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Brief (Transkript)

Klaus Becker an seine Ehefrau am 19.7.1941 (3.2002.0224)

 

Russland, den 19.7.1941.



Liebe Suse!

Gestern erhielt ich von Dir das Päckchen mit dem Briefpapier. Das ist die 1. Nachricht, die ich seit 3 Wochen von Euch bekomme. Für mich war es allerdings eine große Enttäuschung. Ich hätte das Päckchen unter diesen Umständen lieber überhaupt nicht erhalten. Wenn man nun schon seit Wochen auf Nachricht von zu Hause wartet - nicht etwa ungeduldig, weil man weiß, dass die Post es nun einmal nicht schafft - und bekommt dann Briefpapier zugeschickt mit dem Bemerken, dass es sich nicht lohne, dazu noch viel zu schreiben, so klingt das folgendermaßen: \"Deine Briefe, ja, ganz gut und schön, aber benutze bitte anständiges Briefpapier, wenn Du mir schreibst; vorsichtshalber schicke ich Dir gleich solches, weil Du es nicht bekommen kannst.\" Ich hätte das Briefpapier am liebsten gleich fortgeworfen. Bin ich plötzlich empfindlich geworden? Ich weiß es nicht. Mir scheint, die Qualität der Papiere ist heute so furchtbar gleichgültig, und mich würde jede Nachricht von Euch erfreuen, auch wenn sie nur auf grauem Packpapier geschrieben wäre. Das hätte ich nun sicher eigentlich nicht schreiben dürfen, weil Du Dir nichts dabei gedacht u. es nur gut gemeint hast. Aber irgend wie muss ich es einmal los sein; ich kann es doch keinem Kameraden erzählen und mir so Luft machen. Für mich ist damit der Fall auch ausgestanden. Ich hoffe von nun an weiter auf baldige ausführliche Nachricht von Euch. Wir sind inzwischen weiter über Witebsk in Richtung Smolensk vorgerückt. Auf unserem Marsch kamen wir durch Witebsk. Es soll etwa 200 000 Einwohner gehabt haben. Raummäßig mag es kleiner sein als Großstädte mit dieser Einwohnerzahl in Deutschland, weil die Russen sehr viel enger wohnen, aber es hatte immerhin doch auch eine beachtliche Ausdehnung. In W. ist nun nicht ein einziges Haus, das nicht völlig zerstört oder verwüstet ist. Die Holzbauten - diese überwiegen auch in den Städten Russlands - sind sämtlich niedergebrannt; es steht meistens nur noch ein Teil des Schornsteins. Soweit die Gebäude Steinbauten sind, sind sie ausgebrannt und nur ein Teil der Brandmauern ist stehen geblieben. Hier hat der Krieg wirklich ganze Arbeit geleistet. Ganz in der Nähe unserer Stellung von Witebsk war auch ein Gefangenen-Sammelplatz. Das Schicksal der Gefangenen in den 1. Tagen ist furchtbar. Auf einem freien Platz waren etwa 5000 Mann zusammengetrieben. Dort hockten sie nun tagelang im Freien, Wind und Wetter ausgesetzt, kaum etwas ordentliches zu essen u. zu trinken u. ohne ausreichende Kleidung. Inzwischen ist es sehr kalt - natürlich gemessen an der Jahreszeit - geworden, wir hatten auch wiederholt Regen. Mancher versucht auszurücken, was auch gelingt, da die Zahl der Wachmannschaften außerordentlich gering ist, manche werden dabei auch erschossen, anders können die Wachmannschaften sich natürlich gar nicht helfen. Nach u. nach werden die Gefangenen nach hinten transportiert, wie es die Transportmöglichkeiten eben erlauben. Unter den Russen gibt es die wildesten Typen. Die Wolgadeutschen werden abgesondert, sie müssen natürlich auf dem Sammelplatz bleiben, werden aber nicht besonders bewacht, spielen Dolmetscher und unterstützen die Wachmannschaften bei der Beaufsichtigung. Smolensk ist seit einigen Tagen in deutscher Hand. Es finden um S. aber offenbar noch Kämpfe statt. Man hört in der Ferne den Kanonendonner. Trotz des plötzlichen Witterungsumschlages geht es mir gut. Ich habe mich nicht erkältet. Wir hoffen wieder auf gutes Wetter. Besser ist denn doch die Hitze, selbst wenn sie uns manchmal fast unerträglich erschienen ist. Mit den herzlichsten Grüßen auch an die Kinder!
Dein Klaus

 

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