Brief (Transkript)
Ludwig Kerstiens an seine Eltern am 23.3.1943 (3.2002.0822)
O.U. 23.3.43
Liebe Eltern.
Ich feiere gerade zusammen mit Euch Ferdis Geburtstag bei einem Glase – sprich Kochgeschirrdeckel – Wein. So laufen unsere Gedanken wieder parallel.
Hier hagelt es im Auchenblick Sensationen. Strafen, Kriegsgericht, erschossene Norweger, verlorene Funkunterlagen, entlaufene Arrestanten und so ein diesen Tönen geht es weiter.
In der Nacht auf Montag wurden wir plötzlich um 1/2 2 Uhr geweckt. Sofort aufstehen, Nachtstreife. Ein Arrestant, der wegen Einbruch 3 Jahre Gefängnis bzw. Strafkompanie, d.h. Todeskompanie hatte, war geflohen. Mit einem Uffz. mußten wir zu je 2 Mann die Wälder und Straßen durchstreifen. In der Dunkelheit war das natürlich erfolglos. Aber es war eine herrliche Nacht. Sternklar. – Vollmond. –Und dann erst der Morgen! Wie es so langsam im Osten hell wurde, das Blau ganz licht wurde, dann die Wolken aufleuchteten und schließlich die Sonne über die Berge stieg, nachdem vorher schon die Berggipfel und zuletzt die Baumkronen in ihrem Glanz aufgeleuchtet hatten, das war fein. Dazu jubilierten die Vögel. Das ist jetzt morgens immer ein Piepsen, zwitschern und flöten! Es war so ein richtiger Ostermorgen. Sonst erlebt man das ja nie so mit. Am Morgen durften wir dann schlafen. 5 Minuten, bevor der Uffz. vom Dienst zum Mittagessen herauspfiff, kam er und weckte uns. Das kann einem Landser so gefallen!
Der Arrestant ist übrigens gestern auf die Meldung eines Norwegers hin vom Abt. Kommandeur selbst wieder festgenommen worden. Jetzt wird es ihm wohl den Kopf kosten. 18 Jahre, elternlos!!
Das erste Paket wird ja nun doch angekommen sein. Ein anderer, der zu gleicher Zeit es abgeschickt hat, hat schon die Bestätigung. Das zweite gleiche ging am 12. ab.
Daß Reinhold Müller schon mit „Herr Ausbilder“ angeredet wird, ist schon allerlei. Und uns hatten sie mal den KOB vorgegaukelt! Wenn Ihr mich immatrikulieren laßt, würde ich Köln doch vorziehen. In Friedenszeiten ginge ich ja am liebsten nach Wien. Aber wegen des Studienurlaubs (nach 3 Jahren höchstens 20 % Wahrscheinlichkeit) ist die Nähe doch angebrachter. Die Uhr schickt erst, wenn es wieder durch Einschreiben geht. - -
Eben kommt der Brief von Jupp: Das Abitur ist ja blendend ausgefallen. Mit der 80 4 x Auszeichnung (selbst Jupp)! Hiß gut, Nüssel sogar 3. Da haben die Pauker aber trotz ihrer Drohungen beide Augen zugedrückt. Jupp hatte doch z.B. Latein schriftlich 4. Da hätte ich mir aber auch ein Auszeichnung geholt! Aber hätteretättä. Es ist nun einmal nicht so. Im grunde kommt ja nun doch darauf an, was man leistet. Und da wurde ich trotz meines billigen Reifevermerkes schon mithalten.
Nun für heute alles Gute!
Herzliche Grüße an alle
Euer Ludwig
Ansicht des Briefes
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