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Brief (Transkript)

Willi Winkler an seine Freundin am 21.05.1944 (3.2002.0914)

 

Warschau 21. / V. 1944


Meine liebe kleine Ruth!

Das Leben kann doch sehr schön sein. Augenblicklich fällt die Sonne auf mein Bett und die letzten Weisen des Volkskonzerts ertönen aus dem Radio. Wenn ich mich unter einigen Umständen aufrichte, kann ich einen schönen gepflegten Garten sehen. Eigentlich gar keine Zeit jetzt im Frühling im Bett zu liegen. Aber ein großer Fliederstrauß auf meinem Nachttisch bringt mir den Frühling ans Bett. Eine Sonntagsstimmung habe ich, wie sie ich schon lange vermißte. Es fehlt nur noch daß die kleine Ruth an meinem Bett sitzt und mit mir plaudert. Aber auch in der Hinsicht habe ich einen kleinen Ersatz. Unter der Tischkante habe ich Dein Bild eingeklemmt. So kann ich Dich jetzt immer sehen. Du kannst mich aber nicht sehen, es ist nämlich das Bild von der Bank im Stabholzgarten, wo Du die Augen zu hast. Ich freue mich immer, wenn ich Dich lachen sehe. Nur lachend läßt sich das Leben ertragen, wenns oft auch sehr schwer ist. Wir sind hier im Zimmer alles Schwerverwundete, neben mir liegt ein Kumpel der hat den rechten Arm verloren, der linke ist zersplittert und genauso beide Beine. Er liegt völlig in Gips. Aber Du müßtest mal unser Lachen hören. Auf dem Hauptverbandsplatz fragte mich als ich vor der Operation auf dem Tisch lag, ein Arzt wie alt ich sei. Als ich ihm sagte 24 Jahre meint er was und noch nicht tot. So sieht unser Humor aus, rauh und herzlich. Ob es wirklich echt ist weiß ich selbst nicht. Du hast es ja auch sicher im Urlaub an meinem Vater gemerkt. Und glaub mir, so leicht wie es aussah ist mir damals der Abschied durchaus nicht gefallen. Es ist nicht leicht wieder dahin zu müssen wo schon viele Leute ihr Leben und die Knochen ließen. Schon damals hatte ich das Gefühl daß es mich diesmal erwischt. Deshalb habe ich auch so lange gebummelt bevor ich zur Komp. fuhr. Aber Du siehst dem Schicksal kann man nicht entrinnen. Nun kann ich aber sehr froh sein, daß es so gekommen ist. Ich denke an unseren lieben Raddi. Aber immer wußte und fühlte ich, daß ich wiederkommen müßte. Schon Dir zu liebe, denn ein zweites Mal durftes Du doch nicht so viel Kummer durchmachen. Wenns nun auch sicher etwas länger dauert bis wir beide wieder gemeinsame Stunden verleben werden, so haben wir doch aber auch eine bedeutend größere Aussicht sie überhaupt zu verleben. Warten mußten wir ja sowieso schon lernen. Und Du wartest doch auf mich Ruth? Ich will jetzt natürlich keine festen Entschlüsse von Dir hören. Du kennst mich ja mit allen meinen Fehlern und Lastern, und daß ich nicht zu denen zähle die mal in den Himmel kommen weißt Du auch. Ich glaube auch wir würden auskommen wenn mal nicht die Sonne scheint wie im letzten Urlaub. Daß ich trotz meiner Lausejungenart weiß wie es im Leben angeht und wie man sich dabei am vorteilhaftesten verhält, kannst Du mir glauben. Meine nüchterne sachliche Denkweise wird mir auch weiter im Leben gute Dienste leisten. Und daß man auch meine Arbeiten als Techniker anerkennt hast Du ja etwas in Rathenow gemerkt. Wer dazu noch an der Front sich bewährt, dem kann meiner Ansicht nach nicht mehr viel im normalen Leben daneben gehen. –
Nun aber kurz noch mal was anderes Ruth. Wie hast Du Dir eigentlich meine Wiederannäherungsversuche erklärt? Besonders tüchtig war es doch von mir auch bestimmt nicht, wo Du mich doch seinerzeit auffallend freundlich behandelt hast. Und das ich Dich nicht als Notnagel benutzen wollte, habe ich Dir bewiesen. Am letzten Tage, Du weißt doch noch. Es kam alles so als wenn es schon lange beabsichtigt war. Und gerade da alles so von selbst kam, bin ich der Meinung, daß es richtig ist. Schreib mir doch mal bei geeigneter Stimmung einige diesbezügliche Zeilen. Nun genug davon. Wie gehts Dir denn sonst? Ich hoffe ja bald wieder Post von Dir zu haben. War Hermann Köhler schon auf Urlaub? Was macht Spindler und seine Filialen? Fährst Du viel mit dem Fahrrad spazieren?
Grüße Deine Eltern und alle Bekannten und sei selbst herzlich gegrüßt und geküßt von
Deinem Willi

 

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