zeichensetzung nicht der Rechtschreibung, sondern dem Fluß der Sprache nach des Dichters Anweisung (sic!) folgt. Das soll sicher ein Rückhalt gegen die Volksschullehrer sein, die sonst den roten Stift zücken, aber vor des Dichters Sprache werden sie verstummen.
Eine andere Geschichte, von Ernst Wiechert: Geschichte eines Knaben. Ich glaube, Du schriebst mir schon mal davon. Ich glaube, die Beschreibung innerlich zwiespältiger Knaben, die natürlich mit dem Tode dieser schwachen nicht lebensfähigen Pflanze endigt, wird allmählich ein Gemeinplatz für die Schreibwütigkeit der Literaten. Ich erinnere mich noch an den Kleinen... (wie heißt er nur?) in den Buddenbrooks. Wie soll ich all die anderen Figuren nennen! Aber vor einiger Zeit las ich eine Novelle von Bruno Brehm, die diesen Zwiespalt ins Politische verlegt, wo ‘die Grenze mitten durch das Herz’ geht - ein starkes, sehr sympathisches Buch; so sehr ich gestehen muß, skeptisch daran gegangen zu sein. Und vorerst schätze ich das Buch nicht um seiner dichterischen Form willen (wo einen stören kann, wenn die Erzählung seitenlang indirekt im Konjunktiv vor sich geht). Aber das Buch mußt Du mal zur Hand nehmen: ein Sohn zweier Völker, von einer deutschen Mutter im Italienischen der alten Monarchie geboren, dem Zauber der alten italischen Kultur gehorsam und erlegen - doch in Treue zu seinem Mutterland, das doch kein Vaterland ist: in der rauhen Luft konnte er nicht leben. Ich meine nicht das Klima, sondern die Härte, Verschlungenheit des Nordens, symbolisch wunderbar dargestellt im Verweilen bei einem skandinavischen Schmuckstück. Aber Du mußt das Buch lesen, -
Wiecherts Erzählung ist vielleicht dichterischer, gekonnter, die von Brehm ist menschlicher, überzeugender. Und ich wohne lieber in einem festen Hause als in einem leichten ‘melancholischen’ Landhaus. Wir müssen uns vielleicht alle davor hüten, daß eine leidensvolle Zeit wie die unsere mit den Schmerzen schauspielert, mit seelischen Zwiespälten ??? tut, sentimental an ihre Leidenserfahrungen denkt. Das Starke ist nie sentimental, das Leiden nicht, die Liebe nicht. Ist die Liebe nicht stark wie der Tod? Und solchen Gesetzen darf sich keine Kunst entziehen, die das Schmerzliche zeichnen will. Ich denke hier an den Jungen, dem eine Granate den linken Arm weggerissen hat, das halbe Ohr, - die Kopfhaut breiig und blutig verklebt. Er ist jung und guter Dinge. - Eine Tante wird ihn wortreich bedauern, ein ‘Patriot’ spricht, was für ein Opfer für’s Vaterland er gebracht hat. Die Kameraden: ‘Mensch, da hast Du schwer Schwein gehabt! Ist es der linke Arm? Gott sei Dank. Kannste mit dem rechten noch schreiben’. Und sie sorgen für ihn wie nur jemand. Was hört der Kerl am liebsten? Vielleicht hat jeder gleichstark das Gefühl des Bedauerns; aber wie äußert es sich denn - sollten wir an solchen Vorkommnissen um uns herum nicht Gesetze erkennen, unvergeßliche: wie nur das Starke echt ist, weil es die äußere Seite des Schwachen, Hilfebedürftigen ist - dieses schützt wie eine Form um das Erschütterte. Beides ist eklig, das Sentimental-Bedauernde wie das Protzig-Stolze. Wie kann man auch in Lazaretten seine Erfahrungen machen.
So bin ich vom Literaturgewäsch doch dahin gekommen, wo ich bin - wo ich noch bin. Wie lange noch? Meine Hoffnungen stehen ja zu Anfang des Briefes - wie muß man immer wieder lernen: Vorsicht. Nichts ist gewiß. Der Vorausbesitz des Sicheren, Unabwendbaren ruft das Schicksal heraus, es zeigt seine Macht und nimmt, was wir noch gar nicht haben. Hatten die Alten nicht viele Worte dafür: Angst - Verblendung - Frevel.
Aber die Hoffunug soll ja eine christliche Tugend sein! Daß wir uns wiedersehen! Ich warte auf Post und Nachrichten von Dir. Sei herzlich gegrüßt

Dein Eugen

 

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