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Brief (Transkript)

Walter Neuser an seine Eltern am 18.4.1942 (3.2002.0947)

 

18.IV.42



Liebe Eltern!

Der letzte Brief ist am 6.IV. mit Aufstellung abgegeben worden. Ich habe seitdem noch viel Post erhalten, mich aber nicht damit befassen können. In Anbetracht der kursierenden Parolen, Vermutungen und Ahnungen, daß der frische Wind aus Kanada, wie Elisabeth so humorvoll unsere Sehnsucht ausdrückt, auch für uns mal wehen könnte, habe ich mich entschlossen, mein Gepäck zu erleichtern. Am 16. + 17.III. sind 10 - 12 Päckchen abgegeben worden mit herzlichen Grüßen und Wünschen, deren Inhalt für mich nur Ballast bedeuten. Ihr werdet gewiß diese Artikel freudiger begrüßen als wir, weil uns der Platz fehlt. Außerdem habe ich gestern noch einige Zeilen geschrieben und die Mts.-Abrechnung April von Spd. für Pa hinzugefügt. Damit möchte ich bitten um Anforderung der Lohnste. oder und Bgstekarte für mich und um Übersendung nach Spd. Ich habe nun aus dem Wirrwarr der Posteingänge Eure Post herausgeschrieben auf beiliegende Aufstellung und hoffe, daß sie Euch ein klares Bild gibt. Erinnert Euch bitte an meinen Brief mit Aufstellung v. 6.IV., in dem es heißt, daß ich einem Urlauber ein Päckchen mitgegeben habe mit 3 Filmen, 1 Taschenkalender, Skizze u. einigen Zeilen; so geschehen am 5.IV.42 an Ogfr. Karl Schulz, I. Wir liegen z. Zt. noch an alter Stelle; es knallt an allen Seiten. Für Kesselflicker ist das nichts Neues. Ich denke doch, daß inzwischen dieses Päckchen Euch erreicht hat und Muttis Wunsch nach Aufnahmen schneller als gedacht erfüllt werden konnte. Wir befinden uns seit dem 9.III. im Einsatz, der erst erschwert durch Kälte und Schneestürme- u. Verwehungen, nun durch Tauwetter noch härter geworden ist. Was eine Schlammperiode in Rußland bedeutet, erfahren wir jeden Tag am eigenen Leibe, und Euch versucht man es mit Zeitungen klarzumachen. Wir sind seit Tagen von Wasser eingeschlossen. Wer durch will und muß, hat mit 1 m Tiefe auf annähernd 1 km zu rechnen. Da dem deutschen Soldaten nichts unmöglich ist, muß so mancher in den saueren Apfel beißen und „hinein, Onkel Otto!“ Immer hübsch der Reihe nach; jeden Tag andere Leute! Wahrlich grimmiger Humor, aber es ist so und nicht anders. Gestern ertrank sogar ein Pferd. Dem muß das wahrscheinlich zu viel Wasser gewesen sein! Auf der Rollbahn stauen sich die Autokolonnen, da der Löcher zu viele sind. Zum Glück haben wir in nächster Nähe 2 Flugplätze und Flak engros, sodaß diese und wir vor unliebsamen Überraschungen geschützt sind. Natürlich besuchen uns Tag und Nacht russ. Flieger mit Leuchtschirmen und Bomben. Entweder sie fliegen zu hoch, unerreichbar für die Flak, oder in angemessenen Höhen, dann sind aber die Flieger auch schon hinter ihnen her, schießen sie ab, oder ihr Vorsprung ist zu groß, daß sie dann auch noch ihre Bomben planlos fallen lassen und türmen. Immer gelingt das auch nicht, jedenfalls sind wir zufrieden, daß die ersten Tage unseres Hierseins vorüber sind. Das war absolut nicht nach unserem Geschmack. Wir tappen hier im Ungewissen, was man mit uns noch so alles vorzuhaben scheint. Jedenfalls lassen wir uns nicht unterkriegen, weder von den Russen noch durch die Nichtbewahrheitung glaubhafter Gerüchte. Das soll auch Euch zur Beruhigung dienen, wenn der Krieg auch noch so schwer auf uns lastet. Wir haben noch ein dickeres Fell als der Russe. Ich habe gestern auch 2 Mal den Weg durch das Wasser machen müssen und bin auf der Rollbahn einem Gefangenenzug von annähernd 1000 Mann begegnet. Diese Eindrücke vergißt man nicht so leicht, wohl sind es Gefangene und Soldaten, aber das waren keine Soldaten mehr. Alle Typen vertreten, aber durchweg erschöpft zum Umfallen; ein grauenhaftes Bild. Mitleid darf man dennoch nicht mit denen haben. Das wäre ja was geworden, wenn ihr Vorhaben, uns in den Rücken zu fallen, von Erfolg gekrönt gewesen wäre. Ein Sprichwort sagt doch, daß der Krieg den Menschen formt. Nach dem zu urteilen, stellen wir schon eine Rasse und Klasse dar, daß die Russen schon sagen: Germanski Soldat - nix Kultur. Es geht bei Allem eben nur auf Biegen und Brechen. Halbe Arbeit gibt es bei uns nicht; das zu ihrem Leidwesen. Ich dachte nun heute Euch in aller Ruhe einen gelehrigen Brief zu schreiben, aber das darf nicht sein. Um ½ 9 Uhr bekam ich den Auftrag für 20 Mann v. 19. - 21. und für 42 Mann v. 22. - 27.IV. volle Verpflegungssätze fertig zu machen, die morgen früh 6 Uhr verladen und marschbereit stehen müssen. Seit dem 9.III. ist das nichts Neues für mich; und dennoch steckt eine gewaltige Arbeit dahinter. Na, Ärmel hochgekrempelt, die Haare gerauft und rin in die Trockenkartoffel! Gegen 11 Uhr stand der Plan. Nun fahren wir „morgen“, also heute - Sonntag, den 19.IV.42. Unser Leutnant, der mir den Auftrag überbrachte, sagte auch, es kann ja gar nicht anders bei uns sein, als daß man sich am Sonntag in Marsch setzen muß; das ewig alte Lied, das nie vergeht. Hier liegt nun alles lang; der Eine grunzt, der Andere stöhnt und faselt wildes Zeug, und der Dritte schnarcht, verschluckt sich schon mal, daß man meint, er krepiert, aber nach kurzer Zeitspanne ist er wieder da mit seinen vertrauten, wahrscheinlich doch nötigen Tönen. Ich könnte ihm am Liebsten -, aber es hat ja doch keinen Zweck. Inzwischen ist es ½ 3 Uhr geworden, wie ich gerade feststelle. „Schlafen“ wird heute mal klein geschrieben, da der Brief fertig werden soll und ich nicht weiß, was für sonstige Überraschungen der Sonntag noch mit sich bringt. - An Hand der Aufstellung seht Ihr ja nun, was ich alles erhalten habe. Elisabeth war wieder mal beim Doktor. Wenn der Blinddarm heraus muß, ist das nun mal so, aber ein Mensch mit Operation ist immer nur noch ein Halber. Der laufen ja genug in der Welt herum, und wenn es nicht sein muß, soll man da nicht mitwandern. Die Maggiwürfel sind verdaut und haben prima geschmeckt. Die Nächsten können folgen! Am 12.III. stieg ein unerhörter Pudding mit Schokolade und Kaltschale; unerhörte Klasse; als ich vom Verpflg.Empfang zurückkehrte. Alles nur durch Euch möglich; wir Genießer danken auch schön. Ich hatte eifrig gespart, sodaß 6 Mann, jeder ein Kochgeschirr voll bis zum Rand, ihr Tun hatten, um Herr zu werden über diese Leckerei. Ich weiß nur noch, daß wir anschließend uns langlegten und verpusteten. Soldaten können eben nicht genug bekommen, was eine alte Tatsache ist. Ich habe vorgestern mal die Zeitungen durchstudiert und da manche traurige Nachricht gelesen. Die Anzeige vom Tode Fritz Paschkes wollte mir gar nicht in den Sinn. Der junge Page, Anders Sohn, gefallen, Rusch’s Sohn vermißt, die vielen Nachrufe und Anzeigen aus dem Kreis; es reicht bald. Nun ist Vater Wichtig auch tot. Aufbahrung u. Feierstunde in der Kirche; alle Ehre. Was soll man zu dem Schicksal des jungen Rusch sagen. Es ist das Schicksal unzähliger Soldaten, die dieses Los teilen müssen. Ich habe am 15.I. den Ort passiert; da war es schon die höchste Zeit! Auch wir haben solche Fälle miterlebt, in denen man glaubt wie ein Ochse vorm Tor zu stehen und widerstandslos zu sein. Ich schrieb in einem der damaligen Briefe, daß zu später Abendstunde eine Bombe etwa 100 m hinter dem Haus heruntersauste. Das war ganz in dieser Ortsnähe. - Dann habe ich mich sehr gefreut über die kleine Tabakspfeife, die viel bewundert und voll ihren Zweck erfüllt. Fischer und Kosche sind also in Holland gelandet. Gar nicht so schlecht, wenn nur nicht die englischen Flieger da wären. Der [...] hat geschrieben; na denn man tau! Eberhard immer noch in Meseritz als Adju; hat der Kerl ein Glück gehabt. Den Dreck und Speck hier hat er nun schon mal nicht genießen brauchen. Elisabeths Geburtstag scheint ja in aller Stille verlaufen zu sein. Ich glaube, ich habe noch nicht mal gratuliert, aber sei versichert, daß ich oft und auch am Tage selbst an Dich gedacht habe. Ihr werdet gewiß in diesem Jahr auch gewaltige Wassermengen erleben. Wie Ihr schreibt, sollten ja die Kartoffeln in Eurem Keller aufgedockt werden! Hier ist das nicht nötig. Erstens gibt es kaum welche, und zweitens sind die Vorhandenen erfroren. Diese Arbeit spart man schon mal hier. Ich könnte Euch da noch unzählige Beispiele aufzählen, die als Segnungen ins Paradies gehören! Götz hat es ja auch so verstanden, aber darüber richten wir ja nicht. Der Bursche ist gefallen; vielleicht wäre ihm das gleiche Schicksal hier beschieden gewesen. Fragt mal bitte an, ob W. Schilling sich gemeldet hat und von wann. Das Ehepaar Buth war am Tag der Wehrmacht bei Euch zu Gast. Eigentlich schade, daß Ihr den Tag nicht in einer Kaserne erleben konntet. In Bln. war ja unerhört was los. Im Frühjahr hält die Welt ja doch wieder den Atem an. - Leni bestellt bitte meinen Dank für den schönen Osterbrief. Ebenso Frl. Wilde und K. Mü. für die Ztgs-Romane, die reißend weggehen, sodaß ich zu tun habe, sie zusammenhalten zu können. Beiliegenden Nachruf fand ich in der Luftschutz-Illustrierten des R.C.B.; wer ist das? - Die Anzeige v. Fritz Paschke hebt mal bitte auf. - Onkel Arnold schreibt im Brief v. 3.IV.42, daß Hans zu seinem alten Truppenteil nach Finnland käme. Der Ruderklub hat mir auch wieder ein Päckchen v. 28.III. mit 25 Zigaretten gesandt. Ebenso Rupperts zum Osterfest. Von denen ist ja immer etwas dabei. Mir tut es leid, daß ich gerade denen gegenüber die Verbindung meinerseits nicht so aufrecht erhalten konnte, wie man das gerne sieht. Aber sie werden schon ein Verständnis dafür finden. Damit bin ich nun heute am Schluß meiner Ausführungen, hoffe, daß Euch dieser Brief bei bester Gesundheit erreicht und grüße Euch Alle auf das Herzlichste und drückt beide Daumen betreffs des Windes, vielmals dankend,

Euer Walter.


Dir, liebe Mutti, zum Muttertag meine herzlichsten Glückwünsche!

 

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