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Brief (Transkript)

Martin Meier an seine Ehefrau am 01.08.1941 (3.2002.0904)

 

Russland, 1. August 1941



Liebste Gerda,

heute ist nun schon der 1. August. Im vorigen Monat bin ich bis Nr. 10 gekommen. Im Augenblick habe ich Dienst. Ich sitze im Wagen, draussen regnet es. Gestern erhielt ich 2 Briefe von Dir, Nr. 13 und Nr. 19 mit dem Attest. Vielen Dank dafür. Was ich nun machen kann, werde ich tun. Was heisst denn das eigentlich auf deutsch? Ob allerdings Aussicht besteht, weiss ich nicht, hoffe es aber. Nun sind wir schon wieder einige Tage hier in B. Bald werden wir wahrscheinlich wieder vorrücken. Je weiter wir nach Rußland reinkommen, desto verwahrloster wird die Gegend. Das ist so richtig bolschewistische Kultur. Die Menschen sehen aus wie die Verbrecher. Die Frauen nehmen während des Gehens auf der Straße ihre Brüste raus und säugen ihre Kinder. Sonst lümmelt alles im Dreck rum. Blos hier wieder raus. Leider hat sich bei uns noch etwas eingestellt: der Hunger. Fett oder Butter kenne ich jetzt nur dem Namen nach. Brot gibt es 3 Schnitten pro Tag meistens noch verschimmelt. Zubrot reicht kaum für eine Schnitte. Alles lässt den Kopf hängen. Selbst besorgen können wir uns auch nichts, weil es garnichts gibt. Wir schleichen auf den Feldern rum und buddeln Kartoffeln, die aber noch nicht reif sind. Alles sind nur kleine Kugeln. Dann essen wir noch dauernd grüne unreife Äpfel, um unsern Hunger einigermassen zu stillen. Was die Folge ist, ist ja ganz klar. Durchfall in allen Formen. Dazu kommt noch das Wasser, das alles ungeniessbar ist. Hoffentlich laufen wir uns hier in Russland nicht tot, denn was haben wir bis jetzt erreicht und wie gross ist das Land noch? Ich glaube, ich muss erstmal wieder einen grünen Apfel essen, denn mein Magen knurrt immer hintereinander weg. So arm habe ich mir das Land doch nicht vorgestellt. Es ist alles noch schlimmer, als man uns immer wieder von Russland erzählt hat. Ein Glück, dass wir noch in unseren Zelten wohnen. Die ziehe ich doch den Häusern vor. Der beste Ort, in dem wir bisher lagen war Dubno. Da war es für ostische Verhältnisse einigermassen sauber. Aber wenn man all dies übersieht, ebenso die lange Trennung von Frauchen und die grosse Sehnsucht nach meiner Liebsten, dann kann ich nur sagen, dass es mir sehr gut geht. Ich glaube und hoffe, dass es mal ganz plötzlich geschieht, dass ich Dich besuchen kann. Dass es Dir und allen anderen zu Hause noch gut geht, das freut mich sehr. Schreibe mir nur weiter jeden Tag, dass Du mich lieb hast. Denn wenn ich das jedesmal lese, habe ich immer wieder Hoffnung auf ein glückliches Ende. Nun grüsse bitte alle zu Hause herzlich von mir. Viele zärtliche Küsse, füge ich hier für Dich bei. Ich habe Dich sehr lieb, mein herziges gutes Frauchen. Es grüsst Dich vielmals
Dein Martin.

 

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