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Brief (Transkript)

Kurt Marlow an seine Ehefrau am 30.06.1940 (3.2002.0884)

 

Sonntag 30. Juni 1940



Mein Dorlechen!

Gestern war wieder einmal der Tag des Herrn, vielmehr der Post, so gleich 3 Briefe auf einmal von seiner Liebsten zu bekommen ermuntert sofort. Es waren Brief Nr. 42. 43 und der Schreibblock, die beiden Päckchen mit der Wäsche habe ich schon lange, für alles meinen herzlichsten Dank. Insgesamt hatte ich 9 x Post ganz nett nicht war, von Helmut […] und Hans Kemnitz waren auch Briefe vorhanden, Helmut hat sehr nett geschrieben bei Gelegenheit werde ich ihn Dir geben. An Herbert geht morgen ein Päckchen weg, ich darf ja jetzt nur 6 Päckchen im Monat schicken, und die sind in diesem Monat schon verschickt. Die Angelegenheit mit Ursel und ihrem Bekannten gibt wirklich zur Sorge […] Anlaß, ein Katholik wird in den seltensten Fällen von seinem Glauben abgehen, Ursel wird wohl in den sauren Apfel beißen müßen und klein beigeben. Es richtet sich natürlich nach dem Grade ihrer Zuneigung oder ihrer Liebe, letzteres ist oder kann wohl noch nicht so ausgeprägt sein wie bei uns, hierzu kennen sie sich ja noch nicht lange genug. Eigentlich hätten sie ja schon sich einmal über dieses Thema unterhalten müßen, den Kummer hätten sie sich dadurch sparen können. Gerade in dieser Sache kann sie durch sein Benehmen in einer Aussprache über seine Charaktereigenschaften sich ein Urteil bilden. Dorlechen, mir wäre es völlig schnurz und piep was für einen Glauben Du hast, ich würde Dich nicht bekehren wollen, die Hauptsache wäre mir nur zu wissen, daß Du mich liebst und nur mir gehörst. Dorlekind meine Sehnsucht nach Dir tritt schon bald in ein unerträgliches Stadium ein. Du verfolgst mich tatsächlich Tag und Nacht. Wenn ich so durch dieses eigenartige fremde Land fahre wünsche ich so oft oder stelle es mir gleich vor das Du liebe Frau neben mir sitzt. Ich glaube aber aus der ganzen Fahrerei würde nicht viel werden da das Geschmuse kein Ende nehmen würde. Wir kennen uns doch, man dürfte uns doch keinen Moment allein lassen schon würden wir uns schon wieder umarmen. Ist unsere Liebe nicht herrlich, dieser Glaube aneinander, sie formt doch einen ganz anderen Menschen aus einem. Sind wir Beide nicht den anderen weniger glücklichen Paaren an Selbstvertrauen weit überlegen? Wir können doch nur den Kopf schütteln über Gespräche Anderer die sich mit Eroberungen dem anderen Geschlecht gegenüber brüsten es fehlt uns einfach das Interesse und die Lust hier für, stimmts?
Gestern war für mich ein einzigartiger Tag, morgens um 8 Uhr wurde mir ein Kranker zum Abtransport nach Verdun übergeben, der Oberzahlmeister kam gleich mit denn es war eine günstige Gelegenheit sich alles in Ruhe ansehen zu können. Mit unserem Opel-Super ging also die Reise los nach dem ungefähr 200 km entfernten Verdun, wir fuhren schnell erst mal durch um den Kranken abzuliefern, er litt an epileptischen Anfällen. Nun hatten wir Muße um in Ruhe alle Sehenswürdigkeiten zu betrachten und auch Aufnahmen zu machen.
Verdun als Stadt an für sich ist nicht sehr doll vor allem sind die Häuser reichlich schmutzig und nicht in Ordnung, nur die Hauptstraße bietet ein ungefähres städtisches Bild das imposante riesige Denkmal des die Größen Frankreichs wie Poincaré, Maginot, Herriot, Clemenceau und viele andere verherrlicht paßt an und für sich garnicht hierher. Dann ging es weiter (und) gleich vor den Toren Verdun’s liegt der erste große Franzosenfriedhof mit 5000 Gräbern, 30 deutsche Gefallene (mit) die bei dem jetzigen Sturm ihr Leben ließen sind dort eingebettet. worden. Unsere Fahrt führte uns weiter zum Fort Vaux und zur Feste Douomont, diese ist ja von uns jetzt auch gestürmt worden. In Ruhe konnte ich es mir jetzt alles ansehen und aufnehmen. In 2 km Entfernung liegt das einfach einzigartige Mahnmal und Gebeinhaus von Douomont 800000 Menschen gaben hier auf wenigen Metern ihr Leben für eine sinnlose Sache. Das Haus besitzt eine Breite von ungefähr 123 m, ihr Inneres ist beherbergt viele kostbare Marmorsärge, das gewaltige Kellergewölbe ist ausgefüllt mit Schädeln und Knochen der Gefallenen, alles haben wir uns angesehen. Vor dem Mahnmal liegt der Riesenfriedhof mit über 20000 Gefallenen, Kreuz reiht sich an Kreuz, es ist einfach überwältigend angelegt und nicht zu beschreiben so etwas muß man gesehen haben denn eigentümlich Gefühle bewegen einem. Gleich zur Linken steht das große israelitische Mahnmal mit hebräischen Inschriften versehen. Auf der Rückfahrt lag vor uns das imposante Maginot-Denkmal gleich dahinter wieder ein Mal dieses war zum Andenken des völlig zerstörten und dem Erdboden gleichgemachten Dorf St. Fleury gewidmet. Dorle, das Dorf ist einfach verschwunden, kein Stein nichts ist mehr vorhanden, nur noch mit Gras bewachsene Granattrichter zeugen von dem furchtbaren Kampf. Es ging dann weiter nach Toul, die Innenstadt ist nur noch ein einziger Steinhaufen die franz. Artillerie hat alles zerstört, weinend stehen die zurückgekehrten Flüchtlinge vor den Trümmern, nichts ist ihnen erhalten geblieben, kein Stück Möbel, kein Bild einfach nichts, das Dach liegt im Keller. Im großen und ganzen stehen nicht einmal mehr Mauerwerke sondern sie sind durch die Explosionen in Atome zersprengt worden. Die Kathedrale ist noch einigermaßen erhalten, damals haben wir es gar nicht so richtig gesehen. Dann fuhren wir weiter nach Nanci, die Stadt ist ganz hübsch, auf dem schönen Schloßhof, dieser ist mit einem wunderbaren vergoldeten schmiedeeisernen Gitter umgeben, parkten wir. Denn zu Fuß sieht sich alles viel besser an, auf den Staßen herrscht ein unheimlicher Fußgängerbetrieb, es ist kaum ein Durchkommen. Die Geschäfte sind fast ausverkauft nur die Restaurants üben auf uns einen Reiz aus. Du kennst mich ja 2 Biere und mein Durst ist gelöscht, Menschen die so 20 Gläser hintereinander trinken können habe ich schon immer „bewundert“. Nach 3 Std. geht es weiter links und rechts der Chaussee sind riesige Beute- und Gefangenenlager errichtet worden, Bilder bieten sich einem die man nie vergißt. Fahrzeuge und Material zu zehntausenden aneinandergereiht und aufgeschichtet, es ist alles kaum übersehbar. Um 20 Uhr kamen wir wieder in unserem Bestimmungsort an, völlig ausgehungert denn wir hatten nur jeder ein paar Butterbrote mit, aber bei soviel Sehenswertem spielt im Moment das leibliche Wohl eine untergeordnete Rolle.
Der heutige Tag begann mit einem gemeinsamen Kirchgang, dann hatte ich noch am Wagen zu tun. Punkt 12 Uhr war Mittagessen es gab Linsen mit Würstchen ganz vorzüglich zubereitet. Jetzt schreibe ich momentan anschließend gibt es Kaffe dann schreibe ich weiter und um 18 Uhr ist ein Kompaniefest im großen Saal. Wir haben mehrere Berufsmusiker in unserer Mitte die fabelhaft Akkordeon spielen es wird also ganz schön werden. Das Wetter ist nicht besonders sieht nach Regen aus, na wir haben ja ein schönes Heim in dem man wirklich sich wohlfühlen, nur geht keine Wasserleitung da die Pumpe durch Bomben zerstört ist.
Kleine Margot, bitte grüße Alle, Dich aber küße ich einfach unzählige male
Dein Kurt.

 

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