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Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 18.1.1942 (3.2002.0210)

 

Am 18. Jan. 1942



Lieber Hans!

Für meine dienstlichen Verhältnisse ist meine augenblickliche Lage symptomatisch: Ich gehöre zur 11. Kp. , bin bestimmt für die 10. Kp. , mache augenblicklich Dienst bei der 9. Kp. , wohne beim Stab - wenn ich noch hinzufüge, daß meine Freunde bei der 12. Kp. hocken, die ich dort besuche - dann, ja dann ist der Laden voll. Es scheint aber der Gipfelpunkt meiner Heimatlosigkeit zu sein. Es zeichnet sich langsam ab, daß ich diesen Verein bald wohl ganz verlassen werde; und wenn Du dies Skriptum in Händen hältst, tummele ich mich vielleicht schon wieder in ganz anderen Bahnen. Wo? Auf dem Wege zu Dir hin? Auch das dürfte nicht unbedingt ausgeschlossen sein. Es liegt noch im Schoße des Schicksals - aber dort liegt es. Und deshalb bin ich guter Dinge, sorge mich um weniges und lasse alles heranrollen. Ja, sogar meine Fruchtbarkeit soll nicht nachlassen, solange ich hier bin - und das trotz aller Dinge, die man mir - s. o! - wieder anhängt. Führe in Vertretung eines erkrankten Kp. Fhr. dort für einige Tage die Kompanie. Aber glaube, alles läßt mich so furchtbar gleichgültig - wie soll man sich dagegen retten? Es kommt doch schließlich, wenn wir einmal in uns hineinschauen und vielleicht über uns selber nachdenklich werden, nicht allein darauf an zu tun, was die Dinge fordern; wie weit ist es mit uns, wenn wir das alles mechanisch tun, ohne eine innerliche Begeisterung, die uns auch bei einem Tun beherrscht, das von uns ungern getan wird. Hat doch selbst der Widerwille noch eine Kraft in sich, die der fließenden Gewalt des Gleichgültigen fehlt. Aber so ist es. Man ist auch sich selber herausgefallen. Erst wenn ich in meiner ‘Zelle’ bin, bei meinen Bildern, meinen Büchern, meiner Arbeit, bin ich ‘ich selber’, finde mich, lebe erst. So ist es: erst wenn das Soldatsein seine Form verliert im Feuer des Krieges, gewinnt es seine richtige Gestalt, und die Gestalt des Soldaten hebt sich ab von dem dunklen Hintergrund furchtbaren Schicksals. Dort ist Not und Angst der bedrängten und bedrängenden Kreatur, dort wird täglich und stündlich Furchtbares getan und gelitten. Dort ist Sinn in der Sinnlosigkeit, ein Ausweg im Ausweglosen, ein Pfad in der Wildnis. In solchen Verhältnissen glaube ich Euch, in steter Gefahr - wo aber auch, (und da ist Hoffnungsschimmer wie ein Stern in dunkler Nacht) das Rettende wächst. Wo viel Schatten ist, da ist irgendwo Licht - und wenn ich selber in ausweglose Finsternis gefallen bin, da muß das Licht in mir selbst beginnen. Das Licht leuchtet ja in der Finsternis. Soll ich das nicht begreifen? - Aber wo nicht Licht ist und nicht Finsternis, da ist trübe, da ist schwankende Beleuchtung. Wie gut, wer da nicht müßig geht, wo er fallen könnte und abirren! Bleibe in Deiner Zelle und gehe in Dich.
Diese Zeilen sind ein Selbstgespräch, bei dem ich selbst mein Alterego bin, mein zweites Ich. Nimm dieses ungereimte Zeug, den Reim darauf finde ich selber nicht, und das Leben macht ihn auch nicht. Das Leben geht in freien Rhythmen - ‘jahrelang ins Ungewisse herab.’ So wird denn auch bald mein Los ins Ungewisse hineintappen. Die paar Bücher, Papier, Kreide, Stift, Feder und Tusche - irgendwo auch einige Magazine mit Munition - wohlan! Auf geht’s!
So weit war mein Brief gestern gediehen - und wo ich am Tage die gestrigen Abendgedanken überfliege, muß ich feststellen, daß Dich vielleicht alles gar nicht angeht und unberührt läßt. Na, beinah hätte ich gesagt, quod scripsi, scripsi - aber das ist ein lapsus linguae.
Viele Grüße und beste Wünsche in immer herzlichem Gedenken
Dein Eugen

 

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