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Brief (Transkript)

Anton Böhrer an seine Schwester am 02.12.1941 (3.2002.0889)

 

Charkoff, den 2. Dez. 1941


No 4

Lieber Vater, lb. Adolfine!
Wie Ihr seht, liege ich immer noch in Charkoff. Es ist natürlich hier doch noch besser als nun in Stellung über dem Donez zu sitzen. Ein Teil der Batterien von uns ist z. Zt. im Einsatz aber man spricht nun von einer Ablösung. Bei der kalten Witterung können sich die Soldaten freuen nun abgelöst zu werden. Mit der Zeit kommt auch die Winterbekleidung hier an u. so hoffen wir auch einmal unter den Glücklichen zu sein, denn heute hat es nachdem es in den letzten Tagen sehr mild war, daß man Angst vor Tauwetter hatte, wieder Minus 170 u. einen schönen kalten Wind. Gestern waren wir im Kino. Ich habe es durchgesetzt, daß es nun doch noch soweit gekommen ist, denn wir waren seit Juni oder gar Mai nicht mehr im Film gewesen. Es kam eine fast neue Wochenschau von Orel u. Panzeraufmarsch bei Mariupol, alles sehr interessant, aber doch noch lange nicht der Wirklichkeit entsprechend. Es sieht sich alles sehr schön aus, aber wenn man selbst mitkämpft ist es doch viel anders. Der Dreck auf den Straßen war bei uns vor Charkoff z.B. viel stärker als u. die L.K.W. haben sich gerade gedreht wie auf Glatteis. Manche Wage blieben stecken u. versanken, andere wieder rutschten ab u. mußten mit Zugmaschinen wieder flott gemacht werden. Nun ja, wenn man alles so darstellen wollte wie es sich ereignet, so kämen die Kinobesucher nur noch mit verheulten Gesichtern nach Hause, da sie eben noch nicht so hart geworden sind als die Kämpfer an der Front. – Nun muß ich Euch etwas erfreuliches mitteilen. Ich bin nämlich ab 1.12. zum Wachtmeister befördert worden. Da ich nun bereits die Dienststellenabzeichen als Hauptwachtmeisterdiensttuer habe, so werde ich nun als Hauptwachtmeister angeredet abgekürzt: Hauptwm. oder noch kürzer Hptwm. was vielleicht das bessere beim Schreiben ist. So eine Beförderung mit vorausgegangener Ernennung sollte man natürlich feierlich begehen. Schade, daß wir in Russland sind, denn hier ist tatsächlich nichts zu erhalten u. so muß eben auch diese doppelte Angelegenheit ziemlich trocken ausgehen u. ich werde gezwungen sein dieses Fest einmal später in Deutschland oder in einem Land, wo eben mehr trinkbares vorhanden ist zu feiern. In Urlaub sollen von hier sehr wenige fahren u.z. hauptsächlich Verheiratete oder bei solchen, wo Krankheitsfälle oder Todesfälle in der letzten Zeit vorgekommen sind. In unserer jetzigen Div. brauchen wir vorläufig noch nicht daran denken. Auch ist die Bahnfahrt ziemlich lang, obwohl ich hörte, daß der S.F.Zug von Poltawa nach Berlin nur 5 Tage brauchen würde. Post wird in den nächsten Tagen wieder weniger eintreffen, man hörte sogar von einer 14tägigen Pause. Ich konnte vor ein paar Tagen ein Kekspäckchen erhalten vom 22.XI., für welches ich recht herzlich danke. Die Briefpost ab 15. X. steht immer noch aus u. wird durch die Umleitung, welche ganz hinten ist, ich glaube Lemberg, noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. Nur die ganz neue Post wird uns nun wieder früher erreichen, wie es schon einmal war. Vielleicht haben wir auch Glück. u. die ganze Post kommt viel früher an, denn die Bahn soll unheimlich viel leisten nur soll es noch an einer Brücke kurz vor Charkoff liegen. Heute soll nun noch die Wasserleitg. in Ordnung gebracht werden, aber ich bin nun in Russland in dieser Beziehung hin schon Pessimist geworden. Bevor das Wasser nicht läuft glaubt man einfach nicht daran. Schön wäre es, denn in den Eisenbahnwohnungen, wo wir liegen sind überall Wasserhähne u.z.b. [?] Wasserclosets, wodurch die Freianlagen in der kalten Jahreszeit ersetzt werden würden u. außerdem hat es auch in verschiedenen Wohnungen Badewannen, wo man sich einmal wieder den alten Kriegsstaub abwaschen könnte. In Russland sieht man eben erst richtig, welche Vorzüge man in Deutschland genießt. Heute kann man in Ch. noch gar nichts kaufen, viel weniger in ein Kaffee gehen, oder sonst nur z.B. eine Schachtel Streichholz kaufen. Die Bolschewisten haben eben alles vernichtet oder mitgenommen. Den einzigen Verkäufer habe ich gestern gesehen, der ein paar Schnürsenkel auf einem großen Platz verkaufte. Übrigens gerade an diesem Platz hingen neulich an den Balkonen mehrere Partisanen, welche Sprengungen oder sonstigen Unfug trieben. Es ist dies eine radikale Art, aber bestimmt wirkt sie bei den Russen am meisten, wenn Sie Ihre Genossen am Strick baumeln sehen. Hier ist es am Anfang sehr unruhig gewesen, denn oft hörte man Detonationen, wie meistens von Sprengungen herrührend, doch man wußte nie genau wo solche waren, doch ist es nun wieder ruhiger geworden. Da wir nun dem Weihnachtsfeste immer näher rücken, so wünsche ich Euch allen ein recht frohes Fest bei dem sicher Therese u. Karl Eure Gäste sein werden. Vor allen Dingen laßt Euch recht bescheren. Ich selbst kann Euch dieses Jahr mit keinen großen Gaben erfreuen, da ich ja hier nichts erwerben kann was vorteilhaft ist. Laßt Euch also nochmals recht ordentlich bescheren u. freut Euch Eurer Gesundheit u. Eures warmen Heims.

Für heute grüßt Euch aufs herzlichste Euer dankbarer Sohn u. Bruder
Anton

Hauptwachtmeister
A. Böhrer 38168 A

 

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