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Brief (Transkript)

Eugen an Hans am 2.3.1940 (3.2002.0210)

 

Am 2. März 1940



Lieber Hans!

Noch einige Nachträge zu meinem verworrenen Schrieb von letzter Nacht. Es soll alles gut ankommen. Eben schrieb mir Pallietra, großenteils etwas aus ihrem Seminar. Sehr interessant, wie sie selber sagt: Eine Unterscheidung von Restauration und Renaissance. Vielleicht kommt sie noch darauf zu sprechen, - Übrigens hab ich heute morgen Urlaub nach Elbing eingereicht. Für nächsten Sonntag, 9. und 10. Sobald ich Bescheid bekomme, gebe ich Dir Nachricht. Eine üble Geschichte ist dabei: Selbst wenn ich fahren darf, muß ich vollen Fahrpreis bezahlen, da es keine Militärfahrkarten mehr gibt. Nur für Urlauberzüge. Da sind wir mal wieder verraten. Auf Fritz Unger warte ich. Es ist schon spät. Er hat mir auch gar keine Karte zurückgeschrieben, und ich bin im Ungewissen. Eine Erzählung von Ljesskow ist in dem Bande ‘Russische Erzähler’ von Henri von Heiseler bei Karl Rauch herausgegeben, neben Turgenjew und Dostojewski, Ljesskow, ‘darüber hinaus .... die ländlich weite, wundersame Tiefe und wahre, von Humor und Frommheit beglänzte Welt des großen L. Man kennt den Russen doch zu wenig, vor allem interessiert mich Gogol. Weißt Du, daß es von ihm (Zeugen des Worts) eine Schrift gibt über den Geist der Liturgie?
Pech und Schwefel! Auf dem glatten Eis bin ich mit meiner Hand so unglücklich gefallen heute morgen, daß ein schwerer Bluterguß linker Hand die Folge ist und ich recht linkisch bin. Teufel auch. Mit einer Hand kann man doch schlecht leben, und erst, wenn man die Schmerzen hat, lernt man das Glück gesunder Glieder.
Das Bild vom Bischof macht mich begierig. Deine Anmerkungen sind freilich kühn. Der Kopf verdiente es schon. Im Portrait bin ich noch sehr zurück. Erstaunlich, wenn ich bedenke, wie viel und wie oft ich Köpfe zeichne, die schönste Kunst. Aber wie hastig in den letzten Jahren alles entstand, hatte ich nie die innere Ruhe mehr zum Porträt, so oft mich der Kopf meiner Mutter und Geschwister auch dazu einlud. Zugunsten bestimmter und angestrebter Antlitze, die Voranstellung eines vorgestellten seelischen Zustandes ließ mich das voraus nehmen, was nun ein Portrait unter den gesetzten Grenzen das Höchste sein muß, also eine (Vorwegnahme) schlechthin, wenn noch nicht aller Tage Abend ist!
Einen Abend habe ich zum Stift gegriffen und etwas in größerem Format geschwelgt. Ein ‘Liebespaar’ in Rötel, was ich noch nicht wieder hervorgeholt habe, sollte mit einem bestimmten Zweck zum Verschenken hier!! entstehen. Nun mag ich es kaum aus der Hand geben und trage den Gedanken, eine Kopie herzustellen. Hinterher mit Blei in Groß einen ‘Bauern und Tod’, den ich an meinem Spind, nur von meinem Bett aus sichtbar, angeheftet habe. Der Bauer, (wie Tod und Teufel) mit breitem Grinsen hiesiger Schlag, beide Hände in den Taschen. Vor ihm schlotternd der Tod. Demnächst mehr: ‘Tod und Held’, ‘Tod und Krämer’, ‘T und Mädchen’,’T. und Koch’(!) usw.

Sonntag
Morgen muß ich wieder mit den Landsern raus. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Keiner von den Unteroffizieren hat Lust, benimmt sich einer der Brüder daneben, sind wir die Gelackmeierten. Folge (wie bei einigen völlig Unschuldigen vorigen Sonntag): Urlaub im Kamin. Kannst Dir die Gesichter vorstellen. Aber was heißt das. Ich glaube auch so nicht an den Urlaub. Es ist alles so weit weg, unvorstellbar.
Ich bin sehr mit allen Briefen im Rückstand, - Die Woche geht mechanisch um. Aufstehen, bis mittags Gelände, Hoffnung auf Mittag. Dann ist der Tag halb. Sollte nicht auch der Nachmittag vorübergehen? Gewiß. Freizeit sehr gut. Was tun? Dies und das. Bücher, Briefe, seltener heraus. Oft kann ich mich auf meinem Bett ausstrecken, hinstarren, hinträumen, regungslos, immer so liegen bleiben, sich nicht mehr verschwenden, kein Ding mehr anrufen, denken, - was, Kreislauf der Gedanken. Ein Entschluß. Zuletzt Vergessen im Schlaf. Ein Tag der Woche dahin. Bei den Soldaten sagt man: stur. Ich versuche aber durch wenig Schlafen, vieles und angestrengtes Lesen mich rege zu halten. Versuch. Er soll mir über Gelingen Auskunft geben, alles ohne Resignation. Keine schwächenden Sentiments. Erinnerung und Hoffnung dürfen die Gegenwart nicht völlig überblenden. Wenn man (in der Gegenwart) tut und lebt, und das seelisch gar nicht anritzt. Ich möchte diesen Zuständen gar nicht folgen, man muß sie abschütteln.
Der Märzwind und die helle Sonne bringen unsägliche Gefühle. Ich möchte Verse von Trakl anführen, (habe das Bändchen von Hause immer noch nicht erhalten). Schon die Vorstellung bringt das Wesen.
Ein Spind voller Grüße, den Tornister und Stahlhelm auch voll, die übrigen in die Zeltbahn gepackt. Immer wieder alles Gute!
Dein Eugen

 

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