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Brief (Transkript)

Martin Meier an seine Ehefrau am 17.08.1943 (3.2002.0904)

 

17. August 1943


162.)

Meine liebe Gerda!

Endlich erhielt ich wieder Post von Dir. Gestern kamen Nr. 240, 241 und 242 von Dir an. Außerdem bekam ich Post von Gerda, von Hildchen und Alfred, und Bücher von der Bank. Gerda schrieb mir daß Gerhard alles verloren hat, nur ihr Leben konnten sie retten. Anni ist jetzt bei meinen Eltern. - - Auf Deine Briefe zu antworten wird mir schwer, aber es muß sein. Es ist eine Schande, eine ganz große Schande, was Ihr da anrichtet. Da hilft nur das eine Wort „Wahnsinn“. Ihr Berliner habt alle, ohne Außnahme, bei den hohen Temperaturen eine herrlichen ausgewachsenen Sonnenstich bekommen. Aber das ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist die Untreue dem Führer und unserer Sache gegenüber. Schamgefühl habt Ihr überhaupt keines mehr. Ja, so einfach ist es, wenn es einem gut geht, den Arm zu heben und heil zu brüllen, bis die Kehlen heiser sind. Und geht es mal ein bisschen schlechter dann wird Fersengeld gegeben. Wert wäret ihr alle, daß man Euch ins Konzentrationslager schickt und mal Wochen hungern läßt. Das grenzt an Vaterlandsverrat. So ein fieses Volk. Fängt genau so an wie 1918, daß die Heimat der Front. in den Rücken fällt. Wir halten hier stand, nehmen jede Entbehrung auf uns und freuen uns daß wir so große militärische Erfolge haben. Und Ihr versucht, uns den Todesstoß in den Rücken zu versetzen. Jedenfalls verbitte ich mir jeden weiteren Brief mit Worten wie „rette sich wer kann“, „Augenblick der höchsten Gefahr“, „Berlin in Schutt und Asche“, „falls noch etwas zu retten ist“. Und wie ich aus Russland fortkommen werde, darüber mach Dir bitte keine Gedanken. Aber wenn Du es willst: „siegreich“. Und sollte es anders kommen, dann nur durch die Unzuverlässigkeit der Heimat. Aber dann kannst Du sicher sein, dann räumen wir mit der Berliner Hammelherde, den Spießbürgern auf. Denn nur diese wären daran schuld. Aber soweit wird es nicht kommen. Treuloses Volk. Ich bin bestimmt keiner von den besten Nationalsozialisten. Und ich kann zählen, wie oft ich heil gerufen habe. Aber vor soetwas kann man nur ausspucken. Hättet Ihr Euch den Aufruf richtig durchgelesen, dann wäre es nie soweit gekommen. Es stand nur darin, daß alle Kranken, Rentner und Kinder Berlin verlassen sollen. Der Grund ist der, wenn wir jetzt im Herbst London dem Erdboden gleich gleichmachen, so könnte es sein, daß der Engländer evt. Berlin angreift. Und dann können wir uns um das Kroppzeug wie Rentner, Kinder und Kranke nicht kümmern. Die sind uns dann nur im Wege. – Ja, nun hast Du es schon bereut. Ich habe geglaubt, eine Frau zu haben, die sich einigermaßen aus dem Rahmen abhebt. Na ja. Jedenfalls gebe ich Dir noch einmal die strikte Anweisung, daß meine Sachen restlos, unverzüglich wieder an ihren alten Platz kommen. Ob ein Bett dazu gehört, weiss ich nicht. Besser wäre es aber, mir eins dazulassen, denn so viel habe ich wohl verdient. Daß Dir diese Extravaganzen Geld kosten, ist Deine Sache. Und wenn etwas gestohlen wird oder verdirbt, so mußt Du schon selbst damit fertigwerden. Lieber ist es mir, es wird durch Bombenwurf vernichtet, als daß ein Ganove sich daran bereichert. Ein Anzug und eine Garnitur Wäsche kommt immer in den Luftschutzkeller. – Über die Vermögensaufstellung will ich kein Wort mehr verlieren, denn die ist ja doch nicht gemacht worden. – Und was Du unternimmst, mußt Du wissen. Fest steht, daß ich im Urlaub nur nach Berlin fahre. Ebenso sende ich meine Briefe nur nach Berlin. Solltest Du fortfahren, mußt Du sie Dir eben nachschicken lassen.
Diese Aufregung hätte ich etwas verstehen können, wenn Du mitten in Berlin in einer Mietskaserne wohnen würdest. Aber so weit draußen ist garkeine Gefahr. Doch genug von dem Quatsch. Das ekelt einen schon an. Ich kann Dir nur empfehlen, jedem Bekannten den Brief vorzulesen und dafür sorgen, daß diese Idioten wieder vernünftig werden. Dadurch kannst Du nur wieder gutmachen, was Du durch Deine Nervosität angerichtet hast.
Herzele, dieser kalte Guß war nötig, sei nett, behalte den Kopf oben. Denke immer daran, daß ich Dich so lieb habe. Mach Dir das Leben nicht selbst schwer und mir dazu. Du siehst alles zu schwarz. Nicht an den Krieg denken, lustig und guter Dinge sein und sonst an Götz von Berlichingen denken. Wie stellst Du Dir das vor, wenn wir auf Gerüchte hin plötzlich von der Front türmen würden. Würdet Ihr schimpfen oder Euch freuen? Na also. Also bleib vernünftig, und wenn es sein muß als die Einzigste. Vor allen Dingen aber behalte mich lieb. Und nun auch wieder regelmäßig geschrieben. Über Deinen Brief mit den Drops habe ich mich sehr gefreut. Bist doch mein bestes Frauchen. An Körners Hochzeitstag habe ich nicht gedacht durch die Aufregung, in die Ihr hier alles versetzt habt. Aber ein Rätsel will ich Dir aufgeben. Rate mal, wer in 3 bis 4 Wochen wieder in Berlin ist – Aber damit Du nicht auf falsche Schlüsse kommst und etwas denkst ich käme auf Urlaub. Also will ich Dir die Antwort schreiben. Alle Berliner, die jetzt getürmt sind. Wetten, das ich recht habe? Wenn Ihr das Auto verkaufen könnt, dann nur los. Verwerten könnt Ihr es ja doch nicht mehr. Bei Euch ist also das Wetter jetzt auch schlecht geworden. Hier ist ja überhaupt kein richtiger Sommer gewesen. Mir selbst geht es noch gut. Gestern haben wir die 2 Flaschen Wodka getrunken, die wir durch unsern bunten Abend gewonnen haben. Gestern war ich hier im Kino. „Der große Schatten“ mit Heinrich George wurde gegeben, Militärisch ist nichts los. Das Leben ist hier äußerst langweilig. Wir öden uns schon gegenseitig an und sind manchmal nicht zu genießen. Schön ist as aber immer, wenn Post kommt. Aber wenn man mehrere Tage hintereinander nicht erhält, dann kann man verzweifeln
Nun will ich für heute schließen, mein liebes Herzele. Ich hab Dich doch so sehr lieb. Hoffentlich wirst Du von der Sparkasse nicht freigestellt, denn dann mußt Du als Arbeiterin beim Bauern arbeiten. Und das verhüte Gott. Und dann noch eins. Es geht doch nicht, wenn Mutti wegfährt und Du dableibst, daß Du mit Meier allein unter einem Dach bleibst. – Doch nun will ich endgültig schließen. Grüße bitte Mutti herzlich von mir. Viele Grüße und 1000 sehnsuchtsvolle heiße Küsse sendet Dir
Dein Martin

Kopf hoch, Herzele und frohen Mut.

 

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