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Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 5.7.1940 (3.2002.0210)

 

Am 5. Juli 1940



Lieber Hans!

Da kommen nach den Tagen der Dürre die Briefe von Dir zuhauf. O wie ich mich freue! Und dann in einer epischen Breite, die einfach bewundernswürdig ist. Da kann ich gar nicht mal konkurrieren. Ich sitze halt wieder auf Wache - habe aber das Vergnügen, den Samstag-Sonntag frei zu haben. Die Monnaie in dem Briefe ist angekommen. Habe jetzt halt wieder zum Ausgeben.... aber nicht mehr so die Zeit dazu! Nun, die Gelegenheit wird sich schon bieten. Ich habe immer Schwierigkeiten mit dem Geld, das hier vollkommen unbekannt ist, möglich auch, daß es nur dort als Zahlungsmittel Gültigkeit hat. Solange ich es jedoch los werde, ist es gut. Aber ich komme mir immer so halb wie ein komischer Geldwechsler vor. Übrigens habe ich von meinem 1. Uffz. Gehalt, (seit April nachgezahlt!) das ich hier bekommen habe, selber unheimlich viel gekauft. Das ist das einzig Positive, daß wir nun wenigstens etwas Geld in die Finger kriegen! - (Ich habe Kasernenwache, da geht’s wie im Taubenschlag, ein und aus, Telefonieren, Besuche... kurzum: Störungen!) Habe mir ein ganzes Paket Bücher hierher mit zur Wache geschleppt. Was ich da alles zusammengekauft habe, will ich nun doch auch in Muße durchschauen. Deine Wünsche will ich bei künftigen Antiquariatsbesuchen natürlich berücksichtigen. Aber es ist nicht mehr so leicht, was Passendes zu finden. Ich war wieder mal einen Abend bei Dobrowsky. Das ist immer höchst anregend. Ein Mann von fuffzig - der die Gedanken nicht in der horizontalen Betrachtungsweise der Erfahrung und landläufigen Bildung, hundertmal literarisch verdünnt, äußert. Nein: einer der sich alles mühsam zusammengedacht hat, explosive Äußerungen nach unsichtbaren Grübeleien, ohne die gelassene Heiterkeit. Dafür ist seine Natur zu gewaltsam in ihren Äußerungen, auch zu unausgeglichen. Es ist müßig zu sagen oder zu fragen, ob die Bewegung, die zur Ruhe gereift ist, nicht anmutiger und größer sei. Ja und nein. Jedenfalls wie die Antwort des Betrachters auch lautet, sie ist relativ, abhängig von seinem eigenen Charakter, ein absolutes Urteil ist da kaum möglich. Und einem Werk Dauer ins Zukünftige schon zu verheißen, ist überhaupt eine Manie unserer Zeit geworden, der die Gegenwart nicht mehr genügt, weil sie mit ihren hastigen Sinnen schon vorüber sind und doch gern etwas Bleibendes in der Erscheinungen Flucht ersehnen. Am Tage das Seine tun so gut als man kann - die Zukunft läßt sich doch nicht zwingen. Wir sollten mehr an unsere Arbeit, nicht an den Erfolg unserer Arbeit denken! - Maaßen dem ich von Dobrowsky geschrieben hatte, bat mich einmal zuzusehen, ob D. nicht Bilder, Reproduktionen für eine Veröffentlichung der „Saat“ habe. Es wird gelingen. D. war gern damit einverstanden. Zumal er es heute schwer genug hat. Davon will ich jetzt nicht reden, -
Ob ich Zeichenkram hier kaufe, weiß ich noch nicht. So weit mag ich kaum denken, ich habe mein Skizzenbuch und bin jedesmal nur unglücklich über diese Blättchen, die mir zu klein sind, weil man sich da nicht auslassen kann. Hätte ich nur ein Zimmer, ich hätte auch meinen großen Block um zu arbeiten, wie sogar in Konitz. Ob sich unser Schicksal hier wohl ändert? Zuvor habe ich etwas in meinem Skizzenbuch rumgekritzelt, wiederum Studien zu den Kundschaftern, die mir aber irgendwie noch ganz anders vorschweben als in den hergebrachten Vorstellungen. Dann noch komisches Zeug, wie einen Jungen, der auf einem riesigen Hahn reitet, einen Totengräber, einen Fischer, bei dem ein Ungetüm angebissen hat und derlei Sachen. Eigentlich sind’s ganz andere Dinge, an die ich denke, nicht so ‘anekdotische’, die mir freilich als mehr und mehr bedeutend erscheinen.
Deine Erlebnisse, teils furchtbarer Art, habe ich mit großer Spannung gelesen. So was prägt sich unverlierbar ein. Es rührt an alle Tiefen, deren der Mensch fähig ist, Tiefen, in die das Schicksal hieneinstürzt von den hohen Graten des Glücks - und das Wort ‘Tiefe’ beherbergt dabei in sich das Furchtbare und Abgründliche. Hat nicht auch die Seelentiefe alle nur möglichen Dimensionen? Was sollen jedoch diese unerlebten Reflexionen vor dem Leben selber in jeglicher Gestalt! Qui potest capere, capiat! Schreibe alles auf, was Du erlebst, das Furchtbare und Liebliche! Bedaure Deine Stellung nicht, die Dir zwischen ‘Ruhe und Bewegung’ das Schöne und das Grauen aufzeigt. So allein gewinnst Du den Eindruck des Ganzen, das dem, der alles in seinem Furchtbaren erlebt, nur von der einen Seite ganz ersteht, im Äußersten. Ich habe schon Berichte gehört, am Bahnhof, von Verwundeten, die ‘mitten in der Finsternis’ waren. Solange man den Umfang des Ganzen weiß, kann man es auch umfangen: Versöhnung ist mitten im Streit! Schreibe alles auf, für Dich und mich. Nachher wirst Du in den Briefen selber nachlesen können, und die Unmittelbarkeit wird es wieder frisch vor die Seele zaubern. Es bedurfte der Dämonie Goyas, aber auch der Sanftheit Rembrandts, diese Geschehnisse ins Bild zu bannen. Schreibe alles auf, -
Gestern, als wir draußen waren, begegneten sie uns. In den lehmbraunen Mänteln sahen die Gefangenen aus, als lebendig gewordenen Lehmbrocken, die sich fortwälzen. „Alors, Messieurs... „ rief eine Stimme. Die beiden Lawinen staunten zueinander herüber und hinüber, die feldgraue und die lehmbraune. Abends noch welche im Zug. „Parlez-vous francais“ wollte einer von uns seine reichen Sprachkenntnisse verwenden. Ich studierte nur die Gesichter. Sie antworteten lebhaft im Durcheinander, machten einen guten Eindruck auf mich - waren es Bauern? So lachten und schnarchten sie. In Westfalen sollen jetzt viele Bauern Polen und Franzosen zur Erntearbeit haben. Die Verständigung wird schon klappen. Zweifellos, die haben’s gut!
Wie’s gerade kommt, zu Trakl. Ich habe Dobrowsky das Inselbändchen mitgenommen, weil wir mal von Trakl sprachen. Einer hatte von der Verwandtschaft der Bilder D. s mit Trakl erzählt. Ich äußerte dies ohne Wissen zum anderenmale und versprach D. , ihm die Dinge mitzubringen. Ich konnte nun wieder beobachten, wie einer ganz ohne Vorkenntnisse und Vorurteile an die Verse herangeht. Deshalb will ich zu diesem Pamphlet von Reifferscheidt nichts sagen. Ich denke an den Satz: Jedes Urteil ist eine Anmaßung. Wenn ein braver Literat auf diese Tour ausgerechnet Hölderlin gegen Trakl ausspielen will, ist das noch unverständlicher. Das Gewaltigste bei Hölderlin sind schließlich doch seine großen Hymnen, nicht der Hyperion. Trotz der Vorrede nehme ich es als herrliches Kompendium großartigster Aphoristik. - Was ich eben von Dobrowsky erzähle, läßt sich ebenso bei Trakl in Betrachtung ziehen (wobei nicht der Grad des Unterschiedes wesentlich ist, sondern die Verwandtschaft ‘nach Geburt.’
Ich besitze eine schöne Ausgabe der Desastres de la guerre von Goya. Nach der ganzen Serie oft grauenhafter Szenen das letzte Blatt: das ist das Wahre: wie dieser zerzauste Alte, in der Rechten die Hacke, mit der Linken sein Weib umfaßt, wie geblendet von den bloßen Brüsten... rechts das Kind in der Wiege, ein Schaf, Garben auf dem Felde und ein mit Früchten voll beladener Baum! So also klingen les desastres aus, die Grauen des Krieges, die versinken vor der mütterlichen Fruchtbarkeit. So ersehnen wir nach allen Erschütterungen die Ruhe, die ‘erfüllt’; nach Sturm und Schauern die Klarheit des Mittags, -
Wir sprachen mal davon: wie wir heute noch den Teufel vorstellen können. Meinte der andere, wer an ihn glaubt, kann ihn auch malen. Aber wie? Als Ungeheuer, wie das Mittelalter, wo der Teufel eher ein Gebilde ist, das die Lachmuskeln anregt, furchtbar aufgeputzt, dennoch packt einen noch nicht der Schrecken. Es ist der festere offene Glaube: auch die teuflischen Mächte sind untertan und deshalb darf man über den Teufel lachen. Ja, man soll ihn auslachen, wenn er genasführt oder geprellt wird. Erst später, zum Ende des Mittelalters bekommen diese Darstellungen Gewalt, eigentlich umso mehr, als diese Monstren ‘natürlich’ erscheinen, Ausgeburten der Finsternis, wie bei Bosch, auch die Chimären an den Domen: die Urnatur, gequält bis zur Entstellung. Eigentlich kann unsere Zeit den Teufel nicht mehr bilden wie ehedem, die Graphik wohl in solch skurillen Formen. Aber zum Bilde verdichtet sich das nicht mehr, der Maler empfindet ein Problem. Der Teufel wird zum Menschen, welche Umkehr! Im Menschen, der gemacht nach Gottes Ebenbild, ist der Verworfene, der Verführer; nicht die Frau, sondern der Mann mit Willen und Geist. Man muß pessimistisch sein, um dies zu fassen. Verkettung von Tragik und Schuld. Will man nämlich das Äußerste, so ist es der schöne Mensch, wohlgestaltet. Das Mittelalter machte das Gute schön und das Schlechte häßlich. Wie ist bei uns doch alles anders geworden! ‘Eigentlich sollte Schönheit unschuldig und Unschuld schön sein. Aber in der Welt sind es getrennte Dinge.’ So heißt es wohl ungefähr bei Claudius und man glaubt das Kopfschütteln des Alten dabei zu sehen, wie er über Verkehrtheiten nachdenkt, die das Herz nicht ganz begreifen will. Neuerlich in unserer Kunst ist das Satanische groß geworden unter Formen, die uns fesseln durch ihre Schönheit. Auch die Hölle hat tausend Augen.
Jedenfalls, wenn wir uns wiedersehen, dann ist was gefällig! Ich weiß um Deine Sehnsucht, nach Hause zu kommen. So lange warst Du noch nicht von Hause fort - und nun gleich so! Momentan würde ich es ablehnen, nach Hause zu fahren. Unter diesen Umständen nicht! Aber Du hast es verdient. Wenn wir dann alle zusammen sind, wird mal gefeiert, daß die Lampen wackeln. Ich habe mir vorgenommen, auch ‘Nebel’ in dem Kampf zu verwenden. D. h, - ich nehme es mir nicht vor, sondern halte es für unabänderlich. Aber was sind wir doch töricht, so’n dummes Zeug zu beschwatzen. Gibt es doch wesentliche Dinge, die nicht im Schatten liegen. Und gibt’s für die Freude ein Programm?
Gertrud schreibt in ihren letzten Briefen bewußt ruhig. Denke es mir wenigstens, daß Wille darin liegt. Ich bin manchmal so stur und abwesend, der einfachste Brief will nicht aus der Feder. Wenn aber mal die Tinte fließt, erlahmt auch bald wieder die Lust. Von den ‘Eingeborenen’ hier haben wir uns eine herrliche Sprechweise angewöhnt. Ist etwas ausweglos, so kommt es ganz gleichmütig über die Lippen: Do kannst halt nix machen! - Welche Philosophie! -
Nach Geselle hab ich schon eifrig gefahndet, aber do kannst halt nix machen! Wird fortgesetzt. Es ist doch ein bestimmter Kreis, in dem der Buchbestand begrenzt ist. In Berlin ist sicher mehr. Wien ist doch eine Kleinstadt! Oder haben wir ein anderes Bild von der Großstadt? Wien ist zentrifugal, es weist alles über die Stadt hinaus, der Strom, die Berge, das Volk. Und zugleich ist es die Stadt, in der das Land sich seine Krone aufsetzt. Berlin? (Als Gegensatz - in solcher Gegenüberstellung werden Dinge immer verzerrt und überbetont!) Berlin, das ist I. G, - Interessengemeinschaft, organisierte Arbeit, ein Motor, der Kraft verbraucht und erzeugt. Du kannst den Vergleich ja auf Paris erweitern!
Mir fällt es nichts mehr ein. Gestern? Da waren wir auf dem Übungsplatz, an der Leitha, schon nahe der ungarischen Grenze. Die Landschaft groß und weit. Auf einer Anhöhe sahen wir 20-30 km in den Horizont. Die Sonne prasselte auf uns herunter, daß wir beinahe Feuer fingen. Urlandschaft. Man war nämlich versucht, bis in Urzeiten zurückzudenken. Es soll da in der Nähe ein See sein, wo man sich nach Asien versetzt fühlt: eine exotische Fauna und Flora! Kormorane, seltsame Reiher, Schilf, wunderliche Vögel. Überhaupt: Asien. Der erste, der es sagte, in Wien begänne der Orient, das Tor nach Asien - da schien es mir doch zu betont und mehr geträumt. Inzwischen mehrten sich so sehr die Stimmen, von verschiedensten Seiten, die alle wissen wollen, daß hier der Orient sein ‘Sesam öffne Dich’ spricht - daß es nicht mehr eine geistreiche Bemerkung ist, sondern wahrhaftig; so erst erklären sich viele Wunderlichkeiten. Asien...
Nun hoffe ich, durch diese Nachrichten in etwa meine Schuld abzutragen, die Du durch Deine zahlreichen und großzügigen Briefe mir auflädst. Ein Gedicht will ich noch für Dich suchen und aufschreiben, damit du nicht ‘allein’ bist.
Tausend herzliche Grüße
Dein Eugen

 

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