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Brief (Transkript)

Schwester und Vater an Adalbert Huber am 4.11.1944 (3.2002.7130)

 

München, 4.11.1944

Lieber Felix und lieber Bertl!

Wieder einmal haben wir einen Angriff gut überstanden und ich hoffe, daß Ihr diese Nachricht auch bekommt, ehe wir wieder von den Fliegern heimgesucht werden. Jetzt ist es wirklich nicht mehr schön. Jeden Tag haben wir mindestens einmal Alarm oder öffentliche Luftwarnung. Dabei fällt fast immer etwas. Dies dauert jetzt gerade seit letztem Samstag. Da war abends um 8 Uhr Luftwarnung und der Radio meldete mehrere schnelle Feindflugzeuge. Ich habe vorsichtshalber einige Sachen in den Keller getragen und hörte dann Flugzeuge in unserer nächsten Nähe, ziemlich tief brummen. Ich war gerade auf der Kellertreppe und Mama an der Haustüre, weil sie auch hinausgehorcht hatte und Papa war oben im Schlafzimmer, das wir für einige Tage als Wohnzimmer eingerichtet hatten, als es einen furchtbaren Krach tat. Mama und ich riefen zur gleichen Zeit „runter in den Keller“. Alles haben wir gelassen wie es war und sind erst einmal in den Keller. Die Flack hat wild geschossen und dann kam noch Alarm, weil erst einmal Flugzeuge im Anflug waren. Eine Bombe haben wir auch noch über uns wegrauschen hören und dann tat sich nichts besonderes mehr. Kaum waren wir aber aus dem Keller, ging der erste Zeitzünder los und dann nochmal einer und im Laufe der Nacht waren es 9 – 10 Detonationen. Da haben sie also lauter Zeitzünder geworfen und zwar in Moosach – Richtung Nymphenburg und Richtung Friedhof – Borstei, sodaß auch der Straßenbahnverkehr wieder unterbrochen war. Auch in Neuhausen am Kanal, am Pfarrhaus bei der Herz Jesu Kirche, d.h. an den Ruinen derselben und in der Jagdstr. lagen die Zeitzünder. Seit letzten Samstag waren sie nun täglich da und wenn es auch nur ein einzelnes Flugzeug war, das die Bomben abwarf. Seither gehen wir auch bei Luftwarnung in den Keller, wenigstens wenn wir Flugzeuge hören oder wenn die Flack schießt. Im Büro können wir das ja nicht tun – leider – denn wohl ist uns da auch nicht mehr. Gestern Nachmittag war kaum Alarm kam schon ein Flugzeug über Moosach und Obermenzing her (es können auch ein paar gewesen sein, weil im ganzen fünf dagewesen sein sollen) und griff das Nymphenburger Krankenhaus im Tiefflug an. Mama war noch nicht im Keller, Frau Fischer war gerade unterwegs zu uns und Papa war auch gerade mit dem Rad unterwegs von der Schule her. Nun hat mir eben Mama versprochen, sie läßt künftig alles liegen und stehen und läuft in den Keller, wenn sie bei Luftwarnung oder Alarm Flugzeuge hört. Früher glaubte man immer, es seien unsere Jäger, aber darauf kann man sich jetzt auch nicht mehr verlassen. Heute war nun zum Samstagmittagvergnügen auch wieder Alarm. Wir sind zu zweit schon bei der Luftgefahr, laut Radio in den Keller um unsere Plätze zu belegen. Es ist eine Ecke, wo wir meinen, etwas sicherer zu sein, weil über uns noch ein ganzes Haus ist und weil die Ecke keine direkte Außenmauer hat. Wir fühlen uns halt da wohler und drum müssen wir schon bei Luftgefahr laufen und belegen. Nicht immer glückt das, weil wir nicht immer erfahren, wenn Luftgefahr ist. Früher durfte man auch nicht so bald in den Keller, aber heute war schon alles auf, sodaß wir gut eine Viertelstunde gesessen sind, bis der Alarm kam. Wir waren lange nicht die Ersten, die in den Keller gingen und es waren nicht nur weibliche Gefolgschaftsmitglieder die so früh unten waren, sondern zu unserem Trost und unserer Freude auch Männer. So kann man uns doch keinen Vorwurf machen, daß wir zu ängstlich wären. Es gibt ja auch bei jedem Alarm ein furchtbares Gedränge zum Keller, da durch die Gasschleuse immer nur ca. 1 _ Mann gehen können und ca. 2000 müssen durch. Nach dem Alarm, bzw. Angriff habe ich mich dann mit Frl. Meisenberger auf den Heimweg gemacht. Erst waren wir schon auf der Kleinbahn gesessen, die bis zum Steubenplatz fährt, aber die konnte auch wegen Blindgänger nicht fahren. Dann sind wir zum Stiglmeierplatz gegangen, schon mit dem Gedanken, daß wir ev. ein Auto erwischen, das uns in Richtung Moosach mitnimmt. Wir waren aber nicht allein mit solchen Gedanken, es warteten schon viele auf eine solche günstige Gelegenheit. Es kam auch bald ein Dreiradauto und wir stürmten hin. Frl. Meisenberger kam noch hinauf und von mir nur mehr die Tasche, weil sich ein Soldat vordrängte, der einfach nicht mehr weiter hineinkam. So holte ich mir meine Tasche wieder und wartete auf die nächste Gelegenheit. Das war ein kleiner Lieferwagen. Ich gleich als eine der ersten hinauf, in der Meinung, er fährt wie alle anderen durch die Dachauerstr. Inzwischen hörte ich daß er durch die Schleißheimerstr. nach Milbertshofen fährt. Im nächsten Moment war ich auch schon wieder drunten und habe mich aufgemacht, um den Heimweg zu Fuß anzutreten. Bei der Lothstr. mußte ich einen kleinen Umweg nach rechts machen, weil abgesperrt war, und kam dann über die Eisenbahngeleise, die da durch gehen, bei der Leonrodstr. nächst dem Leonrodplatz wieder heraus. Da wartete Frl. Meisenberger auf mich, die mit dem ersten Auto nicht weiter fahren konnte. Am Leonrodplatz erwischten wir wieder ein Auto vom Kraftverkehr Bayern, das ein anderes im Schlepp hatte. Im Anhänger des Schleppzug fuhren wir mit. Ich habe gerade so einen starken Rheumatismus in meinem rechten Arm, jetzt kann ich mir gar nicht recht helfen, sodaß mich Frl. Maisenberger und ein Herr über die Rampe zogen, bis ich wieder auf die Füße kam. Es war eine langsame Fahrt, da wir ja angehängt waren an das vordere Auto und wir kamen dann mit viel Gehumpsel bis zur Maria Wardstr. dann war wieder Alarm. Am liebsten wären wir heruntergesprungen, aber an der Pelkovenstr. hielt er dann und wir liefen in den Keller Ecke Pelkoven-Dachauerstr. Gott sei Dank waren es diesmal nur einzelne, rasche Flugzeuge, die aber nicht zu uns kamen, sodaß bald wieder Entwarnung war. Um _ 3 Uhr war ich dann zu Hause und war froh, daß wenigstens da alles in Ordnung war. Westend, Thalkirchen und Sendling sollen sie heute wieder stark heimgesucht haben. Ich war schon in großer Sorge um Papa, der gerade heute in die Riedlerschule mußte. Ich ahnte nicht, daß er schon um 10 Uhr wieder zu Hause war. Was man zu erledigen hat, muß man jetzt in den frühen Morgenstunden tun, weil die augenblicklich am ruhigsten sind. Es ist halt eine unruhige Zeit jetzt, aber wir sind froh, wenn wir uns jeden Abend wieder gesund sehen, dann nehmen wir alles andere gern in Kauf. Man schaltet alles aus, nur um möglichst schnell zu Hause zu sein, damit man von ev. Alarmen nicht unterwegs überrascht wird. Ab und zu, so ca. die Woche einmal, mußte ich in der letzten Zeit nach Dienstschluß noch nach Neuhausen, um die todkranke Mutter einer DRK Kameradin zu besuchen und auch um vom DRK verschiedenes zu erledigen. Das war jedesmal eine Fahrt mit Erlebnissen daß man ein Buch schreiben könnte. Nach dem letzten Samstag-Angriff fuhr ja auch die 14 einige Tage nicht mehr. Sie wird ja im Gegensatz zu anderen Linien immer schnellstens wieder hergestellt. Ich mußte aber auch noch nach Neuhausen und da ging ich erst einmal zum Stiglmeierplatz. Da gehen die Schwierigkeiten schon los. Wenn man sich durch die Autos, Radfahrer und Fußgänger ohne Unfall durchgearbeitet hat, weil ja heute niemand mehr auf eine Verkehrsordnung denkt (schade um die Arbeit die sich die Polizei mit der Erziehung zur Verkehrsdisziplin früher gemacht hat) muß man versuchen, in eine Straßenbahn hineinzukommen. Die kommen von der Dachauerstr. her, fahren in die Briennerstr. hinein und stoßen dann in die Dauerstr., Richtung Bahnhof zurück. In dieses Dreieck kommt mitunter ein Omnibus hinein und dann brauchen sie lang, bis sie wieder auseinander kommen. Ich bin also glücklich zum Leornrodpl. mit der Straßenbahn gekommen, dann habe ich mich angestellt zum Omnisbus Richtung Neuhausen – Sendling. Ich war vielleicht die 150 ste und nach mir sammelten sich noch an die 300 an. Es regnete in Strömen und alles wartete geduldig auf die Autos, die so lange auf sich warten ließen. Endlich kam ein kleiner Wagen, der vielleicht 50 Leute mitnehmen konnte und da hat es so ein junger Mann gewagt sich vorzuschieben um zu dem Auto zu kommen. Schon hatte ihn ein Unteroffizier gestellt und wollte ihn verhaften. Er war vom Streifendienst. Es entspann sich ein lebhafter Wortwechsel, der Unteroffizier hatte den jungen Mann beim Schlawittchen, aber schließlich ließ er ihn doch wieder laufen. Wir alle hatten eine Zeitlang Unterhaltung in der Dunkelheit und auch bei dem Regen. In die nächsten Autos drängte ich mich auch hinein, wurde geschimpft, weil ich nicht weiter als bis zur Hindenburgstr. fuhr und dann mußte ich mich mit aller Gewalt in die hereinschiebende Menge werfen, daß ich überhaupt wieder hinauskam. Auf der Rückfahrt ging es dann schon besser, da war es doch bald 8 Uhr. Nur am Leonrodplatz hatte ich wieder Pech, weil ich auf einem offenen Auto nach Moosach fahren mußte, während die schönen Omnibusse an uns vorbeifuhren. - So, das ist so ein kleiner Ausschnitt aus unserem täglichen Leben. Kürzlich war ich übrigens bei Dir, Bertl, in Pasing über Nacht, weil ich erst um 9 _ Uhr mit dem Zug in Pasing ankam und da ging nur alle halbe Stunde ein Pendelzug zum Hbf. Es war mir zu unsicher, ob ich auf diese Weise noch zur letzten Straßenbahn nach Moosach komme. Es war schon arg dunkel als ich zur Bismarckstr. wanderte, aber ich wurde sehr nett aufgenommen. Es war mir schon ein bißchen schwer, in der leeren Wohnung, wo es sonst so lebhaft herging. Aber oft und oft denke ich noch an die letzte Silvesternacht, wo wir alle 13 beisammen sein konnten. Wann wird das wieder sein? - Heute wollte Frl. Specht (meine Kollegin) an das Grab ihres Vaters nach Neuburg fahren. Wir haben ihr ein Päckchen für Norbert mitgegeben mit ein bißl Eßwaren, Obst und sonstigem kleinen Zeug, d.i. eine kleine Nagelscher, eine Dose Pelikanol und zwei Bleistifte. Wir denken, daß er die Sachen schon brauchen kann. Ob aber Frl. Specht nach Neuburg fahren konnte, nach dem Angriff, weiß ich nicht. - Sonst hat sich bei uns nichts ereignet und hoffentlich ereignet sich auch weiterhin nichts mehr Besonderes. - Heute ist ein Brief aus Buch gekommen. Karl ist in New York und es geht ihm gut. Gustav ist auch in Ungarn und ebenso Hans Staffler. Elmar ist vom Militär entlassen, Helmut ist in Kroatien. Irenes Schule in Rosenheim soll auch getroffen sein. Der Mann von Lenore hat einen Durchschuß durch beide Beine und hat jetzt an einem Bein eine Nervenlähmung, so wie Elmar an der Hand. Sonst weiß ich auch aus der Verwandtschaft nichts Neues. Nun wollen sich Papa und Mama noch darunter setzen, drum hör ich auf und wünsche Euch Beiden ein recht baldiges, gesundes Heimkommen und ein frohes Wiedersehen. Mit recht herzlichen Grüßen und guten Wünschen Deine Gustl

Recht herzliche Grüße auch von Deiner Mama. Heute hatten wir wieder 2 x Fliegerbesuch von 12 – 2 Uhr mit 20 Minuten Pause, schnelle Kampfflugzeuge. Grade hatten wir soviel Zeit daß wir essen konnten. Papa war heute in Grafing seinen Wintermantel zu holen. Nun ist er wieder glücklich da. Es ist halt jetzt so daß auch zuhause eins ums andere Sorgen hat. Also hoffen wir daß es doch einmal anders wird und wir uns glücklich wiedersehen.
Gustl hat vergessen zu schreiben, daß der genannte Angriff im Krankenhaus Nymphenburg sehr schlimm war. Das Wirtschaftsgebäude mit Schulbau ist zerstört und abgebrannt, die nordöstliche Ecke des Hauptgebäudes angegriffen 8 Tote und das bei hellem Tage und trotz des riesigen roten + - Herzliche Grüße und ein gesundes Wiedersehen - Papa.

 

 



Ansicht des Briefes

 

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