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Brief (Transkript)

Reinhold Zielinski an seine Eltern am 31.12.1944 (3.2002.0906)

 

31.12.44.



Meine liebe Mama,

heute am letzten Tag eines ereignisreichen Jahres sollst Du auch noch einmal meinen Gruß erhalten.
Es ist eigentlich das erste Mal, daß ich Weihnachten und Neujahr nicht bei Euch bin, denn Perschnitz rechne ich da nicht, da war ich ja auch unter deutschen Menschen.
Jetzt aber sitze ich in meinem Bunker und kann aus meinem Fenster in den schneebedeckten Wald und den grauen Himmel sehen und meine Gedanken sind mehr bei Euch - bei Gisela und Euch - als hier. So viel Sehnsucht habe ich tatsächlich noch nicht gehabt, wie in diesem Jahre und ich kann nicht einmal sagen, daß ich nun traurig bin, hier bleiben zu müssen. Es ist eben nur das Bewußtsein, daß ich es zu Haus noch viel schöner hätte!
Sonst hatten wir hier ein wirklich schönes Fest, den Urlaub der Weihnachtstage habe ich Gisela ausführlich geschrieben. Nette Stunden am Heiligabend hier, dann Kameradschaftsabend bei der Kompanie am 2. Feiertage Kino. Außerdem gab es Post, Briefe + Päckchen, dann hier Likör + Keks + Zigaretten. Sogar ein weißes Weihnachtsfest hatten wir und nach dem Fest bis heute herrliches Sonnenwetter mit Frost. Wie schön das Leben sein kann, trotz des alles beherrschenden Krieges! Wenn nun noch etwas anders gewesen wäre - dann gäb es nichts Schöneres. Aber es ist so gut, daß nicht alles beisammen ist. Das darf nur in wenigen Augenblicken des Lebens sein und während der anderen Zeit sehnt man sich danach oder denkt daran zurück!
So denke ich in diesen Stunden noch einmal über dieses Jahr nach.
Was geschehen ist, weißt Du genau wie ich. Im Anfang des Jahres war ich noch zu Haus, dann meine Verlobung, Abstellung zur Krim, glückliche Rückkehr trotz aussichtslos scheinender Umstände, Sommer in Deutschland - wir sahen uns in der Stadt und auf dem Lande - Abstellung zur Ostfront - wieder doller Trubel und nach der Hochzeit nun schon lange einsames Bunkerleben in Goldap - einer Stadt mit Namen seltenen Klanges!!
Welche Empfindungen und Erfahrungen ich in den einzelnen Abschnitten dieses Jahres hatte, kann ich nicht so beschreiben. Aber ich kletterte von tiefer Niedergeschlagenheit und fast Hoffnungslosigkeit ziemlich weit hinauf bis zu einer übermütigen Freude, wieder hinab - hinauf: Wie es so eben im menschlichen Leben geht! Und am Ende des Jahres stellte ich fest, daß ich nicht viel an materiellen Gütern, dafür aber an anderen gewonnen habe.
Das Fest selbst stand für uns Deutsche auch unter einem besseren Stern; der Angriff im Westen brachte die notwendige Entlastung und wir haben immer wieder und immer noch die Hoffnung, daß wir es am Ende doch schaffen.
Daß wir gewinnen werden, ist für mich völlig klar - fraglich ist nur, ob wir persönlich das noch erleben werden. Und ich hoffe ja so sehr, daß Ihr alle gesund bleibt; ja, daß Ihr sogar vom Bombenterror verschont bleiben mögt.
Ich habe den Willen, auch Dir noch einmal danken zu können für alles, was Du für uns Kinder getan hast und tust. Dazu muß noch einmal Gelegenheit werden. Vielleicht wird es anders werden, als ich mir bis jetzt es vorstelle - aber unser ganzes Leben hat ja eine andere Richtung bekommen. Wir werden nicht genau so wiederkommen, wie wir gingen, wir werden unser Leben anders beginnen müssen, als wir dachten.
Einer meiner größten Wünsche ist, daß mein Bruder einmal anderes schaffen wird, als ich. Wenn ich ihm helfen kann, werde ich es tun.
Doch vorerst kommen wir ja alle noch einmal zusammen und werden uns wieder in der bekannten Art gut „unterhalten“ werden „wie immer große Worte“ finden und dann am Tag des Abschieds bemerken, daß man sich aus Zeitmangel garnicht unterhalten oder gesehen hat.
Mama, ich habe mir ein Licht angebrannt, werde heute auch noch einmal dem Licht der restlichen Weihnachtskerzen an meinem kleinen Baum zuschauen, an Euch alle zu Haus denken und dann auf Wache ziehen. Ja - auf Wache! Die Mannschaften meines Trupps haben nämlich eine nette Summe für das W.H.W. gespendet, wenn in der Sylvesternacht ich und die Uffz. Posten stehen würden. Wird gemacht!
Also werde ich dann auch mal wieder durch den Wald laufen und auf alles Unregelmäßige Acht geben und dabei dann auch wieder mit meinen Gedanken bei Euch sein.
Ich sende also Dir, Papa, den Mädels, Tante Hete, den Beetzern [?], Cickerts [?] und Frau Z. meine Grüße, hoffe auf ein gesundes Wiedersehen und auf das Jahr 1945
Dein Großer!

 

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