Brief (Transkript)
Willi Winkler an seine Freundin am 12.03.1945 (3.2002.0914)
Pilsen 12./3. 1945
Liebste Ruth!
Die erste Nacht auf dem Strohsack habe ich hinter mir. Gottseidank war ich derartig müde, daß ich die Temperatur die in der Bude herrschte nicht merkte. Man war aber zu faul zum Heizen.
Aber nun will ich schön der Reihe nach erzählen. Gegen Mittag kam der Zug in Radebeul an. Endstation. Mein zarter Körper war leicht durchgefroren. Mit viel Mühe und Plage schleppte ich mich und den Koffer zur Straßenbahn. In Dresden auf dem Neustädter Bahnhof hatte ich in sofern Glück, daß in wenigen Minuten ein Zug nach Bautzen gehen sollte. Die Gegend am Bahnhof ist nur mäßig beschädigt. Die Angriffe richteten sich ausschließlich auf die Altstadt. Sonst sind nur markante Punkte im Gelände getroffen. Natürlich ließ ich meinen Koffer dort. Es wäre ja sonst unmöglich gewesen weiter zu kommen. Mit zwei Stunden Verspätung fuhr der Zug ab. Es war erfreulich warm und angenehm trotz der langsamen Zuckelei. Nachdem ich in Bautzen die üblichen Formalitäten auf der Bahnhofskommandantur hinter mir hatte, war ich um 1800h beim Schuhmacher. Bis ½ 8 haben wir erzählt und er mir die Schuhe fertiggestellt. Sehr saubere solide Arbeit. Nebenbei bekam ich von der Meisterin 3 Äpfel und von ihm 10 Zigaretten. Eine Mundharmonika mußte dran glauben. Dann ging ich essen in gewohnter Weise, gut und reichlich. Bautzen selbst ist öd und traurig. Kein Soldat darf auf die Straße, kein Kino spielt.
Das Dröhnen der Artillerie soll zu hören sein. Also machte ich, daß ich schnellstens wieder raus kam. Es war gegen 23.00 als ich wieder in Dresden war. Um 2.00 kam dann der SFR der 1945 ab Bln geht. Morgens um 9.00 war ich in Prag. Da ich erst um ½ 3 weiterkonnte, hatte ich also 5 Stunden Zeit ein friedensmäßiges Leben zu bestaunen. Wie glücklich können sich die Tschechen preisen, nicht im Krieg zu stehen. Außer dem Markensystem ist es wie 37 in Bln. Die Leute alle sehr gut und höchst modern und flott gekleidet. Besonders die Frauen. Es war wirklich eine Augenweide. Wie im Traum bin ich über die Straßen gezogen. Die Bevölkerung macht einen zufriedenen Eindruck. Etwas Ablehnung macht sich bemerkbar. Sie grinsen über uns grüne Teufel, die Jungen in unserem Alter schlendern lässig mit ihren Mädchen rum. Man spricht von neuen Filmen von der Mode und den kleinen Alltagssorgen. Daß wir auf Leben und Tot kämpfen geht sie nichts an. In Pilsen, Abends das gleiche Bild, helle Straßenbahnen, so wie wir es nur noch aus Filmen kennen. Sonst kann ich Dir erzählen, daß die Frauen ganz besondere Abneigung gegen uns Soldaten haben. Hier in Pilsen spricht fast jeder Deutsch, aber um den Weg zur Kaserne zu erfahren muß man 5x fragen.
In einer Stunde fahre ich nach Tauß / Prot. zur Gen.Komp. weiter. Der Ton hier und das Essen ist besser als üblich beim Ersatz. Genaue Einzelheiten darüber später. Für heute grüße und küsse ich Dich im Gedanken
Alles Gute liebe Ruth Dein Willi
Grüße die Eltern bitte. Meinen kannst Du das Gelesene bei Gelegenheit erzählen
Ansicht des Briefes
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